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Opern-Kritik: Oper Leipzig – Herzog Blaubarts Burg/I Pagliacci

Nach dem Wäschewaschen auf die Piazza

(Leipzig, 7.4.2018) Im Duell der beiden Regisseuren des Doppelabends, Philipp J. Neumann und Anthony Pilavachi, heißt es am Ende klar: 0/1

vonJoachim Lange,

Mit „Herzog Blaubarts Burg“ haben die Opernhäuser ihre liebe Not. Die Musik steht für sich. Diese Art von märchenhaft verbrämter Seelenerforschung auch. Und doch kann man dem zahlenden Publikum im Repertoirebetrieb die Kurzoper alleine nicht zumuten. Es bleibt also immer die Frage, womit man den Einakter Bela Bartóks aus dem Jahre 1911 kombiniert. Das Risiko des Scheiterns ist da sehr hoch. Es gibt gelungene Beispiele einer inhaltlichen und musikalischen Verschränkung, doch die sind rar.

In Dessau etwa mit Bartóks Ballett „Der wunderbare Mandarin“ oder in Hamburg mit einer neuen Komposition von Peter Eötvös, der als Ungar ein besonderes Gespür für Bartóks Diktion hat. Szenisch blieb das in der Hand jeweils eines Teams. An der Oper Leipzig hat man jetzt gar nicht erst den Versuch gemacht, eine ästhetische Klammer zwischen der Neuinszenierung von „Blaubart“ und den hinzugefügten, nach drei Jahren wiederaufgenommenen „Pagliacci“ zu finden. So stehen also Bartóks und Leoncavallos Einakter nebeneinander. Christoph Gedschold obliegt es im Graben, mit einem Gewandhausorchester in hervorragender Tagesform, zwei recht unterschiedliche Facetten der Musikgeschichte nacheinander vorzuführen. Womit dann doch eine Klammer gefunden wäre.

Das Bild einer zerklüfteten Seelenlandschaft

„Blaubarts Burg“ beginnt mit dem gesprochenen Monolog. Hier greift Regisseur und Bühnenbildner Philipp J. Neumann auf das ungarische Ensemblemitglied Máté Gál zurück. Man darf also davon ausgehen, dass das nicht nur ungarisch klang, sondern auch „richtiges“ Ungarisch war. Weil er das vor dem geschlossenen, in Leipzig imponierenden und zum Innendekor des Hauses passenden eisernen Vorhang ablaufen ließ, war die Waschmaschine zu verschmerzen, die sich als eine Art optisches Leitmotiv für Blaubarts Ex-Frauen (nebst ihren Kindern) herausstellen sollte.

Wenn der Eiserne sich dann öffnet, nach oben und unten verschwindet und die Musik und das Spiel, das im Prolog angekündigt war, beginnt, taucht eine grüne Hügellandschaft im Nichts aus dem Dunkel auf. Für sich genommen macht das optisch Effekt. Dass es sich hier um das Bild einer zerklüfteten Seelenlandschaft handelt, wird auch klar. Es heißt, die Idee sei dem Regisseur auf Island gekommen.

Szenenbild aus "Herzog Blaubarts Burg"
Herzog Blaubarts Burg/Oper Leipzig © Tom Schulze

Getippt hätte man eher auf Irland. Hier versucht Judith Blaubart seine Geheimnisse zu entlocken. Hier wehrt Blaubart diese Versuche erfolglos ab und ringt vor allem mit sich selbst. Dabei läuft Tuomas Pursio als der an sich und seinem Hang zur Gewalt Leidende zu beeindruckender stimmlicher und darstellerischer Form auf, was Karin Lovelius als Judith nicht in dem Maße gelingt. Was auch daran liegen mag, dass dieser Blaubart mit der Landschaft vertraut scheint, während sie Judith fremd bleibt.

Psycho-Picknick auf der grünen Wiese

Sicher geht es nicht wirklich um Folter- oder Schatzkammern, um blutende Wände, einen Blick ins Land oder einen See aus Tränen. Aber es geht ums Geheimnisvolle, Unausgesprochene, das sich beim Psycho-Picknick auf der grünen Wiese nicht wirklich so vermittelt, dass es den Zuschauern den Atem verschlägt. Statt der Türen senkt sich hier jedes Mal ein Ventilator aus dem Schnürboden. Und die drei bisherigen Frauen Blaubarts erscheinen schließlich im Hintergrund vor einem zitierten Eisernen, jede neben ihrer Waschmaschine auf. Nebst wie die Mütter gekleideten Kindern, die vorher schon immer mal durch die Szene gelaufen waren.

Szenenbild aus "Herzog Blaubarts Burg"
Herzog Blaubarts Burg/Oper Leipzig © Tom Schulze

Auch Judith ist übrigens schon hochschwanger, seit sich Blaubart über sie hergemacht hat. Wenn mit diesem Waschsalon im Hintergrund das Banale triumphiert, gibt das der Geschichte und ihrer potenziellen Magie den Rest. So obliegt dem Orchester, dem vokalen Parlando (bei ihm mehr, als bei ihr) und der Phantasie des Zuschauers – nicht ganz freiwillig – sich das Geheimnisvolle zu imaginieren.

Süditalienisches Flair der 50er Jahre

Nach der Pause dann Leoncavallos populäres Verismo-Schmuckstück aus dem Jahre 1892 – zum musikalischen „Rückschritt“ jetzt der szenische Fortschritt. Antony Pilavachis „Bajazzo“-Version, die bei Ausstatterin Tatjana Ivschina süditalienisches Flair der 50er Jahre verbreitet, war schon einmal auf der Leipziger Bühne. Vor drei Jahren in Kombination mit dem „Gespenst von Canterville“ von Gordon Getty.

Da sich dieser musikalische Spuk nicht lange hielt, war der unverwüstliche „Bajazzo“ sozusagen die natürliche Reserve für einen Doppelabend. Da Pilavachi zu den Regisseuren gehört, denen ausdrücklich nicht egal ist, was aus ihren Inszenierungen wird, hat er es selbst neu einstudiert. Und das merkt man auch.

Szenenbild aus "I Pagliacci"
I Pagliacci/Oper Leipzig © Tom Schulze

Ein Toter mehr als gewohnt

Mit Gedschold am Pult sitzt der Schwung des Orchesters punktgenau. Und die Eifersuchtsstory nimmt musikalisch und szenisch präzise ihren Lauf. Am Ende bleiben nicht nur die leichtlebige Nedda und ihr Lover Silvio auf der Strecke, auch der betrogene Canio ersticht sich mit theatralischer Geste. So kommt von Luca Grassis (im Stück selbst fiesen) Tonio, der schon mit seinem Prolog fulminant gepunktet hatte, das „La commedia è finita!“. Gefeiert wurde natürlich auch der Canio von Zoran Todorovich.

Szenenbild aus "I Pagliacci"
I Pagliacci/Oper Leipzig © Tom Schulze

Mit sicher sitzender Höhe setzte er vor allem auf vokale Kraft. Aber man kann des Guten auch zu viel tun. Mit Eun Yee You als Nedda, Alik Abdukayumov als Silvio, Dan Karlström als Pepe war das vokale Niveau insgesamt in sicheren Kehlen. Mit der Frische von Chor und Kinderchor und dem italienischen Schwelgen und Temperament der Gewandhausorchesters begeisterte der zweite Teil das Publikum restlos.

Oper Leipzig
Bartók: Herzog Blaubarts Burg/Leoncavallo: I Pagliacci

Christoph Gedschold (Leitung), Philipp J. Neumann & Anthony Pilavachi (Regie), Philipp J. Neumann (Bühne), Karoline Schreiber (Kostüme), Tatjana Ivschina (Bühne & Kostüme), Karin Lovelius, Tuomas Pursio, Máté Gal, Zoran Todorovich, Eun Yee You, Luca Grassi, Alik Abdukayumov, Dan Karlström, Gewandhausorchester

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Weitere Termine: 21.4. & 9.6.2018

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