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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Pénélope

Zweifel und Sehnsucht

(Frankfurt, 1.12.2019) Die Inszenierung von Corinna Tetzel zeigt den Zerfall der geschlechtlichen Rollenmuster um 1900 in packenden, dabei oft plakativen Bildern.

vonRoland H. Dippel,

Von allen Methoden des Komponierens hielt Gabriel Fauré das „Wagnersche System“ für seine einzige Oper „Pénélope“ das beste. Im Projekt „The secret Fauré“ des Basler Sinfonieorchesters zeigt sich zum Beispiel, dass der Schöpfer von Mélodies und phänomenaler Kammermusik auch in anderen Gattungen experimentierte. Fauré amalgamierte in seiner 1913 durch den Theaterzaren Raoul Gunsbourg in Monte Carlo uraufgeführten, doch erst in Paris annähernd erfolgreichen „Pénélope“ auf das Textbuch von René Fauchois also Konzepte der Wagnerschen Musikdramaturgie. Doch ebenso bedeutend für die ariose Grundstruktur dieser Partitur, die durch ausgezehrte, fragwürdige Opulenz eindeutig zur Tonsprache des frühen 20. Jahrhunderts gehört, sind Vorbilder wie Berlioz, Debussy und die Lust an Grausamkeit in der Literatur der Décadence. Demzufolge handelt es sich bei Faurés „Pénélope“ noch um anderes als die Wiedervereinigung des 20 Jahre durch den Trojanischen Krieg und die Irrfahrten des Ulysse getrennten homerischen Paares: Denn in dessen Charakterisierung sind alle virulenten Krisen der geschlechtlichen Rollenmuster um 1900 implantiert. Die Inszenierung der Frankfurter Erstaufführung zeigt den Zerfall in packenden, dabei oft plakativen Bildern und lässt Faurés „Poème lyrique“ in Ratlosigkeit zerfleddern.

Atmosphärische Fäulnis

Szene aus „Pénélope“ an der Oper Frankfurt
Szene aus „Pénélope“ an der Oper Frankfurt

Ein Zusammenfinden nach langer Trennung, die Überwindung von Fallstricken der eigenen Psyche und die Annäherung an Verlorenes standen für die der Frankfurter Oper lange verbundenen Regisseurin Corinna Tetzel und ihre Dramaturgin Stephanie Schulze im Fokus der Vorüberlegungen. Diese verloren sie während der Proben aus den Augen und gewannen dafür spannendes Terrain durch bohrende Zweifel und Inkonsequenz. So schälte sich ein neues Bild der Pénélope heraus. Diese erwehrt sich im Hosenanzug der Freier-Meute und will doch lieber Frau sein im weißen Kleid, das aus Fetzen des als Hinhaltetaktik gewebten und heimlich aufgetrennten Sterbehemds für den hinfälligen Schwiegervater an ihr klebt. Überall im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic lauert Fäulnis: Auf der Dachterrasse mit der verrosteten Antennenschüssel und am von grauer Diesigkeit verdüstertem Himmel, unter welchem Massen darben. Der chorische Wohlklang ist wie Donnergrollen. Am Warten leiden alle. Erst das explosive Fanal könnte, egal wie, den freieren Umgang zwischen den Geschlechtern ermöglichen.

Fauré also wie unter der schreienden Dunstglocke der vier Jahre früher uraufgeführten „Elektra“ von Strauss: Pénélope visioniert Blut und Gedärme an Mauern. Die Kluft zwischen Frau und Mann wird nicht geringer, der Terrassenboden spaltet sich zum gezackten Riss: Auf der einen Seite Pénélope mit Ulysse, der einem müden Firmenvorstand ähnlicher sieht als einem gegerbten Abenteurer. Auf der anderen Seite die Freier wie Blätter im Sturm und nach dem Verlust ihres Jagdziels ohne Rückgrat. Die Bogenprobe findet nicht statt. Dieses szenische Loch verrät mehr über die Sinnkrise als ein aktionsreiches Katastrophenfinale.

Generalthema: Geschlechterskepsis

Szene aus „Pénélope“ an der Oper Frankfurt
Szene aus „Pénélope“ an der Oper Frankfurt

Pénélopes Weigerung zur Wiederverheiratung bremst und pervertiert die kreatürliche Anziehungskraft zwischen Frau und Mann. Die Mägde singen von Begehren. Doch das Paarungsverbot mündet in Destruktion, Gefühl gipfelt in Gewalt. Corinna Tetzel, der Raphaela Roses Kostüme mit Krawatten und Schleiern reichlich Gelegenheit zum Spiel zwischen Koketterie und Schändung geben, rettet sich in einseitige Schuldzuweisungen an die böse männliche Gier. In solchen Momenten wird die Inszenierung stumpfer als Fauré, der die Freier als grölenden Haufen auftreten lässt und diesen differenziert, ja sensibel auffächert.

Rinnsale der bleiernen Zeit interessieren nicht. Ulysses uralte Amme Euryclée ist blutjung, also lässt Joanna Motulewicz gleichgültig. Telemach, der Sohn des Paares, fehlt in dieser Oper und der Hirt Eumée (zwangsläufig unprofiliert: Božidar Smiljanić) wird nicht als ein in der höfischen Sphäre Fremder eingeführt. So versetzt Tetzel den Mythos in die Liebesleid-Endlosschleife. Der fatale Magnetismus zwischen den Geschlechtern wird zur Hölle.

Paul Dukas hatte in seiner Oper „Ariane et Barbe-Bleu“ noch den Hoffnungsfunken, dass Ariane am Ende über alle Berge ist. Aber Tetzel und Joana Mallwitz am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters raffen sich nicht zur tröstlichen Geste auf. Sängerisch und instrumental ist dieser Widerstand meisterhaft und gar nicht schroff, sondern auf hohem Niveau gerundet. Trotzdem klingt Fauré so, als hätte er Massenet gehasst, und die Orientierung an Wagner dient als stabiles Baugerüst, bei dem man an Maschinenöl und Lack sparte. In Gestalt der wasserklaren Paula Murrihy kommt Pénélope offenbar aus Skandinavien, nicht aus der Ägäis. Sie weiß, warum sie fühlt, fühlen muss und sich von Gefühlen nicht überwältigen lassen darf, singt deshalb weniger lyrisch flutend als mit melodisch-rhetorischer Eloquenz. Èric Laporte taktet sich die zwanzigminütige Zentralszene mit der verunsicherten Gattin genau ein und verrät mit souveränem, hier leicht angetrocknetem Tenor nur zögernd, dass er die Ehe für mehr hält als eine Zweckgemeinschaft. Epische Kühle herrscht in Frankfurt anstelle warmer Sehnsucht. Die Deutung von Joana Mallwitz ist wie Tequila mit Salzrand. Im Applaus schwingt Bewunderung für die Demontage der in „Penélope“ möglichen Schwelgerei. Die heroische Protagonistin bleibt nicht unberührt von dieser Skelettierung und einer Lesart des Mythos, die Begehren als zerstörerischen, aggressiven Impuls darstellt. Zweifel triumphieren auch durch die plausible, starke Kompetenz, mit der Mallwitz, Tetzel und Paula Murrihy Faurés Oper zum Spiegel eines kollektiven Unbehagens machen. Vor diesem ist die Gegenwart so wenig geschützt wie Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg.

Oper Frankfurt
Fauré: Pénélope

Joana Mallwitz (Leitung), Corinna Tetzel (Regie), Rifail Ajdarpasic (Bühne), Raphaela Rose (Kostüme), Jan Hartmann (Licht), Bibi Abel (Video), Markus Ehmann (Chöre), Stephanie Schulze (Dramaturgie), Paula Murrihy (Pénélope), Eric Laporte (Ulysse), Joanna Motulewicz (Euryclée), Božidar Smiljanić (Eumée), Peter Marsh (Antinoüs), Sebastian Geyer (Eurymaque), Ralf Simon (Léodès), Dietrich Volle (Ctésippe), Danylo Matviienko (Pisandre), Nina Tarandek (Cléone), Angela Vallone (Mélantho), Bianca Andrew (Alkandre), Julia Moorman (Phylo), Monika Buczkowska (Lydie), Solistin des Kinderchores der Oper Frankfurt (Ein Hirte)

Sehen Sie den Kurzfilm von Thiemo Hehl zur Frankfurter Erstaufführung von Faurés „Pénélope“:

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