Noch steuert das Drama um die Oper in Köln auf sein Happy End zu. Wenn man denn bei dem Glauben bleibt, dass das Haus auf der linken Rheinseite tatsächlich demnächst fertig wird und wieder bespielt werden kann. Bis dahin bleibt das Staatenhaus auf der rechten Rheinseite die Spielstätte.
Übermächte sind im Spiel
Das Mutterschafts-Märchen-Monstrum von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ist per se eine Herausforderung. Für Orchester, Protagonisten und auch für die Regie. Von der gemütlich atmosphärischen Klarheit eines „Rosenkavalier“ oder gar der Wucht der beiden Fraueneinakter „Salome“ und „Elektra“ ist das meilenweit entfernt. Das ist halt so, wenn Übermächte im Spiel sind, wie die Amme im Stück so vielsagend raunt. Dann auch noch die Spielzeit an dieser Ausweichspielstätte der Kölner Oper damit zu eröffnen, das ist fast schon tollkühn.
Andererseits hat der Intendant wohl recht, als er bei der Premierenfeier meinte, dass besonders am Anfang alle noch die
Energie und Lust für so ein Unternehmen haben. Der begeisterte Jubel am Ende war denn auch der Lohn für diesen Mut zum Risiko. Wegen der räumlichen Gegebenheiten des Staatenhauses ist das Orchester offen neben der Spielfläche einsehbar und raumgreifend platziert. Alles wird auf ein Einheitsbühnenbild konzentriert, da keine großen technischen Mätzchen möglich sind, ist Cleverness gefragt. Diese Bescheidung bekommt dem 1919 uraufgeführten Gemeinschaftswerk des kongenial zusammenarbeitenden Gespanns aus Dichter und Tonsetzer ausgesprochen gut.
Marc Albrecht bringt am Pult all seine spätromantische Kompetenz ein
Die Technik der Kölner Oper hat den Akustikbogen im Staatenhaus in einem Maße raus, dass Marc Albrecht am Pult des Gürzenich-Orchesters genau zwischen Spielfläche und seinen Musikern, all seine spätromantische Kompetenz einbringen und das Orchester leuchten lassen kann. Er lässt ein Klanggebirge erstehen, das von den Blechbläsern überglänzt wird, macht die Streicher gefühlvoll separat hörbar. Aber auch, wenn er es gewaltig Dräuen und Scheppern lässt, gerät hier nichts aus der Balance. Natürlich schaut man immer mal auch auf die Übertitel, aber die Textverständlichkeit, mit der sich die Protagonisten dieser – nun ja: besonders eigenwilligen bis verquasten – Hofmannsthalschen Dichtung stellen, ist beispielhaft. Marc Albrecht hält seine Klangbataillone so im Zaum, das hier niemand irgendwann akustisch niedergetrampelt zu werden droht. Musikalisch ist das ein vergnügungssteuerpflichtiges Schwelgen!
Erstklassige Rollendebüts
Dass es vokal die eine oder andere Anlaufzeit brauchte, um in Hochform zu kommen – was soll‘s. Daniela Köhler (die aktuelle Bayreuther „Walküren“-Brünnhilde) startete ihre erste Kaiserin eher verhalten tastend, steigerte sich aber schnell auch vokal in das betörende Rollenporträt einer Frau hinein, die über sich hinauswächst und am Ende selbstbewusst triumphiert, weil sie sich aus dem Bann der Amme (und ihrer Herkunft) befreit und damit ihre eigene Verzagtheit besiegt. So wird sie zum Teil eines hemmungslos ausbrechenden Happyends, zu dem Strauss alle Register zieht.
AJ Glückert muss sich als Kaiser zwar nicht so verausgaben wie die anderen, aber er bringt sein ausgesprochen angenehmes Timbre punktgenau ein. Keine Kraftmeierei, sondern auch hier: glaubhaft gemachte innere Entwicklung. Mit der erbarmungslosen Güte und Menschlichkeit des Färbers Barak geht Jordan Shanahan nachvollziehbar unbeirrt und vom wahren Leben (mit viel Arbeit und Sorge) geerdet um. Auch er liefert ein erstklassiges Rollendebüt.
Bleiben die beiden Problemfrauen Färberin und Amme. So wie Strauss und Hofmannsthal die Färbersfrau zeichnen, fragt man sich schon, wen sie da aus ihrem Umfeld wohl im Visier gehabt haben könnten. Lise Lindstrom wahrt dennoch immer gerade soviel Nachvollziehbarkeit für ihre abweisenden Bosheiten gegenüber ihrem Mann und dessen Brüdern, dass man sie nicht gleich zum Teufel wünscht. Zudem gewährt ihr Regisseurin Katharina Thoma auch Momente des Zögerns und aufflackernder Sehnsucht nach Zärtlichkeit in ihren Ausbrüchen. Stimmlich vermag sie versiert zuzuspitzen, kommt aber nie vom Wege des Gesangs ins Keifen ab.
Großartig und von eindrucksvoller Präsenz ist Irmgard Vilsmaier als Amme. In Schwarz mit Hut und in dieser Version wie maßgeschneidert passender Gehhilfe hat sie den Habitus der kürzlich verstorbenen Angela Landsbury. Aber nicht Mord ist hier Hobby, sondern Hinterlist ihre Passion. Nicht nur diese fünf tragenden Rollen sind damit originell und erstklassig besetzt. Das gilt ebenso für Karl-Heinz Lehner als Geisterbote und für Giulia Montanari als Falke und Hüterin der Schwelle des Tempels. Es gilt auch für Insik Choi, Christoph Seidl und Ralf Rachbauer als einäugiger, einarmiger und buckliger Bruder Baraks, für alle kleinen Rollen und das Riesenaufgebot von Opernchor samt der fabelhaft mitspielenden und natürlich singenden Domchorkinder. Dass mit Bryan Lopez Gonzalez ein Sänger für die Erscheinung des Jünglings zur Verfügung steht, bei dem Doubeln glatte Verschwendung wäre, kommt als Besetzungssahnehäubchen noch obendrauf.
Dem Kern der symbolisch überfrachteten Geschichte auf der Spur
Bleibt die Inszenierung. Katharina Thoma (Regie), Johannes Leiacker (Bühne), Irina Bartels (Kostüme) und Georg Lendorff (Video) haben im Staatenhaus keine Chance, mit großem Überwältigungsbrimborium, zu dem die Oper fähig ist, aufzuwarten. Und sie nutzen sie. Hochprofessionell und mit dem Ehrgeiz, einen auch heute noch relevanten Kern der symbolisch überfrachteten Geschichte aufzuspüren.
Das gelingt ihnen so, dass die Geschichte ohne jeden Verdacht auf katholische Moralpropaganda auskommt. Allenfalls die drei Nachtwächter erinnern daran. Im Großen und Ganzen aber verankert Thoma die Schattenlosigkeit in einer Wirklichkeit, in der sich viele Kinder nach Eltern sehnen und nicht nur die Eltern nach eigenen, leiblichen Kindern. Johannes Leiacker hat eine Insel aus acht sich verjüngenden Scheiben so aufgeschichtet, dass es für genügend terrassenartige Lauf- bzw. Spielflächen reicht.
Psychologierendes Kammerspiel
Oben erhebt sich ein Felsbrocken, der dank passgenauer Videoüberblendungen ein Eigenleben führen kann. Das reicht völlig, um in einem psychologierenden Kammerspiel den Befindlichkeiten nachzuspüren und diese mit Nachvollziehbarem zu verbinden. Der schöne Jüngling etwa verlang von der Amme sein Honorar, als die Färberin ihn zurückweist. Nach der großen Katastrophe im Finale des zweiten Aktes bevölkern zu Beginn des dritten heimatlos gewordene Familien und elternlose Kinder diese Insel. Am Ende überwältigt das schlichte Zueinanderfinden zum Jubel des Orchesters und berührt tatsächlich.
Oper Köln
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Marc Albrecht (Leitung), Katharina Thoma (Regie), Johannes Leiacker (Bühne), Irina Bartels (Kostüme), Georg Lendorff (Video), Nicol Hungsberg (Licht), Alfred Chen, Rusam Samedov (Chor), Stephan Steinmetz (Dramaturgie),
AJ Glueckert, Daniela Köhler, Irmgard Vilsmaier, Jordan Shanahan, Lise Lindstrom, Karl-Heinz Lehner, Giulia Montanari, Bryan Lopez Gonzalez, Innig Choi, Christoph Seidl, Ralf Rachbauer, Jing Yang, Gürzenich-Orchester Köln