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Opern-Kritik: Oper Köln – Orlando

Barockes Musiktheater als Literaturoper

(Köln, 17.11.2024) Regisseur Rafael R. Villalobos säkularisiert seinen Händel bis in die Wurzeln und erzählt eine Geschichte von Liebe und Wahn, in der volatile Geschlechterrollen die Hauptantriebskräfte sind.

vonMichael Kaminski,

Der einzige Zauber, der gilt, ist die Liebe. Es bedarf keiner äußeren Verwandlungen in Hölle und Höhle, keines göttlichen Eingreifens, um die Titelfigur vom Liebesrasen zu kurieren. Zoroastro braucht weder Sternenkunde noch den Appell an Himmelsmächte. Er ist ein erfahrener Therapeut. Das reicht zum freudigen Schluss. Kein Zweifel, Regisseur Rafael R. Villalobos säkularisiert die vom Festival Perelada übernommene und zum Kölner Staatenhaus gewanderte Händeloper bis in die Wurzeln. Auf das Wesentliche reduziert, gibt sich das Geschehen als Geschichte von Liebe und Wahn zu erkennen, in der volatile Geschlechterrollen die Hauptantriebskräfte sind. Countertenor und in einer Hosenrolle agierender Mezzosopran, sie beide arbeiten auf ein drittes Geschlecht jenseits von Mann und Frau förmlich hin.

Villalobos lässt sich dazu durch die Titelgleichheit von Händels Oper und Virginia Woolfs Roman beflügeln, zeigen sich doch auch in Letzterem die Geschlechter durchlässig und wandelbar. Der für Angelica entflammte Medoro figuriert daher simultan als Literatin Vita Sackville-West, Woolfs Geliebte und spätere Freundin. Sackville-West war in eleganter Herrengarderobe durch französische Bars und das Spielcasino von Monte Carlo gezogen. Immer an ihrer Seite Woolfs Vorgängerin und Nachfolgerin in Sachen Liebe, Violet Trefusis. In Köln agiert Angelica als diese weitere Schriftstellerin.

Szenenbild aus „Orlando“
Szenenbild aus „Orlando“

Gedankliche Komplexität geht szenisch auf

Bei solcher Konstellation fügt sich die Gleichsetzung der Medoro respektive Vita begehrenden und schließlich auf ihn verzichtenden Dorinda mit Woolf selbst passgenau ins Bild. Es scheint, als habe die Oper auf solche Überdeterminierung ihrer Personnage gewartet. Jedenfalls gleiten Identitäten und Geschlechter völlig nahtlos ineinander über. Immer wieder eilt Dorinda alias Woolf zum Schreibtisch, um das Erlebte und Beobachtete auf’s Papier zu bannen. Auch darin folgt Villalobos der Dichterin. Tatsächlich ist Sackville-Wests und Trefusis‘ Beziehung in den Roman eingegangen. Orlando selbst kommt mindestens als Gestalt aus Frau und Mann daher.

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Mag gar sein, über beide Geschlechter hinaus. Zunächst widerstreiten die Komponenten, stürzen Orlando in Wahnsinn und innere Hölle, doch finden sie final zum harmonischen Ausgleich: Da steht er dann, der neue Mensch. Villalobos als sein eigener, zu kräftigen Farben neigender Kostümbildner changiert bei seinen Gewandungen für die Titelfigur und Medoro zwischen den Geschlechtern, während er Angelica damenhafte Eleganz gönnt. Dorinda hüllt sich ins schlichte Kleid wie weiland Woolf. Bühnenbildner Emanuele Sinisi definiert die Spielfläche als unregelmäßiges Dreieck. Ein ebensolches in Spiegelgestalt schließt den Bühnenraum nach oben ab.

Szenenbild aus „Orlando“
Szenenbild aus „Orlando“

Musikalisch superb

Wie die szenische, so gewinnt die musikalische Seite. Rubén Dubrovsky peitscht mit dem Gürzenich-Orchester weniger die Affekte hoch, als  den seelischen Regungen bis in feinste Regungen nachzuspüren. Noch die heftigsten Wallungen sind delikat ausmusiziert. Die Titelfigur verkörpert Xavier Sabata lyrisch intensiv und silberstimmig. Giulia Montanari bietet für Angelica vokale Wendigkeit und leichthin getupfte Spitzentöne auf. Vokalen Samt gönnt Adriana Bastidas-Gamboa dem Rollenporträt Medoros. Alina König Rannenberg erweist sich als lyrisch-empfindende Dorinda. Gianluca Buratto gibt einen robusten Zoroastro.

Oper Köln
Händel: Orlando

Rubén Dubrovsky (Leitung), Rafael R. Villalobos (Regie & Kostüme), Eike Ecker (Szenische Einstudierung), Emanuele Sinisi (Bühne), Albert Faura (Licht), Jesús Díaz Cortés (Übernahme Beleuchtung Staatenhaus), Xavier Sabata, Giulia Montanari, Adriana Bastidas-Gamboa, Alina König Rannenberg, Gianluca Buratto, Gürzenich-Orchester Köln






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