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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Giulio Cesare in Egitto

Ein Barockepos wird Filmmaterial

(Frankfurt, 24.3.2024) An der Oper Frankfurt erweist sich die Neuinszenierung von „Giulio Cesare in Egitto“ der Regisseurin Nadja Loschky als kongenialer Schachzug. Die gesamte Premierenbesetzung kann auf die für sie angemessene Weise glänzen. Dirigent Simone Di Felice startet seinen Händel-Klang nüchtern, baut aber im Verlauf des Stücks ein affektreiches Farbspektakel auf.

vonPatrick Erb,

Prolog. Feldherr und Diktator Giulio Cesare steht auf der Bühne. Genüsslich und sichtlich mit sich selbst zufrieden verschlingt der Liebhaber Cleopatras ein hartgekochtes Ei vor den Augen des Frankfurter Premierenpublikums, bevor auch dem Cesare seine Machtfülle zu Kopfe steigt: aus den Lautsprechern der Frankfurter Oper tönen „Cäsar“-Rufe, der Machthaber bricht zusammen – Film ab!

Mit der Ouvertüre beginnt Georg Friedrich Händels wohl bekanntestes Werk, doch sagt der kurze von der Regie eingefügte Prolog viel über die Inszenierung und den Titelhelden. Nadja Loschky, die für diese Inszenierung die Verantwortung übernommen hat, versteht das barocke Historienspektakel um den namengebenden Vertreter römischen Cäsarentums als ein Filmdrehbuch. Dieser Vorstellung Rechnung tragend wird die Frankfurter Opernbühne zur Filmrolle. Szene für Szene arbeiten sich die Sequenzen voran, das Bühnenbild rückt von rechts nach links weiter.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Die farblose Antike

Für dieses wiederum zeichnet Etienne Pluss verantwortlich, der einen strengen Klassizismus propagiert: verzierungsarme Wände, dazu Säulen und Pilaster ohne Kapitell, hinter denen Licht und Darsteller Zugang zur Bühne haben, und einige Ziersockel mit Cäsarbüsten. Das alles wie auch die Kostüme sind in einem nicht minder klassizistischen Weiß gehalten. Später kommen noch wenige andere Elemente und ein Tableau mit Gartenperspektive hinzu. Ein wenig mehr Farbe hätte der Inszenierung gut zu Gesicht gestanden. Man könnte glauben, Loschky und Pluss verhandeln den ewigen Gelehrtenstreit darüber, ob die Antike weiß oder bunt gewesen war, auf offener Bühne aus. Nur Barock ist keine Antike, Alexandria nicht Rom. Trotzdem ist das Gesamtkonzept in Schachbrettästhetik überzeugend und schlüssig.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Ave Cäsar – Ave mir

Genug inszenatorische Möglichkeiten also, die Titelfigur Giulio Cesare mächtig glänzen zu lassen. Für den hat man in Frankfurt mit Lawrence Zazzo auch eine Koryphäe gefunden. Denn gerade noch gut genug aussehend, um in sich selbst verliebt zu sein, lebt, liebt und leidet Zazzo den von sich selbst nur in höchsten Tönen sprechenden Despoten. Man kann an dieser Stelle nur an Alain Delon denken, der in Asterix-Verfilmungen schon als Cäsar fungierte – wo ist nur der Spiegel, den man braucht um sich an seinem Ebenbild zu ergötzen?

Gesanglich indes braucht es für Zazzo keine Selbstvergewisserung. Der Countertenor beherrscht das komische wie melancholische Fach bestens. Die Intonationen der Rezitative dabei ebenso vielfältig wie die Ausdrucksmöglichkeiten seiner professionell geschulten Mimik. Nur bei den Koloraturen, von denen Giulio Cesare nicht wenige singt, fehlt oftmals Ausdauer. Da kommen die anderen Sänger zu beeindruckenderen Ergebnissen.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Frankfurt – Ein Schmelztiegel der Debütanten

Ist die Kritik an Zazzo Jammern auf hohem, so gibt es auch Freuden auf sehr hohem Niveau. Sopranistin Pretty Yende gibt im Frankfurter Opernhaus ihr Rollendebüt als Cleopatra und darf damit als ideale Besetzung gelten. Ihr etwas kühlerer, aber kristallklarer Sopran ist für die ägyptische Herrscherin und Frau von Welt eine angemessene Färbung, was vermutlich die Lamento-Arie „Che sento?“ im Finale des zweiten Aktes wie kein anderer Teil der Oper beweist. Große Sprünge trifft sie zielgenau, diatonische Übergänge wie auch Koloraturarien gelingen in geölter Perfektion.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Ebenso ihr Rollendebüt gibt Bianca Andrew als Sesto. Der Sohn von Pompeo sieht es als seine Pflicht an, Tolomeo zu töten. Nur durch den Tod des Bruders und Feindes von Cleopatra kann Sesto seinen Vater rächen. Andrew ist dabei für den noch jungen und verweichlichten androgynen Jungen die ideale Besetzung. Wut, Angst, Selbstzweifel und Tatendrang finden in der affektreichen und dynamisch gewaltigen Stimme Andrews einen gebührenden Klangkörper. Beeindruckend das herzergreifende Duett „Son nata a lagrimar“ mit der Mutter Cornelia (Cláudia Ribas), in welchem beide ihren Frust und ihre Verzweiflung in eine klingende Form gießen können. Andrews katapultiert sich damit auf die Position des Publikumslieblings.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Barocke Kostümierung

Schließlich war der 1997 in Sankt Petersburg geborene Iurii Iushkevich wahrlich ein Fabergé-Ei im Besetzungsnest dieser vorösterlichen Vorstellung. Im Frankfurt- und Rollendebüt des Cleopatra-Vertrauten Nireno verzauberte der junge Sänger zu Recht mit gekonnter Koloraturtechnik das Publikum. Wegweisend dabei auch sein Kostüm, dessen Maschen so verzahnt ineinandergreifen, wie die Sechszehntelketten der beiden Bravourarien.

Generell sind die Kostüme der beiden Fraktionen, Ägypter und Römer, von befreiender Ambivalenz. Das zarte, in der Regel bei Operetten vorzufindende Maß an Genderfluidität steht dem Werk gut zu Gesicht – die barocken Brechungen in den Lederröcken der Römer und den crèmefarbenen Gewändern der Ägypter entziehen sich langweiliger Bipolarität und zahlen auf das Konto freier Gestaltbarkeit ein. Die Gefühle der Protagonisten sind so ambivalent wie ihre Kostümierung.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Die Krone der antagonistischen Schöpfung

Doch fast schon wie Zierwerk wirkt das alles im Angesicht von Nils Wanderer, der mit der Rolle des Tolomeo betraut wurde. Der Countertenor, der im Februar bei der „Lear“-Premiere der Staatsoper Hannover mit einem orpheischen Edgar glänzte, setzt in Frankfurt seine Erfolgsserie fort. Genialistisch spielt Wanderer den widerwärtigen und lüsternen Gegenspieler Cleopatras. Fast schon zu perfekt sind die Dekadenz-Allüren des fülligen, bleichen und mit blondem Haar versehenen Triebtäters. Man kommt nicht umhin, in Loschkys Konzept einen Verweis auf die Judisch-Claudischen Kaiser zu sehen, deren Stammvater Augustus zunächst Julius Cäsar und dann Kleopatras Geliebten Marcus Antonius auf dem Gewissen hatte – der subtile Wink mit dem Zaunpfahl ist da, und Wanderer verschmilzt mit der Rolle, sein lyrisch-weicher Gesang und seine schauspielerische Bandbreite machen den Sänger zu einem der genialsten Countertenöre der jüngeren Generation.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Dramatische Steigerungskurve

Musste man sich zunächst sorgen, dass die Partitur von Händel durch die Augen von Dirigent Simone Di Felice sehr nüchtern gelesen wird, in ihr wenig Unerwartetes und eine wenig bunte Blüten tragende Interpretation zu Gehör kommt, so wurde man zunehmend überrascht, in welcher thematischen Übereinstimmung der Italiener seine Musik an die cineastische Inszenierung heranführt. Mit jeder Arie mehr steigt die Spannungskurve an. In Frankfurt wird Händel zu einem umjubelten Monumentalfilm in Starbesetzung.

Oper Frankfurt
Händel: Giulio Cesare in Egitto

Simone Di Felice (Leitung), Nadja Loschky (Regie), Etienne Pluss (Bühnenbild), Irina Spreckelmeyer (Kostüme), Joachim Klein (Licht), Tilman Michael (Chor), Lawrence Zazzo, Pretty Yende, Cláudia Ribas, Bianca Andrew, Nils Wanderer, Božidar Smiljanić, Jarrett Porter, Iurii Iushkevich, Chor der Oper Frankfurt

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