Mit diesem Werk wollte Schumann die deutsche Oper reformieren. Doch schon nach der Uraufführung musste „Genoveva“ harte Kritik einstecken. Das mag zum großen Teil am fadenscheinigen Libretto einer romantischen Rittergeschichte gelegen haben, das Schumann eigens nach Motiven von Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel erstellt hat. Stoff und Text waren in Zeiten der europäischen Revolution wohl doch zu sehr in der Vergangenheit hängengeblieben. Daran konnte selbst seine fortschrittliche Komposition nichts mehr ändern: Außergewöhnliche Stimmführungen, gewagte Dissonanzen und originelle Instrumentation kennzeichnen die Oper, die mehr klingt wie eine Sinfonie gepaart mit Kunstlied und die weniger in der Tradition des deutschen Singspiel- und Musiktheaters steht.
Rache aus Liebe
Im Mittelpunkt von Schumanns einziger Oper steht die mittelalterliche französische Sage der Pfalzgräfin Genoveva von Brabant. Während ihr Mann Pfalzgraf Siegfried gegen die Mauren in den Krieg zieht, führt die Gattin daheim einen blitzsauberen Lebenswandel. Dies allerdings nutzt Golo, der im Auftrag des Pfalzgrafen zuhause über seine Frau wachen soll, schamlos aus – wenn auch zunächst ohne Erfolg. Als sich Genoveva Golos Annäherungsversuchen entzieht und ihn gar als Bastard beschimpft, schlägt seine Zuneigung in zerstörerischen Hass um. Angestachelt durch seine der schwarzen Magie zuwandten Amme Margaretha, entwickelt Golo daraufhin schreckliche Rachepläne: Er sorgt dafür, dass der ahnungslose Haushofmeister Drago in Genovevas Schlafgemach aufgegriffen wird. Daraufhin beginnt ein schmerzvoller Leidensweg für Genoveva, den sie allein durch ihren unerschütterlichen Glauben durchsteht. Erst unmittelbar vor ihrer Hinrichtung wird sie durch ihren Mann gerettet. Doch nichts ist mehr wie früher.
Psychologisch statt naturalistisch
Regisseurin Yona Kim hat sich für eine psychologische Deutung des Stoffes entschieden. Das Bühnenbild weißt keine naturalistischen Züge auf, sondern strahlt zu Beginn hell erleuchtet, nur um am Ende umso deutlicher im Chaos und Dreck zu enden. Einzig ein hellbrauner Flügel mit Kerzenleuchter erinnert an die Zeit der Romantik. Neben dem Flügel, der sowohl optisch als auch akustisch eine entscheidende Rolle spielt – Yona Kim lässt die letzten beiden „Geister-Variationen“ nach dem dritten Akt spielen – ist der Zauberspiegel ein weiteres zentrales Motiv. Margaretha, die mit ihrer Verschlagenheit und schwarzen Magie als Gegenstück zu Genoveva steht, ebenso wie auch Golo und Siegfried ein Gegensatzpaar darstellen, eine Gespaltenheit, die Schumann selbst in seinem widerstreitenden Phantasiefiguren Florestan und Eusebius ausgelebt hat, lässt hin und wieder einen Blick in ihren Wunderspiegel zu. Darin zu sehen ist die Vergangenheit. Yona Kim nutzt dieses schwarze Loch zu einem vielschichtigen, parallel stattfindenden Spiel mit den Zeitebenen. Was ist vergangen, was ist Zukunft, was hätte passieren können?
In manchen Szenen knüpft Yona Kims Inszenierung auffällig an Martin Kušejs Züricher Inszenierung von 2008 an, beispielsweise bei der Zauberspiegel-Szene des dritten Akts, als Margaretha den Pfalzgrafen vom ehebrecherischen Treiben seiner treuen Gattin überzeugen will. Vielleicht eine Hommage an Nikolaus Harnoncourt, der der Meinung war, „dass Genoveva ein Kunstwerk ist, für das man auf die Barrikaden gehen muss”? Doppelbödig und zwiespältig ist die Welt, die Yona Kim in ihrer äußerst klugen Inszenierung entworfen hat, und die im Laufe des Abends mehr und mehr an Bedeutung sowie Dramatik gewinnt.
Grandiose Steigerung im Laufe des Abends
Auch das von Alexander Soddy geleitete Mannheimer Orchester wandelt sich während der Vorstellung mehr und mehr zu einer überzeugenden Einheit, sowohl für sich als auch gemeinsam mit dem Sänger-Ensemble, bei dem Astrid Kessler als Genoveva heraussticht. Mit ihrem vollen und perlend klaren Ton überzeugt sie sowohl sängerisch als auch spielerisch in ihrer Rolle der treuen Seele. Ihr Gegenpart Margaretha, gesungen von Maria Markina, betört mit furios und boshaft-dunkel getönter, kräftiger Strauss-Stimme. Andreas Hermann als böser, abgewiesener Möchtegernliebhaber Golo fällt dem gegenüber ein wenig ab. Zu betont sehnsüchtig und vibratoschwanger wirkt seine Stimme, die allerdings im Duett „Wenn ich ein Vöglein wär“ mit Genoveva wirkungsmächtig funktioniert und die innere Zerrissenheit der Figur sängerisch herausstreicht. Überzeugen konnte auch Evez Abdulla als Pfalzgraf Siegfried. Den einstigen Vorwurf mangelnder Dramatik konnten Ensemble und Regisseurin an diesem Abend jedenfalls entkräften. Am Ende hat man Feuer gefangen.
Nationaltheater Mannheim
Schumann: Genoveva
Ausführende: Alexander Soddy (Leitung), Yona Kim (Regie), Herbert Murauer (Bühne & Kostüme), Reinhard Traub (Licht), Albrecht Puhlmann & Cordula Demattio (Dramaturgie), Dani Juris (Chor), Astrid Kessler (Genoveva), Evez Abdulla (Siegfried), Andreas Hermann (Golo), Maria Markina (Margaretha), Thomas Berau (Drago), Bartosz Urbanowicz (Hidulfus), Valentin Anikin (Balthasar), Philipp Alexander Mehr (Caspar)