Als „dramatisches Oratorium“ bezeichneten der Schweizer Komponist Arthur Honegger und der französische Dichter Paul Claudel ihr 1938 uraufgeführtes Stück, das nur höchst selten inszeniert auf einer Opernbühne zu sehen ist. Der Uraufführungszeitpunkt legt nahe, dass mit den destruktiven Kräften, die die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc nach einer lachhaft unseriösen Gerichtsverhandlung auf den Scheiterhaufen bringen, eher die deutschen Nationalsozialisten gemeint waren als die Engländer im über 500 Jahre zurückliegenden 100jährigen Krieg.
„La Fura dels Baus“ ohne die übliche Überwältigungsgeste
Angenehmerweise verzichtet Alex Olle vom katalanischen Theaterkollektiv „La Fura dels Baus“ darauf, diesen historischen Zusammenhang in den Mittelpunkt seiner Inszenierung zu stellen. Ihm geht es eher um die überzeitlichen Komponenten, das Korruptionspotenzial von Macht und Geld und die Abstumpfung eines Volkes in Krisenzeiten, an denen der idealistische, wenn auch tatkräftige einzelne Mensch geradezu notwendig scheitern muss. Olle, Alfons Flores (Bühne) und Lluc Castells (Kostüme) führen das in drastischen Bildern vor, die – ungewöhnlich für „La Fura“ – ohne jede Überwältigungsgeste daher kommen, sondern mit fast brechtisch schärfender Distanz. Die Politiker sind in überzeitlichen Pelzmantel-Pomp gehüllt, die Herrscher sind Kinder in Uniform, das Volk stellt seine Mängel in Form von Nacktheit mal hemmungslos aus, mal verhüllt es sie schamhaft.
Fremdkörper in einer gewaltigen Maschine
Jeanne d’Arc ist, in Gestalt der souveränen Schauspielerin Johanna Wokalek, auch räumlich der Mittelpunkt dieser intensiv dreckig anmutenden Anti-Utopie.
In Jeans und Top nahezu bewegungsunfähig auf einem kleinen Podest an eine senkrechte Traverse gelehnt, muss sie den Schmutz um sich herum, für den sie ja eigentlich gekämpft hat, leidend ertragen. Ihre im französischen Original vorgetragenen Dialoge mit dem „vom Himmel herab gesandten“ Mönch Dominique strukturieren die Handlung und treiben sie voran. Wokalek und der französische Schauspieler Sebastien Dutrieux machen das hervorragend, bekommen aber vom Regieteam wenig Hilfe, wirken so, was vielleicht auch gewollt ist, fast wie Fremdkörper in einer gewaltigen Maschine.
Ein deutlich durch Wagners Musik eingefärbter Debussy bereichert Honegger
Für die dritte, aus heutiger Sicht wohl am schwierigsten zu vermittelnde Figurenebene, die Heiligen im sehr katholischen Himmel, hat Alex Olle hingegen eine so ungewöhnliche wie tragfähige Lösung gefunden; er stellt der 80minütigen „Jeanne d’Arc“ Claude Debussys kurzes Poeme lyrique „Mademoiselle élue“ voran, das den Wunsch einer Gestorbenen artikuliert, im Tod dauerhaft mit ihrem noch lebenden, geliebten Partner zusammen sein zu dürfen. Die deutlich durch die Auseinandersetzung mit Wagner gefärbte Musik des jungen Debussy grundiert den Abend als Mysterienspiel.
Elisabeth Reiter singt die liebende Frau im selben güldenen Foliengewand wie später die heilige Margarete. Katharina Magiera ist hier noch die erdenschwere Erzählerin. Später wird auch sie sich das Heiligengold und die Rauschgoldengelperücke anziehen und mit ihrem prägnanten, hinreißend schlank geführten Alt als heilige Katharina musikalisch das Finale anführen, auch räumlich im oberen Teil der vertikal konstruierten Bühne, deren Gestaltung der Klangarchitektur Honeggers nahezu vollendet entspricht.
Marc Soustrot erschafft eine einzigartige musikalische Wunderwelt
Der Klang ist bei Marc Soustrot und dem Opern- und Museumsorchester in fantastischen Händen. Immer wieder fasziniert, wie unverfroren diese immer wieder keck postmoderne Musik in Opposition zu den oft arg pathetisch spirituellen Texten tritt, ohne dem Glauben des Textdichters und der Unbedingtheit der Protagonistin den schuldigen Respekt zu verweigern. Soustrot erschafft eine einzigartige musikalische Wunderwelt, in der Klaviere, Celesta und die frühelektronische Ondes Matenots für die besonderen Momente zuständig sind. Engagiert, fast glücklich verrichtet der Chor sein forderndes Werk, genau wie sämtliche Sänger und Sprecher in den kleinen Rollen. Musikalisch ist diese „Jeanne d’Arc“ nahezu perfekt, szenisch über weite Strecken packend und bedenkenswert. Mit der Hauptfigur, zumal wenn sie von einer so herausragenden Schauspielerin gestaltet wird, könnte ein der psychologischen Feinarbeit zugeneigter Regisseur sicher erheblich mehr erreichen.
Hier können Sie einen Blick hinter die Kulissen der Produktion werfen:
Oper Frankfurt
Debussy: La Damoiselle élue / Honegger: Jeanne d’Arc au bûcher
Marc Soustrot (Leitung), Alex Olle (Regie), Susanna Gomez (Regiemitarbeit), Alfons Flores (Bühne), Lluc Castells (Kostüme), Franc Aleu (Video), Tilman Michael (Chor), Markus Ehmann (Kinderchor), Johanna Wokalek (Jeanne), Sebastien Dutrieux, Katharina Magiera, Elizabeth Reiter, Elizabeth Sutphen, Peter Marsh, Dietrich Volle, Etienne Gillig, Cedric Chayrouse, Konstantin Bühler, Chor, Extra- und Kinderchor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester