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Opern-Kritik: Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin – Strandrecht

Stürmisch wie die See

(Schwerin, 7.2.2025) Das Mecklenburgische Staatstheater liefert mit Danielas Kircks umjubelter Inszenierung von „Strandrecht“ einen weiteren Grund dafür, Ethel Smyth in das Standardrepertoire der Opernhäuser aufzunehmen.

vonPatrick Erb,

Sprudelnde Gischt benetzt den dunklen Bühnenschleier des Mecklenburgischen Staatstheaters, monochrome Videoprojektionen holen die raue See ins Haus, Nebel verschmilzt mit dem Bühnenlicht zu einer dunstigen Atmosphäre. Die Staatskapelle hebt zur Ouvertüre an – majestätisch, träumerisch, verspielt, aber auch geisterhaft und mysteriös. Ist es die Musik zu einer fantastischen Piratengeschichte, Seefahrer-Nostalgie, wie nur die Briten sie kennen? Oder der Auftakt zur Tragödie eines Fischerdorfes, das für sein Überleben buchstäblich über Leichen geht? Sicher ist nur eines: Kein Wagner. Wer in „Strandrecht“ die kleine Schwester des „Fliegenden Holländers“ vermutet, wird positiv überrascht. Smyths Werk ist ein Solitär – inhaltlich, musikalisch und in seiner Wirkung.

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„Strandrecht“ – bald ein Repertoirestück?

Schwerin wagt in dieser Spielzeit nach Karlsruhe und Meiningen die dritte Inszenierung dieser zu Recht immer häufiger gespielten Oper und entscheidet sich – wie auch Meiningen – für eine deutsche Fassung des Textes. Das macht das Stück nahbarer, auch wenn die Übersetzung eher pragmatischen Charakter hat und schon von Smyth selbst als mangelhaft empfunden wurde. Doch an Unterhaltungswert mangelt es freilich nicht. Regisseurin Daniela Kerck kreiert mit sparsamen Akzenten ein modern anmutendes Szenario, in dem sich die unwirtliche Landschaft Cornwalls mit der moralisch abgestumpften, räuberischen Dorfgesellschaft vermischt. Kerck setzt auf starke Farbakzente und impulsartige Impressionen: Dunkle Felswände, einige wenige für das Fischer- und Räuberhandwerk nötige Utensilien – Netze, Taue, Barrels – treffen auf die ölschwarzen Lederjacken, Kutten und Schürzen der Bewohner.

Szenenbild aus „Strandrecht“
Szenenbild aus „Strandrecht“

Moralisches Verkommen mit Gott rechtfertigen

Die Dorfgemeinschaft ist gefangen zwischen Glauben und Armut. Um zu überleben, leiten sie fremde Schiffe auf die Klippen, plündern die Wracks und ermorden Überlebende. Dorfvorsteher und geistiger Anführer Pasko – von Bariton Brian Davis mit physischer wie akustischer Präsenz herausragend gestaltet – beherrscht die gesamte Klaviatur des Fanatismus, führt und hetzt gleichermaßen. Problemlos überzeugt er seine Anhängerschaft, dass sie die Auserwählten seien und ihr Tun gottgefällig sei. Smyth findet – wie so oft in diesem Werk – zu geistreicher musikalischer Ironie: Pasko rechtfertigt seinen Wahnsinn mit biblischen Vergleichen, während das Orchester ihn mit unschuldigen Ländler-Rhythmen begleitet.

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Gesanglich impulsiv

Konträr zu den dramatischen Ensembleszene des ersten Akts widmet sich der zweite Akt dem Protagonistenpaar Mark und Thurza. Ohne Chor, dafür mit einem elegischen Intermezzo und einer nicht minder spannungsgeladenen Orchestersprache. Die Liebenden sind die einzigen moralisch Integren des Dorfes. Mark, für den mit Marius Pallesen ein erfrischend jugendlicher Heldentenor gefunden wurde, entzündet Leuchtfeuer, um herannahende Schiffe zu warnen. Doch Pasko entdeckt ihn und stellt ihn zur Rede. Im dritten Akt eskaliert die Lage: Das Dorf hält Gericht und verhängt die Todesstrafe für die Verräter. In einem impulsiven Duett zeigt sich Pasko gnädig – doch nur gegenüber Thurza. Sie lehnt ab, bekennt sich zur Mittäterschaft und geht mit Mark in den Fluten unter. Mezzosopranistin Karis Tucker brilliert dabei mit schier unendlicher dynamischer Kraft.

Szenenbild aus „Strandrecht“
Szenenbild aus „Strandrecht“

Orchester und Chor – die treibende Kraft

„Strandrecht“ ist eine Geschichte moralischer Entgleisung, cineastisch erzählt und hochdramatisch orchestriert. Smyth entwickelt eine innovative tonale Sprache, die melodisch ungewöhnliche Wege geht, dabei weder Wagner kopiert noch Strauss vorwegnimmt. GMD Mark Rohde führte am Premierenabend die Schweriner Staatskapelle problemlos mit sicherer Hand durch Smyths orchestrale Eruptionen und setzt kluge, sparsame Akzente. Der von Aki Schmitt einstudierte Chor emanzipiert sich nach anfänglicher Unsicherheit und avanciert zum eigentlichen Star der Produktion. Eine umjubelte Premiere und gewiss eine der stärksten Inszenierungen am Haus in dieser Spielzeit.

Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Smyth: Strandrecht (The Wreckers)

Mark Rohde (Leitung), Daniela Kerck (Regie), Hannah König (Bühne), Andra Schmidt-Futterer (Kostüme), Astrid Steiner (Video), Aki Schmitt (Chor), Thomas Schmidt-Ehrenberg & Saskia Kruse (Dramaturgie), Marius Pallesen, Karis Tucker, Karen Leiber, Brian Davis, Martha-Luise Urbanek, Martin Gerke, Sebastian Köppl, Joa Helgesson, Opernchor und Statisterie des Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin






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