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Opern-Kritik: Oper Köln – Elektra

Rache als Selbstzweck

(Köln, 6.10.2024) Regisseur Roland Schwab treibt Richard Strauss‘ Tragödie „Elektra“ über die Untaten und Zerwürfnisse am Hof zu Mykene hinaus ins Elementare.

vonMichael Kaminski,

Zwar lodert final nicht der Weltenbrand, doch immerhin steht die Burg zu Mykene in hellen Flammen. Gewiss, wäre ihr dies möglich, würde Elektra den ganzen Erdball in einer Feuerkugel aufgehen lassen. Der Hass der Prinzessin hat sich vollkommen verselbständigt. Da ist eine verhängnisvolle Eigendynamik am Werk, die kein Halten mehr kennt. Alle Liebe wandelte sich in Hass. Der einzige Eros, der Elektra beseelt, ihr in Geist, Gemüt und Herz wühlt, heißt Vernichtung. Selbst die Liebe zum Bruder steht in Diensten der Zerstörung. So treibt denn Roland Schwab für die Oper Köln die Tragödie über die Untaten und Zerwürfnisse am Hof zu Mykene hinaus ins Elementare. Menschen wie Elektra hießen einmal besessen, Strauss und Hofmannsthal wussten bereits um die psychopathologischen Ursachen, die Menschen in den Wahnsinn treiben. Freilich auf eine wucherndem Jugendstil gleichende Weise. Schwab indessen erzählt schnörkellos. Dabei mit körperbetonter Heftigkeit. Der Raserei in Elektras Seele willfährt das beinahe die gesamte Personnage beherrschende aktionsgeladene Tempo. Vieles geschieht rampennah. Die Gewalt rückt – das Orchester ist im Staatenhaus I seitlich platziert – dem Publikum der geringen Distanz halber direkt auf die Pelle.

Szenenbild aus „Elektra“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Elektra“ an der Oper Köln

Seelische Überforderung total

Orest zeigt sich heillos überfordert. Kaum hat er die Mutter samt deren Liebhaber abgeschlachtet, geht er sich mit dem Mordwerkzeug selbst an die Kehle. Der Muttermord war ihm geboten und zugleich unerträglich. Nicht auszuhalten auch der – trotz der Hingemordeten – unstillbare Blutdurst der Schwester. Gerechtigkeit kann nicht herrschen, wo Rache sich rauschhaft selbst genügt. Freilich hat Elektras Monstrosität Ursache. Wer mit einer Mutter wie der ihren geschlagen ist, wird dazu prädestiniert. Die Opferung Iphigenies scheint als Grund für die Tötung Agamemnons nur vorgeschützt, mindestens aber willkommen. Klytemnästra will herrschen. Ihre Angstträume steigen bei Schwab ganz offenbar aus ihrer ungefestigten Position an der Staatsspitze. Legitimer Herrscher über Mykene wäre Orest. Mag immer sie sich mit Gold und Klunkern behängen und Schleppen nachtragen lassen. Der ganze neureiche Plunder bezeugt die Amtsanmaßung nur desto augenfälliger. Für Schwab ist Klytämnestra ein seelisches Wrack. Und ein körperliches zudem, frühzeitig gealtert und gehandicapt. Wenn auch an einem güldenen, so geht sie doch am Stock.

Piero Vinciguerra stellt für alles dies einen Wald aus schlanken Pfeilern auf die Bühne. Die Situation ist unübersichtlich. Gut möglich, hinter einem jeden lauern Gefahren. Dass die an ihnen befestigten Neonröhren zu flackern beginnen, wenn sich die Situation zuspitzt, bedeutet keinen Mehrwert. Gabriele Rupprecht kleidet die Figuren so zeitlos wie nötig und so heutig wie möglich. Klytämnestra gerät zum monarchischen Popanz, Chrysothemis zur personifizierten Anmut, der Titelfigur Fetzen zeigt sich so zerrissen wie ihr Gemüt.

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Szenenbild aus „Elektra“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Elektra“ an der Oper Köln

Strauss vom Feinsten

Hochkarätig wie die szenische ist die musikalische Seite. Felix Bender hatte sich in der vergangenen Spielzeit an seinem Ulmer Stammhaus mit einem orchestral absolut hörenswerten „Parsifal“ vernehmen lassen. Nun türmen Bender und das Gürzenich-Orchester ragende Klangmassive auf, an denen die Seelen Elektras und Orests zerschellen, aber – dank der Besonnenheit von Kapellmeister und Klangkörper – nicht deren Stimmen. Allison Oakes gebietet für die Titelfigur über nahezu unerschöpfliche stimmliche Reserven. Vokal blüht Oakes voller Kraft und Jugendfrische, schwingt sich zu prächtigen Bögen auf und stößt ins hochdramatische Horn. Da gerät Strauss-Hofmannsthalsche Psychopatholgie auf freilich ganz eigene Art ebenso schön wie Wahnsinn und abartige Gelüste in den Werken des Belcanto. Frappant, wie sich Astrid Kesslers Chrysothemis hinzugesellt: Schöngesang vom Feinsten und dennoch voll dramatischer Verve. Die Courage, nicht davor zu scheuen, die Widerwärtigkeit der von ihr verkörperten Figur in Töne zu übersetzen, liefert Lioba Braun eine meisterliche Studie menschlicher Niedertracht und Verkommenheit. Insik Choi gibt einen kavalierbaritonalen Orest. Rollenadäquat ist Martin Koch ein aufgeblasenes Nichts von Aegisth.              

Oper Köln
R. Strauss: Elektra

Felix Bender (Leitung), Roland Schwab (Regie), Piero Vinciguerra (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüme), Andreas Grüter (Licht), Rustam Samedov (Chor), Sabine Arthold (Choreografie), Lioba Braun, Allison Oakes, Astrid Kessler, Martin Koch, Insik Choi, Lucas Singer, Maike Raschke, Tinka Pypker, John Heuzenroder, Christoph Seidl, Claudia Rohrbach, Adriana Bastidas-Gamboa, Regina Richter, Tina Drole, Maria Koroleva, Emily Hindrichs, Mitglieder des Chores der Oper Köln: Constanze Rottler, Cordula Hack, Yoshiko Kaneko-Schüler, Jin Hyeon Park, Phillipa Thomas, Irina Israel, Gürzenich-Orchester Köln






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