Die Oper „Penthesilea“ von Othmar Schoeck (1886-1957) macht das Bemühen um sein übriges Werk nachvollziehbar. Dieser archaische Wurf des Schweizers, der 1927 an der Semperoper uraufgeführt wurde, gehört durchaus in das Fach, in dem auch „Salome“ und „Elektra“ stehen. Am Meininger Staatstheater kann man jetzt erleben, wie Schoeck im Jahre 1943 geklungen hat, als er einen Auftrag für die Berliner Staatsoper erfüllte.
Die Musik legitimiert zumindest mit großem historischen Abstand auch einen szenischen Gegenwartstest. Obendrein ist der GMD der Meininger Hofkapelle Philippe Bach selbst Schweizer und das Orchester in einer Tradition, der sich auch Schoecks musikalische Sprache zuordnen lässt. Die Musiker machen ihre Ausgrabungssache im Graben denn auch großartig.
Ein ernsthafter Rehabilitierungsversuch, der schon vor Kriegsende wieder beiseite gelegten und dann ganz von den Spielplänen verschwundenen Oper bedurfte allerdings einer unumgänglichen Vorarbeit. Das Libretto mit dem sie uraufgeführt wurde, geht zwar auf eine Novelle von Joseph von Eichendorff von 1835/1836 zurück. Aber das Libretto des allzu völkisch dichtenden Hermann Burte galt gemeinhin als so platt zusammengereimt und zeitgeistkontaminiert, dass es einer Art später Entnazifizierung bedurfte, um die Musik für eine heutige Bühne zu retten. Dass selbst Hermann Göring diese Reimerei als „Bockmist“ bezeichnete, ist in dem Fall keine Ehrenrettung, weil er ausnahmsweise mal recht hat.
Das Schloss Dürande: Nähe einer Parodie
Im Rahmen eines Forschungsprojektes der Hochschule der Künste Bern hat Francesco Micieli für eine Neufassung des Textes mit direkten Rückgriffen auf Eichendorf gesorgt und der Chefdirigent des Berner Symphonieorchesters Mario Venzago dafür, dass es musikalisch wieder passt. Allerdings bleibt auch jetzt der Eindruck von zu viel Text mit hohlem Pathos obendrein in einer nervigen Reim-dich-oder-ich-schlag-dich
Noch dazu, wenn man sich, wie der regieführende Intendant Ansgar Haag, auf der Bühne jede ironische Distanz verkneift. Seine Ausstatter Bernd Dieter Müller und Annette Zepperitz haben alle Schauplätze in einem perspektivisch überzeichneten, leicht aus der Waagerechten gekippten Einheitsbühnenkasten untergebracht, der allein durch Überblendungen, knappes Interieur und die Kostüme zwischen Wald, Kloster, Paris und Schloss wechselt.
Liebe und Revolution
Die Story beginnt klassisch: der Grafensohn Armand (mit schönem Schmelz: Ondrej Šaling) liebt die Jägerstochter Gabriele (mit jugendlicher leidenschaftlich: Mine Yücel). Dem stehen Standesschranken entgegen. Die Französische Revolution beginnt sich gerade zusammenzubrauen, Motive aus der Marseillaise flackern als Denunziation von blutrünstig egoistischer Gewalt immer mal aus dem Graben auf und sind auch so gemeint. Auf der anderen Seite ist es Gabrieles Bruder Renald Dubois (Shin Taniguchi ist das stimmgewaltige Zentrum des Protagonisten – Ensembles). Mit einem patriarchalischen Furor, wie er heute vor allem dem parallelgesellschaftlichen Wertekanon zugerechnet wird, versucht er, im Namen der Ehre seiner Schwester versteht sich, dazwischen zu gehen.
Diese Melange setzt aber nicht nur die opernüblich tragische Liebesgeschichte in Gang, sondern wird auch auch gleich noch zum Katalysator für den Umsturz der Verhältnisse, für die Revolution. Und da gleich der Großen Europäischen, made in Frankreich. Vom provancalischen Schloss Dürande und aus dem Wald drumherum geht es in den sich dann doch ziemlich hinziehenden drei Stunden einmal nach Paris (also der Brutstätte von Sünde und Umsturz schlechthin) und wieder zurück.
Liebesduett kurz vor dem Knall
Der Bruder mit Besitzanspruch auf seine Schwester, der eigentlich ein treu dienender Jäger in seines Herren Dienst ist, wird aus ziemlich persönlichen Gründen der Revolutionär, der die Hochzeit des Grafen mit seiner Schwester erzwingen will (was überhaupt nicht nötig ist, da der sie freiwillig geheiratet hätte). In einem Anfall von Allmachtswahn und Revolutionseifer erschießt er seine Schwester und ihren Grafen. Als ihm der alte Diener Nicolas offenbart, dass sein Motive dafür nur eine fixe Idee waren und jeder Grundlage entbehrten, schnappt sich Renald eine Fackel und jagt das ganze Schloss in die Luft. Wenn man sich vorstellt, dass die Lindenoper nach einer ersten Zerstörung 1943 gerade wieder zusammengeflickt worden war, ist dieser Effekt dem Publikum gegenüber schon erstaunlich unsensibel….
Kurz vor dem großen Knall gibt es aber erstmal ein ausführliches Liebesduett mit Liebestod des tragischen Paares. Der Text bleibt – einmontierte Eichendorff-Zitate hin, Renovierung her – eher eine Zumutung und Geduldsprobe. Das wiegt schwerer, als dass die Französische Revolution dabei schlecht wegkommt. Deren Blutrausch ist ja keineswegs eine frei erfundene Verleumdung. Aber, dass Haag die Geschichte mit der Zurückhaltung, die gewöhnlich eine Uraufführung vor härteren Zugriff bewahrt, erzählt, das bekommt ihr nicht wirklich. Die von ihm angekündigte Verlegung in die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist jedenfalls so dezent (und auf Paris beschränkt), dass man sie auch übersehen kann.
Eine Überblendung mit der Entstehungszeit und ihren Verwerfungen ist wahrscheinlich zu viel verlangt von einem Staatstheater mit Stadttheatergröße und -ressourcen. Allein die zwei Dutzend Partien zu besetzten ist nicht ohne. Dabei macht Matthias Grätzel aus dem alte Grafen eine bizarre Studie zum Thema degenerierter Adel, gibt Anna Maia Dur der Priorin des Klosters dunkel raunendes Format und Sonja Freitag als Gräfin Morvaille eine kämpferische Royalistin. Die revolutionären Demagogen in Paris versuchen immerhin mit ihren Textbleigewichten an den Füßen vom Fleck zukommen. Bei den (von André Weiss tadellos einstudierten) Chorauftritten meidet die Regie jeden Versuch, der Enge des Raumes allzu viel Bewegung entgegen zusetzen.
Aufwand der Meininger verdient Respekt
Bleibt die Musik. Die hat – jenseits allen auch nur getarnten Moderneehrgeizes – immer dann eine gewisse Verschmitztheit, wenn lockere Klavierklänge das Parlando-Pathos von der Seite anrempeln. Was eine Gelegenheit zum Durchatmen bietet, wenn sich gerade mal wieder Endlos-Monologe miteinander verschlingen. Oder, wenn das Dauer-Parlando in einen Trab oder Galopp verfällt. Was sich daran melodisch gibt, wird immer wieder mit Pathos durchsetzt oder mündet in einem Orchester-Crescendo. Dann wieder hat man den Eindruck, dass Schoeck nur Volksliedhaftes zur großen Oper aufgeblasen hat. Vor allem weil hier bei aller Neubearbeitung eine Überdosis vor sich hingereimten Textes geblieben ist, touchiert der Abend auch musikalisch oft die Grenze zur unfreiwilligen Parodie. Man hört vor allem den Orchesterpassagen aber durchaus an, dass eigentlich die spätromantische Opulenz à la Richard Strauss auch für Schoeck wohl das Maß der Dinge war, das er freilich nicht erreicht.
„Operation geglückt, Patient weiterhin tot“, so schrieb ein Schweizer Kritiker nach der konzertanten „Begehung“ des renovierten Schlosses von Dürande in Bern. Nach der szenischen Besichtigung in Meiningen muss man das nicht revidieren. Anschauen und anhören sollte man sich das dennoch. Allein der Aufwand, den die Meininger hier treiben, verdient Respekt. Und der Opernfreund weiss mal wieder zu schätzen, was er an seinem Richard Strauss hat. Und, was er an Korngold, Schreker oder Zemlinsky haben könnte, wenn man die öfter zu sehen und zu hören bekäme.
Meininger Staatstheater
Schoeck: Das Schloss Dürande
Philippe Bach (Leitung), Ansgar Haag (Regie), Bernd Dieter Müller/Annette Zepperitz (Bühne & Kostüme), Corinna Jarosch (Dramaturgie), Ondrej Šaling, Matthias Grätzel, Anna Maria Dur, Sonja Freitag, Shin Taniguchi, Mine Yücel/Sophie Gordeladze, Roland Hartmann, Mikko Järviluoto, Remy Burnens, Daniel Pannermayr/Giulio Alvise Caselli, Robert Bartneck, Sanjun Lee, Heejoo Kwon/Imogen Thirlwall, Kylee Slee/Dana Hinz, Youngkyu Suh, Pedro Arroyo, Lars Kretzer, Kuk Sung Han, Sang-Seon Won, Thomas Lüllig, Steffen Köllner, Gerhard Goebel, Silvio Wild/Sanjun Lee, Axel-Michael Thoennes