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Opern-Kritik: Musiktheater im Revier – Oper Otze Axt

Punk punktet in der Oper

(Gelsenkirchen, 13.4.2025) Die mehr als schillernde Biografie des DDR-Punkrockers Dieter „Otze“ Ehrlich bietet eine (musik-)theatralische Steilvorlage, die das Kollektiv „Dritte Degeneration Ost“ weidlich zu nutzen weiß.

vonMichael Kaminski,

Opfer und Täter in gleich doppelter Weise: Keine Frage, die Biografie des DDR-Punkrockers Dieter „Otze“ Ehrlich bietet eine theatralische Steilvorlage. Im vorgeblich „real existierenden Sozialismus“ eröffneten sich ihm und seiner Band „Schleimkeim“ außerhalb des Schutzraums von Kirchen und wenigen privaten Locations keine Auftrittsmöglichkeiten. Dem Regime war Punk durch und durch verdächtig, die Beobachtung durch die Staatssicherheit permanent. Platten wie „DDR von unten“, die Tonträger-Inkunabel von Musikrichtung und Lebensgefühl unter sozialistischer Knute, mussten in Windeseile produziert werden. Otze kommt in Haft. Freiheit hat ihren Preis. Im Fall des Punkers, sich nun seinerseits als „Inoffizieller Mitarbeiter“ mit der Staatssicherheit einzulassen. Opfer wird der Rebell auch durch den ihm weder Blick noch Wort schenkenden Vater. Täter dagegen, indem der durch die deutsche Vereinigung restlos Entwurzelte zur Axt greift, um das männliche Elternteil abzuschlachten. Am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier kostet das unter „Dritte Degeneration Ost“ firmierende Musiktheater-Kollektiv die Optionen des Sujets schon im Libretto von „Oper Otze Axt“ weidlich aus.

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Szenenbild aus „Oper Otze Axt“
Szenenbild aus „Oper Otze Axt“

Einladung zum Pogo

Dessen Mitglieder Mathias Baresel, Frieda Gawenda und Richard Grimm ersinnen eine Partitur, aus der Noten wie für das wechselseitige Anspringen beim Pogo, dem szeneüblichen Tanz mit heftigem Körperkontakt, hervorbrechen und explodieren. Opernzitate, so der „Nabucco“-Gefangenenchor, muten der Ironisierung zu trotz überflüssig an. Gleichermaßen sinnig und skurril indessen, wie die ost- und westdeutschen Nationalhymnen aneinander zerschellen, bis sie musikalisch in Scherben und Splittern liegen. Kein Pogo eben, vielmehr tödliche Kollision. Die Autoren entwickeln das vor einem Monat am Staatstheater Darmstadt uraufgeführte Stück für das Musiktheater im Revier weiter. Was sich vor allem auf das Sounddesign auswirkt: Dafür zuständig, verquickt Antonia Alessia Virginia Beeskow Vokalpartien, Rockinstrumentarium samt der sechs Streicher der Neuen Philharmonie Westfalen konsequent mit Geräuschhaftem und bloßem Radau.

Szenenbild aus „Oper Otze Axt“
Szenenbild aus „Oper Otze Axt“

Packendes Crossover

Das Regieduo aus Romy Dins und Frithjof Gawenda vermag beides:  Während das Anarchische von Musik und Titelfigur sich austobt, wird nachvollziehbar, gar stringent, erzählt. Noch die vier konkurrierenden Dämonen aus Schläger, Tier, Magier und Schatten, in die sich des Punkers multiple Seele fortschreitend aufspaltet, agieren als tatsächliche auf den Vatermord zielende Intriganten. Gleichermaßen durch Taschenspielertricks und faulen Zauber profiliert sich der Magier unter ihnen, wenn es die deutsche Wiedervereinigung als Zwangsheirat ins Werk zu setzen und Otze zur Axt greifen zu lassen gilt. Die gewöhnliche Guckkastenbühne hätte sich mit dem Punk-Anarchismus kaum vertragen, die Podiumsbühne des Kleinen Hauses hingegen eignet sich vorzüglich für offene Formate wie „Oper Otze Axt“. Das RHO-Kollektiv stellt Käfige für den Punker ebenso wie seine Führungsoffizierin von der Staatssicherheit auf die Bühne. Nur, dass Otze den Ausbruch wagt, die Geheimdienstfrau aber den Knast, in dem sie sich befindet, gar nicht beachtet.

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Szenenbild aus „Oper Otze Axt“
Szenenbild aus „Oper Otze Axt“

Punk-Parsifal

Musikalisch gibt sich die knapp anderthalbstündige Crossover-Produktion als effektsichere Synthese aus Punk und Oper zu vernehmen. Dirigent Askan Geisler behält die musikalischen Fäden in der Hand: Zwar tendiert „Oper Otze Axt“ zum Punk-Konzert, bleibt aber doch Musiktheater. Mathias Baresel verleiht der Titelfigur bei aller Punk-Röhre vokal oft zugleich eine gewisse unerwartete Zartheit. Baresel agiert dann wie der „reine Tor“. Beinahe kommen Parsifal-Empfindungen auf. Als Magier fegt Mezzosopranistin Almuth Herbst stimmlich präsent und um keine Spiegelfechterei verlegen über die Bühne. Überhaupt erweist sich das gesamte Ensemble trefflich disponiert.

In ihre vorläufige Endrunde wird die Stückentwicklung ab Juli am Theater Bremen gehen.

Musiktheater im Revier
Grimm: Oper Otze Axt

Askan Geisler (Leitung), Antonia Alessia Virginia Beeskow (Sounddesign) Romy Dins, Frithjof Gawenda (Regie), RHO-Kollektiv (Bühne), Chiara Marcassa (Kostüme), Patrick Fuchs (Licht), Mathias Baresel, Antonia Alessia, Virginia Beeskow, Timothy Edlin, Frieda Gawenda, Almuth Herbst, Yevhen Rakhmanin, Thomas Brinkmann,  Neue Philharmonie Westfalen



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