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OPERN-KRITIK: OPER IM STEINBRUCH ST. MARGARETHEN – AIDA

Tal der Könige im Burgenland

(St. Margarethen, 10.7.2024) Beim Festival Oper im Steinbruch blickt Regisseur und Bühnenbildner Thaddeus Strassberger mit „Aida“ bildmächtig in die Jenseitswelten der Pharaonen. Die Premiere gerät mitreißend.

vonEcki Ramón Weber,

Die Oper „Aida“ entstand einst als glanzvolles Prestige-Projekt. Ursprünglich sollte Giuseppe Verdi 1869 eine Hymne anlässlich der Eröffnung des Suezkanals und des neu erbauten Opernhauses von Kairo beisteuern. Die Arbeit an einem solchen Gelegenheitswerk lehnte der berühmte Opernkomponist jedoch ab. Stattdessen konnte er von den ägyptischen Auftraggebern bewegt werden, ein neues Musiktheaterwerk zu komponieren. Der Rest ist Geschichte: „Aida“ kam am 24. Dezember 1871 in Kairo zur Uraufführung. Das Werk ist nicht nur eine der populärsten Verdi-Opern, sie ist auch ein Hit in Arenen und Amphitheatern. Kein Wunder: „Aida“ dockt an die Prachtentfaltungen in der Tradition der französischen Grand Opéra an, mit ihren Schaureizen, mit politischen Machtdemonstrationen und religiösen Zeremonien, mit kräftigem Zeit- und Lokalkolorit und ausgiebiger Chorbeteiligung.

Bühnenbild zu „Aida“
Bühnenbild zu „Aida“

Höher, weiter, prächtiger – das toxische Prinzip der Macht seit jeher

Beim Festival Oper im Steinbruch in St. Margarethen hat man sich für die diesjährige Neuproduktion deshalb offenbar gesagt: Wenn schon eine altägyptische Fantasie aus dem 19. Jahrhundert, dann gehen wir so richtig in die Metaphysik und in die bildstarken Jenseitsvorstellungen aus der Pharaonenzeit. So verwandelt sich der Steinbruch im Burgenland, in dem schon die Römer Kalksandstein abbauten, im Bühnenbild und in der Regie von Thaddeus Strassberger optisch zum Tal der Könige. Auf der gut 70 Meter breiten Bühne wurde eine Illusion erschaffen, als ob hier zwischen den Felswänden eine ägyptische Nekropole mit riesigem Sarkophag und Palästen inklusive gigantischem Obelisk ausgegraben worden wäre. Der Sonnengott Re, unverkennbar mit Falkenkopf, wacht hoch oben auf einer Felskuppe über die Szenerie.

Unten auf der Vorderbühne, auf diversen Treppen und Balkonen, bewegen sich eindrucksvolle Prozessionen mit Kanopen und anderem religiösen Inventar. Es gibt martialische Schwerttänze und atemberaubende Stunts mit Fackeln und brennenden Gewändern. Feuer und Wasser als elementares Gegensatzpaar bestimmen die szenische Dramaturgie. Auf der Vorderbühne deutet ein Wasserspiegel den Nil an, auf verschiedenen Ebenen kommen Wasserfontänen zum Einsatz, mitunter hoch bis zum Rand des Steinbruchs reichend, der Obelisk wird zum überdimensionalen Springbrunnen. Eine überhöhte, fantastische Vision staatlicher Propaganda im Alten Ägypten. Höher, weiter, prächtiger – das toxische Prinzip der Macht seit jeher.

Bühnenbild zu „Aida“
Bühnenbild zu „Aida“

Monumentale Opulenz mit Kitsch und Pomp

Beim Triumphmarsch steht Radamès als siegreich heimgekehrter Kriegsheld auf einer rot leuchtenden Elefantenskulptur mit brennendem Rüssel, gezogen von Sklaven. Spätestens hier stellt sich die Erinnerung an den Hollywood-Bombast des Historienfilms „Cleopatra“ von Joseph L. Mankiewicz mit Elizabeth Taylor ein. Aber was soll’s: Die monumentale Opulenz ist ja schon in den überdimensionierten steinernen Zeugnissen aus der Pharaonenzeit angelegt. Der absichtlich eingesetzte Kitsch und Pomp in St. Margarethen sind allemal atmosphärisch stimmig und führen uns letztendlich unser eigenes staunendes Verlangen nach überwältigenden Bildern vor Augen. Als wäre dies alles nicht schon spektakulär genug, werden die Felswände des Steinbruchs noch in blutrotes Licht getaucht. Zudem gibt es vielfache Projektionen auf den Bühnenbauten mit ägyptischen Skulpturen, Marmorflächen, Wasserfällen und Flammen. Hier wird es allerdings dann doch teils zu viel des Guten, zudem etwas beliebig.

Bühnenbild zu „Aida“
Bühnenbild zu „Aida“

Intime Momente unter dem Nachthimmel

In den Szenen des dritten und vierten Aktes gelingen jedoch auch intime Momente unter dem Nachthimmel. Sehr poetisch ist das Schlussbild: Radamès und Aida, eingeschlossen in einem weiß strahlenden Kubus auf der Vorderbühne, verlassen nacheinander ihre versiegelte Gruft und bewegen sich über die Treppen himmelwärts, geleitet von göttlichen Wesen. Gleichzeitig bewegt sich weit über ihnen ein Stunt-Akteur als geflügelter Sonnengott Re auf einem Hochseil zu einer Sonnenscheibe. Aus den Flügeln des Gottes schießen Funken hervor, während aus der Sonnenscheibe dichte Nebelschwaden dringen. Die Gegensätze Wasser und Feuer sind am Ende vereint. Was für ein unerwartet konzentriertes und damit umso stärker wirkendes Schlussbild – nicht nur als Visualisierung der Mythologie Alt-Ägyptens, sondern auch für eine Opernhandlung, deren Hauptfiguren alle voller Widersprüche stecken, zwischen Pflicht und persönlichen Wünschen, Liebe und Hass.

Bühnenbild zu „Aida“
Bühnenbild zu „Aida“

Starke, gut harmonierende Premierenbesetzung

Die Personenführung bleibt im Schaugepränge der beiden ersten Akte zwar eher statisch. Doch auch das ist stimmig im Gesamtkonzept. Die Hauptfiguren wirken in ihren goldfunkelnden bodenlangen Kostümen mit langen Schleppen und aufwändigen Kopfbedeckungen wie Archetypen, „bigger than life“. Vor allem aber sorgt die Premierenbesetzung stimmlich für eine glaubhafte Darstellung der Gefühle: Jorge Puerta überzeugt schon in seiner Auftrittsarie als Radamès, er ist absolut souverän, nichts wirkt forciert, er verbindet Leichtigkeit mit tenoraler Strahlkraft. Raehann Bryce-Davis als Pharaonentochter Amneris nimmt sofort mit warmem, runden,  ja glühenden Mezzosopran für sich ein. Leah Crocetto als Aida hat in ihrem silbrig schimmernden Sopran zarten Schmelz und gestaltet ihre Partie unverstellt, ohne Manierismen, zu Herzen gehend. Beglückend zudem: Alle drei passen in ihren Timbres wundervoll zusammen. Gangsoon Kim verleiht Aidas Vater Amonasro eine markante, kraftvolle Interpretation mit dramatischer Färbung. Jongmin Park als Ramphis und Ivan Zinoviev als König geben ihren Partien ebenfalls jeweils die adäquate Statur.

Bühnenbild zu „Aida“
Bühnenbild zu „Aida“

Grandiose musikalische Qualität

Dirigent Iván López-Reynoso erreicht mit dem Piedra Festivalorchester einen Gesamtklang mit klaren Konturen, kräftigen Farbflächen und dramatischen Zuspitzungen. Vor allem hütet er sich klug vor schepperndem Arenen-Pathos. Ein absoluter Gewinn, diese Interpretation! Der Philharmonia Chor Wien folgt konsequent dieser ästhetischen Linie. Dass der Chor bei der Inszenierung unsichtbar bleibt, entfaltet in diesem Szenarium voller Gottheiten und religiöser Symbole eine eigene Magie, als wären Stimmen aus der Geisterwelt zu vernehmen. Teile des Orchesters sind übrigens erstmals per Live-Video sichtbar, aufgenommen im Studio neben der Bühne. Denn es soll schon Besucher gegeben haben, die nicht fassen konnten, dass live musiziert werde. Derart grandios ist die musikalische Qualität bei den Aufführungen unter freiem Himmel – das hat sich aktuell auch wieder bei dieser mitreißenden „Aida“-Premiere gezeigt.

Oper im Steinbuch St. Margarethen
Verdi: Aida

Iván López-Reynoso (Leitung), Thaddeus Strassberger (Regie & Bühne), Giuseppe Palella (Kostüme), Discroll Otto (Lichtdesign), Media Apparat (Video), CRYSTAL (Konzept & Design Wassereffekte), Ran Arthur Braun (Live-Action Director). Walter Zeh (Chorleitung), Leah Crocetto, Jorge Puerta, Raehann Bryce-Davis, Gangsoon Kim, Jongmin Park, Ivan Zinoviev, Melissa Purnell, Xhoiden Devishi, Pesvibi, Show Talent Network, Philharmonia Chor Wien, Piedra Festivalorchester

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