Am 21. Dezember 1917 wurde Heinrich Böll in der Kölner Südstadt geboren. Nicht nur, weil er 1972 den Nobelpreis für Literatur gewann, gilt er mit Recht als einer der größten Söhne der rheinischen Metropole im 20. Jahrhundert. Böll war zudem ein wacher, politischer Kopf, jemand, der sich einmischte und sich für ein gesellschaftliches und politisches System einsetzte, in dem die Rolle der Kunst den höchstmöglichen Status beanspruchen konnte.
So kann es kaum verwundern, dass die Kölner Oper, der Komponist Helmut Oehring und die Librettisten und Dramaturgin Stefanie Wördemann für ihr Projekt zum hundertsten Jahrestag von der Rede ausgehen, die Heinrich Böll 1966 zur Eröffnung des Wuppertaler Schauspielhauses hielt – und die damals ganz und gar nicht konsensfähig war, hielt sie doch einer sich durchökonomisierenden, keine Lehren aus der jüngeren Vergangenheit ziehenden Repräsentationsgesellschaft einen scharfkantigen Spiegel vor.
Konstellation jenseits der Heldenverehrung einer moralischen Instanz
Helmut Oehring und Stefanie Wördemann, beide hier ihre eigenen Regisseure, lassen Böll als Figur in ihrer Versuchsanordnung aus Böll-Zitaten nicht als Rolle auftreten. Sie huldigen auch nicht dem Bild von der moralischen Instanz, dem integren politischen Menschen, das sich in den Köpfen jenes seinerzeit von Böll so heftig zur Räson gerufenen Bürgertums mittlerweile verfestigt hat. Oehring und Wördemann haben ein Spiel im Sinn, umspielen den Menschen Heinrich Böll mit seinen Texten, mit neuer Musik und einer ungewöhnlichen Konstellation.
Mehrere Musiker des großartigen Ensembles Musikfabrik, die Text und Musik auf nahezu allen denkbaren Ebenen brillant und locker ausagieren, haben ihre Kinder mitgebracht. Auch Oehrings Kinder sind anwesend, seine zwölfjährige Tochter Mia trägt sogar eine Hauptlast, außergewöhnlich reif als Vorleserin und Rezitatorin, charmant dilettierend als Musikerin, sich ein wenig überflüssig produzierend auch als Tänzerin. Durch die Interaktion der Generationen, zum Ende hin treten auch Bölls Sohn Rene und Bölls Enkelin Samay kurz vors Mikrofon, wird die zeitliche Distanz, jene hundert Jahre reflektiert, wird klar, dass es unsere Aufgabe, die Aufgabe des Publikums ist, die Rolle, die Wesentlichkeit eines Schriftstellers wie Böll in unserer Zeit neu zu definieren.
Sogar des Dichters Kinder spielen mit
Und dieser Appell geschieht sinnlich. Ob die Kinder einfach um Tisch und Stühle tollen und kaum dechiffrierbare Satzfetzen sagen. Ob Mia Oehring den verzweifelten, fast kleinmütigen Böll der Kriegszeit durch seine Briefe lebendig werden lässt und damit schlagend zeigt, dass der große Schriftsteller auch mal ein ängstlicher junger Mann war. Ob die Musiker der großartigen Musikfabrik solistisch heraustreten – kurze biographische Erzählungen artikulieren, sich als Streichquartett auf den Boden legen oder einen herzwärmend innigen Trompeten-Pas de Deux initiieren: Jeder Moment, auch in der Musik, an der Dalia Schaechter, Emily Hindrichs und Adriana Bastidas-Gamboa aus dem Ensemble des Hauses großen Anteil haben, stellt ein Mosaiksteinschen zur Verfügung, für ein frisches, schlackenfreies Böll-Bild. Wir werden ihn alle noch mal lesen müssen.
Oper Köln im Staatenhaus
Oehring: KUNST MUSS (zu weit gehen) oder DER ENGEL SCHWIEG
Bas Wiegers (Leitung), Helmut Oehring (Idee, Regie, Ausstattung), Stefanie Wördemann (Konzeption, Libretto, Dramaturgie, Inszenierung, Ausstattung), Torsten Ottersberg (Audio- und Raumkonzeption, Sounddesign, Klangregie), Philipp Wiechert (Licht), Emily Hindrichs, Adriana Bastidas-Gamboa, Dalia Schaechter, Rene Böll, Samay Böll, Mia Oehring, Joscha Oehring, Instrumentalvokalsolisten des Ensembles Musikfabrik, Kinder der Instrumentalvokalsolisten des Ensembles Musikfabrik
Termine: 9.12. (Premiere), 11., 13. & 21.12.2017
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