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Opern-Kritik: Oper-Köln – Die Soldaten

Poesie eines Albtraums

(Köln, 29.4.2018) François-Xavier Roth demonstriert mustergültig, wie berückend der Bruitismus des Bernd Alois Zimmermann in seinem Opus Magnum heute klingen kann

vonPeter Krause,

Um diese Musik in all ihrer Schroffheit und Kompromisslosigkeit, ihrem brutalen Bruitismus und doch auch ihrer heimlichen Schönheit vollends zu spüren, muss man sie sehen. Gar nicht nur im übertragenen, also synästhetischen Sinne. Man muss ihrer Entstehung, ergo ihrer orchestralen Verfertigung unmittelbar zuschauen, dann zeigt sich all ihre Großartigkeit und Singularität. Wenn dazu noch ein Klangkörper vom Range des Gürzenich-Orchesters Köln sich dem instrumentalen Theater des Bernd Alois Zimmermann annimmt, sind Bedingungen geschaffen, die das Unmögliche und immer wieder als unaufführbar Geltende der Partitur in Potenziale verwandeln.

Die Musik selbst wird da auf einmal zur Hauptsache, ist nicht mehr nur Anlass für Szene, Handlung und multimediales Gesamtkunstwerk, sie entfaltet aus sich heraus berührende Qualitäten des Theatralischen, beschert uns Gänsehautmomente, geht unter die Haut.

Hoch lebe Zimmermanns Klangraumtheater

Akt 4, Szene 1 mit Video-Sequenzen aus „Die Soldaten“ an der Oper Köln
Akt 4, Szene 1 mit Video-Sequenzen aus „Die Soldaten“ an der Oper Köln © Paul Leclaire

François-Xavier Roth demonstriert an der Oper Köln, wo „Die Soldaten“ anno 1965 unter seinem legendären Kollegen Michael Gielen ihre Uraufführung feierten, anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten, wie berückend der Bruitismus des Bernd Alois Zimmermann in seinem Opus Magnum tatsächlich klingen kann. Der Generalmusikdirektor erweist sich als idealer Anwalt der Musik des großen Sohnes der Stadt, der in der Domstadt derzeit auch in einer umfassenden Hörretrospektive des Acht Brücken-Festivals gefeiert wird. Roths Orchester sitzt nun also nicht im Graben, den es im Langzeit-Ausweichquartier der Oper Köln ja ohnehin nicht gibt.

Es sitzt im Staatenhaus unweit des Messegeländes genau der Zuschauertribüne gegenüber, in monumentaler Besetzung. Percussionsgruppen sind auch direkt unter den Sitzen des Publikums, die Jazzkombo ist rechts und links in direkter Nähe zu den Hörenden positioniert. Das Raumkonzept kommt Zimmermanns musiktheatralischen Visionen auf fantastische Weise nah: Guckkastenbühne adé. Hoch lebe das Klangraumtheater. Zimmermanns gleichermaßen phi-losophisches wie ästhetisches und theatralisches Konzept von der Kugelgestalt der Zeit findet im Staatenhaus seine gültige Umset-zung.

Kugelgestalt der Zeit – Kugelgestalt der Bühne

Nikolay Borchev (Stolzius, Tuchhändler in Armentières)
Nikolay Borchev (Stolzius, Tuchhändler in Armentières) © Paul Leclaire

In der Tat bilden Zuschauerraum und Bühne eine Kreis- und Kugelform als Einheit aus: Vor, hinter und neben den auf Drehstühlen sitzenden Hörenden verläuft ein erhöhter Umgang, auf dem die zahlreichen Parallelhandlungen des Stücks ablaufen. Wir scheinen mittendrin im (Klang-)Geschehen zu sein, die körperliche Wirkung eines veritablen Surround Sounds hat etwas Berührendes und Erschütterndes zugleich. Junge Ko-Dirigenten sind im Saal verteilt, um die hochpräzisen Vorgaben des Chefs an die einzelnen Sängergrüppchen weiterzugeben und zu koordinieren. Das klappt an diesem fantastischen Abend gleichsam traumwandlerisch, die Detailgenauigkeit und Wachheit des Orchesters sind vorbildgebend.

Man hört endlich einmal alles, kann die multiplen Zitate dechiffrieren, die Collagetechnik würdigen, immer wieder entsteht aber auch zwischen den Notenzeilen eine geradezu musikantische Ausgelassenheit. Denn das Gürzenich-Orchester wie das gigantische, maximal motivierte Sängerensemble (aus dem der Wesener des Wagnerbasses Frank van Hove, der Desportes des Tenors Martin Koch und die Charlotte der jungen Mezzosopranistin Judith Thielsen herausragen) bewältigen und beherrschen nicht einfach nur die Partitur, es verwandelt sie sich mit einer unbändigen Lust an, beweist eindrucksvoll, dass Schrundiges auch schön, auch virtuos und unerhört imaginativ sein und eine musikalische Dringlichkeit entfalten kann, der sich niemand entziehen kann, sei er oder sie nun ein ausgewiesener Neue Musik-Jünger oder schlicht ein offenohrig neugieriger Mensch.

Instrumentales Theater trifft auf die Bilderstürmer von La Fura dels Baus

Das Beste, was man bei alledem über die Inszenierung der katalanischen Bilderstürmer von La Fura dels Baus, die hier Carlus Padrissa verantwortet, sagen kann, ist: Sie dient der Entfaltung von Zimmermanns instrumentalem Theater. Sehr wohl im Einklang mit den Absichten des Komponisten wird hier kaum mehr die Chronologie einer Handlung nacherzählt, als auf die Synchronizität von Bildern gesetzt. Ein durchaus deftiger Regie-Naturalismus in den Gewalt- und Sexszenen des Stücks wird durch die behutsam verfremdeten historischen Kostüme und die abstrahierenden, auf das komplette Bühnenkugelrund projizierten Videos durchweg passend zu einer surrealen Poesie eines Albtraums verdichtet.

Bloß kein Betroffenheitskitsch!

Emily Hindrichs (Marie), Judith Thielsen (Charlotte)
Emily Hindrichs (Marie), Judith Thielsen (Charlotte) © Paul Leclaire

Als Referenz an die Uraufführungsinszenierung zitiert Padrissa zu Beginn das damals am Ende stehende Bild einer erniedrigten Marie: Anfang und Finale der Oper fallen ineinander: Das stimmt auch mit dem kompositorischen Konzept Zimmermanns überein, das die apokalyptische Vision des Untergangs zu Beginn beredt vorwegnimmt. Die Gewaltmechanismen der „Soldaten“ sind nicht Ausfluss einer einzelnen historischen Konstellation, sie erweisen sich als allgemeingültig und zeitlos.

Kugelgestalt der Zeit auch hier: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen ineinander. Gleichermaßen Gewinn und Verlust der Inszenierung: Das Frauenschicksal der Marie entzieht sich angesichts der omnipräsenten Parallelhandlungen dem Mitleiden des Publikums, die zentrale Figur ist frei von Opernsentiment, wir schauen ihr illusionslos zu. Aber auch dies muss Zimmermanns Absicht gewesen sein: Betroffenheitskitsch war seine Sache gerade nicht.

Oper Köln im Staatenhaus
B. A. Zimmermann: Die Soldaten

François-Xavier Roth (Leitung), Carlus Padrissa/La Fura dels Baus (Regie), Roland Olbeter (Bühne), Chu Uroz (Kostüme), Frank van Hove, Emily Hindrichs, Judith Thielsen, Kismara Pessati, Nikolay Borchev, Dalia Schaechter, Sharon Kempton, Alexander Kaimbacher, Alexander Fedin, Martin Koch, Miroslav Stricevic, John Heuzenroeder, Oliver Zwarg, Miljenko Turk, Wolfgang Stefan Schwaiger, Gürzenich-Orchester Köln

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