Ist es wirklich die „Macht des Schicksals“, die rechtfertigt, was Verdi hier vertont hat? Oder ist es nicht eigentlich „nur“ ein „Triumph des Zufalls“? Schon, dass die Waffe einfach losgeht, wenn sie der indianische Liebhaber Leonoras, Don Alvaro, wegwirft und dann den Vater der Geliebten auch noch tödlich trifft, ist so eine Sache. Für Verdi keine Hürde, um nicht nur ein Schicksalsmotiv raunen zu lassen, sondern darauf eine ganze Oper zu errichten. Inklusive der Choreinlagen, die das Kriegerleben illustrieren, bis hin zu der sonderbaren „Rataplan“-Einlage. Mit diesen Unwahrscheinlichkeiten bleibt das Libretto von Francesco Maria Piave (1862) allerdings durchaus bei dem, was Oper auch sonst so bietet und der Logik zumutet.
Wenn Verdi die Pferde durchgehen lässt
Geboten werden eine außergewöhnliche, unerfüllte Liebe, ein potentieller Schwiegervater als Kollateralschaden und ein eifersüchtiger Bruder, der seinen Rache- und Ehrenmord-Furor bis zum bitteren Ende durchhält. Dazu die irrtümliche Freundschaft von Liebhaber Alvaro und Bruder Don Carlo, weil der eine dem anderen im Krieg das Leben gerettet hat. Und eine dunkel raunende Zigeunerin, Leonoras Flucht unter den Schutz des Kreuzes und schließlich ein tödlicher Showdown. Da ist Alles drin für einen musikalisch mitreißenden Verdi, der bei seiner Nummern-Collage halt auch manchmal die Pferde durchgehen ließ.
Imponierende Gewalt der Stimmen
Und da bietet die Oper Frankfurt wie immer Beachtliches auf. Der Italiener Jader Bignamini heizt dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester ordentlich ein, und die Musiker ziehen mit. Sie machen den Sängern aber das Leben nicht schwer, sondern tragen sie durch den Abend. Es ist imponierend, mit welcher dunklen Stimmgewalt Christopher Maltman als Don Carlo hier auf dem vokalen Rachekriegspfad wandelt. Franz-Josef Selig ist zunächst der gleich am Anfang erschossene Vater Leonoras, kommt aber zum Glück in der Rolle des (meistens) gütigen Padre Guardiano zurück. Vor allem wenn Hovhannes Ayvazyan das Podest der hohen, strahlenden Töne verlässt, ist seine gaumige Verengung ein Problem, gleichwohl gestaltet er seinen Don Alvaro eindrucksvoll.
Michelle Bradley ist eine großformatige Leonora, die schnell zum ausgeglichenen, leidenschaftlichen Ton findet. Tanja Ariane Baumgartner ist eine erstklassige Preziosilla, auch wenn sie bei der Aufmunterung der Truppen vokal nicht ganz die „abhebende“ Durchschlagskraft, die ihr die Szene verordnet, liefert. Das übrige Ensemble bewegt sich – ebenso wie der von Tilman Michael einstudierte, verstärkte Chor auf dem üblich hohen Niveau des Hauses.
Nordamerikas tiefverwurzelter Rassismus
Am Ende war das Premierenpublikum gleichwohl etwas irritiert, denn Tobias Kratzer mutet dem Stück und den Zuschauern eine radikale (Selbst-) Befragung zu. Er fügt der Macht der Stimmen und der Musik jene der Bilder, die wir im Kopf haben, hinzu. Und behandelt am Beispiel Nordamerikas explizit den Beitrag eines tiefverwurzelten Rassismus von den Hochzeiten der Sklaverei bis hin zur (weißen) Polizeigewalt gegen Farbige in der unmittelbaren Gegenwart beim Walten des Schicksals. Hört man genau hin, dann kommt tatsächlich häufig ein rassistisches angehauchtes Vokabular im Text (von Fremdling bis Mulatte) in abwertendem Sinne vor.
Krasse Bilder aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit
Während der Ouvertüre, bei geschlossenem Vorhang, blitzt zu einem musikalischen Ausrufezeichen ganz kurz das Foto eines Erhängten auf. Man hätte es für einen Fehler halten können. War es aber nicht. Kratzer, Rainer Sellmaier (Ausstattung) und Manuel Braun (Video) setzen diesmal auf ein Spiel mit Bildern, die sich im kollektiven Gedächtnis der Menschheit eingebrannt haben. Die erste Szene im Hause Calatrava, bei der der Verehrer Leonoras in einer Rangelei aus Versehen deren Vater erschießt, gibt es als Spiel auf der fast leeren Bühne und parallel (aber nicht synchron) dazu als Film im Hintergrund.
Als Südstaaten-Geschichte – im Film hat die weiße Tochter des Hauses einen dunkelhäutigen Verehrer – auf der Bühne verhält es sich mit der Hautfarbe der Protagonisten, ob nun Besetzungszufall oder nicht, genau umgekehrt. Auch die zweite Szene bleibt im zeitlichen Rahmen des amerikanischen Bürgerkriegs. Die Südstaatenflagge ziert die Bühne eines Salons – die Soldaten schießen aus Vergnügen auf einen Abraham Lincoln-Aufsteller. Alle haben grobe Schwellköpfe auf – ästhetisch geht es damit vom Film geradewegs zum Comic.
Playboy Bunny-Ohren und Stummelschwänzchen
Die Kriegs- und Schlachtenszenen verlegt Kratzer dann nach Vietnam. Mit den berüchtigten Hubschrauber-Flügen, durch die Wagners Walkürenritt zu späten Nachruhm kam. Für die GIs im Dschungeleinsatz fliegt auch die Truppenbetreuung ein. Knapp bekleidet in den Farben der Flagge, mit Playboy Bunny-Ohren und Stummelschwänzchen auf den knappen Trikots. Das sind aber keine späten Nachfolger von Marlene Dietrich. Mit Masken von Kennedy, Nixon und Marilyn spielen sie den johlenden Truppen mit einem Kunstphallus die Vergewaltigung eines Vietcong vor.
Diese metaphorische Truppenbetreuerin setzt dann aber noch einen drauf und stiftet die Soldaten zu einer Runde russisches Roulette an, für die eine Gruppe von (echten) Vietnamesen zusammengetrieben wird. Schießen muss der Schwarze unter den GIs. Wenn der Vietnamese zu Boden sinkt, steht die Erinnerung an jenes Kriegsfoto im Raum, auf dem der Polizeichef von Saigon einen Zivilisten mit einem Kopfschuss auf offener Straße erschießt.
Angekommen in der Gegenwart
Das Finale geht schließlich in einem tristen Motel über die Bühne. Ästhetisch schließt sich der Kreis – die Aktion auf der Bühne findet wieder eine Entsprechung im Film dahinter. Die Akteure sind in der Gegenwart angekommen. Am Ende kommen (weiße) Polizisten, erschießen Alvaro, arrangieren den Tatort so, dass es keine „dummen“ Fragen gibt.
Kratzer nimmt den Thriller auf seine Weise für bare Münze, zeigt das Verhängnis, das über dem Schicksal der einzelnen waltet, immer im Kontext eines größeren gesellschaftlichen Zusammenhangs. Schicksal ist hier der ererbte Rassismus, aber auch die psychische Verheerung, die Krieg und Gewalt anrichten. Hier wird nicht eine undurchschaubare, dunkle Macht beschworen, sondern der Scheinwerfer auf reale Verhältnisse gerichtet. Und zwar ziemlich grell. Raus kommt ein packender Opernabend, dessen Zwang zum Befragen der eigenen Erinnerung und Haltung, manchen im Publikum zu weit ging.
Sehen Sie hier den Trailer zur Inszenierung an der Oper Frankfurt:
Oper Frankfurt
Verdi: La forza del destino
Jader Bignamini (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Bühnenbild & Kostüme), Manuel Braun (Video), Joachim Klein (Licht), Tilman Michael (Chor), Konrad Kuhn (Dramaturgie), Franz-Josef Selig, Michelle Bradley, Christopher Maltman, Hovhannes Ayvazyan, Tanja Ariane Baumgartner, Craig Colclough, Nina Tarandek, Dietrich Volle, Michael McCown, Anatolii Suprun, Chor und Extrachor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester