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Opern-Kritik: Oper Köln – Tannhäuser

Huren und Heilige

(Köln, 24.9.2017) Patrick Kinmonth bebildert Wagner auf der Breitwandbühne, François-Xavier Roth dirigiert die Musik eines feinfühlig französischen Erotikers

vonPeter Krause,

Wagner und die Frauen. Das ist eine nie endende Geschichte in zahllosen Variationen, eine Geschichte im Leben des Meisters wie in seiner Kunst. Der Mann scheitert – an sich, seinem Egoismus, der Welt. Er sucht Erlösung in den Armen eines treuen Weibes. Beim jungen Wagner war das dezidiert erotisch gemeint, später lehrte ihn Schopenhauer die Askese als Weg zur wahren Erfüllung: höchste Lust als Verzicht auf die Lust? Doch schon im „Tannhäuser“, jugendlich kühn den Weg von der romantischen Oper zum Musikdrama weisend, nach des Meisters Meinung gleichwohl nie richtig rund geworden („Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig“), schon hier trifft die Hure auf die Heilige. Venus, Göttin der Liebe, heidnisches Luder, Prinzip des Sexus schlechthin, und Elisabeth, das Unschuldslamm der reinen Liebe, die Vertreterin der schönen alten göttlichen Agape, die sich als wahre Christin für ihren Liebsten einsetzt, den aus der Wartburg-Society verdammten Heinrich Tannhäuser, den bekennenden Besucher im Hurenhaus der Frau Venus.

Sind saubere und schmutzige Liebes dasselbe?

David Pomeroy (Tannhäuser)
David Pomeroy (Tannhäuser) © Bernd Uhlig

Nun ist es mit Wagners Romantik, in der er letztlich das Mittelalter der Minnesänger verklärte und mit seiner Weltsicht verquickte, schon lange vorbei. Natürlich funktioniert Wagners strikter Dualismus nicht mehr wie dereinst. Deshalb werden Venus und Elisabeth seit Jahrzehnten entweder als Doppelfigur auf die Bühne gebracht, wozu es einer Sopranistin mit entsprechender darstellerischer und vokaler Wandlungsfähigkeit bedarf. Oder aber Regisseure deuten mehr oder weniger subtil an, dass in der Elisabeth sehr wohl die Sehnsucht nach wahrer, will sagen: auch körperlicher Liebe steckt. Reine und wahre, saubere und schmutzige Liebe sind eben doch nicht so fein zu trennen.

Venus und Elisabeth treffen die Gottesmutter Maria

Auf Deutschlands breitester Opernbühne, dem Kölner Staatenhaus als Dauer-Ausweichquartier der dauersanierten Oper Köln, spitzt Patrick Kinmonth die Frage nach den Frauenbildern des Bayreuthers nochmals zu, indem er Venus und Elisabeth eine dritte Figur hinzufügt. Sie entpuppt sich als eigentliches Gegenstück zum Prinzip Venus: Das ist die Gottesmutter Maria. Als Ideal der Heiligen Jungfrau kann sie von den Pilgern im ersten Aufzug leibhaftig angebetet werden. Und Elisabeth mutiert als Mittlerin von göttlicher und realer Welt dementsprechend zu einer modernen Frau, die Tannhäuser nie nur keusch verehrt, sondern mit ihm am Ende des Stücks Hand in Hand in eine bessere Welt entfleucht.

Das freudianische Unterbewusste des Wolfram von Eschenbach wird sichtbar gemacht

Miljenko Turk (Wolfram von Eschenbach) und David Pomeroy (Tannhäuser)
Miljenko Turk (Wolfram von Eschenbach) und David Pomeroy (Tannhäuser) © Bernd Uhlig

In schlichter Farbsymbolik von Dunkel und Hell werden die Frauenfiguren als komplementäre Gestalten greifbar: Hochzeitsweiße Unschuldsroben für Maria und Elisabeth, gruftiges Schwarz für Venus. Sind bei Wagner die Welten präzise getrennt, führt Kinmoth die drei Damen in allen drei Aufzügen gemeinsam auf die Bühne. Das freudianische Unterbewusste des Wolfram von Eschenbach, der explizit der reinen Liebe huldigt, aber mit dem holden Abendstern dennoch das Sternzeichen der Venus besingt, wird uns auf diesem Wege deutlich vor Augen geführt.

Der virtuelle Venusberg – ein Paradis artificiels der anderen Art

Echte Neuerung des Regiekonzepts aber ist die Idee, dass der sündige Venusberg als Paradis artificiels keine reale Liebeshölle ist, sondern eine virtuelle Welt. Die Minnesänger sitzen denn auch zu Beginn des Abends als identisch gewandete Kulturbeamte an ihren Schreibtischen, betrachten an ihren Laptops die rotperückten jungen Damen, die ihnen ihre Liebesdienste denn auch sehr anständig stilisiert darbringen. Um echten Sex geht es denn ja auch längst nicht mehr. Dieselben jungen Gehilfinnen der virtuellen Venus treffen wir in der Wartburg-Welt des zweiten Aufzugs wieder. Eigentlich nur die Farbe der Perücken unterscheidet sie von den Burgfräulein dieser nicht minder entfremdeten Welt. Im letzten Aufzug werden die kessen Damen dann vollends zu Doppelwesen, gleichsam Marien-Venus-Zwitter, von Annina von Pfuel ansehnlich schick kostümiert.

Die starken Bildsetzungen finden keine Entsprechung in der Personenregie

David Pomeroy (Tannhäuser) und Dalia Schaechter (Venus)
David Pomeroy (Tannhäuser) und Dalia Schaechter (Venus) © Bernd Uhlig

Die Annäherung von virtueller und wahrer Welt stellt Adornos alte Frage vom richtigen Leben im falschen in allerhand starken Bildern neu. Die Breitwandbühne im Staatenhaus, auf die Darko Petrovic eine imposante helle, sensibel ausgeleuchtete Art-Déco-Halle gebaut hat, wird vom formidablen, allerdings zu großer Statik verdammten Chor optimal genutzt. Der ganze, akustisch schwierige Saal wird wirkungsmächtig besungen und bespielt. Nur: die starken Bildsetzungen finden keine Entsprechung in der Personenregie. Tannhäusers Konflikt als Künstlerindividuum, das sich tödlich an der spießigen Gesellschaft reibt, wird gänzlich nivelliert, wenn beide geliebt-ungeliebten Welten letztlich austauschbar sind. Das von Wagner so spannungsprall konzipierte musiktheatralische Geniestück des zentralen Sängerkriegs wird zum episch müden Schaulaufen gleichgeschalteter Charaktere. Dieser „Tannhäuser“ wird so bereits zur Vorübung des weltabschiedsweisen „Parsifal“ und all seiner göttlichen Längen. Nirgends ist Fleisch und Blut, nie geht uns das Schicksal des Künstlers Tannhäuser und der mutig hingebungsvollen Elisabeth etwas an. Kinmonth behauptet viel – und löst wenig ein.

Sänger von allzu wechselnder Qualität

Die Sänger haben es deshalb schwer, Individualität zu entfalten, und sie sind von allzu wechselnder Qualität. Eindeutige Aktivposten sind nur der engelsgleich zwitschernde Hirt der Maria Isabel Segarra und der bassprächtige, bayreutherfahrene Landgraf des Karl-Heinz Lehner. Ganz hohen Respekt nötigt David Pomeroy ab, der in der mörderischen Titelpartie debütiert und mit tenoralem Stamina beeindruckende „Erbarm Dich mein“-Rufe stemmt und eine intensiv gestaltete Romerzählung abliefert. Miljenko Turk spielt Tannhäusers Baritonfreund Wolfram zwar durchaus berührend als in sich gekehrte männliche Jungfrau, seiner hellen, hoch gelagerter Stimme fehlt freilich das Balsamisch-Weich-Lyrische ebenso wie das dunkel Getönte eines Mannes, der fraglos als nächster dran ist, in die Zwickmühle der Liebeskonzepte zu geraten. Dalia Schaechter kämpft als düstere, fast schon kundrygleiche Venus mit den wachsenden Registerbrüchen ihres dramatischen Mezzo, Kristiane Kaiser verunklart die innigen Sopranlinien der Elisabeth mit ausuferndem Vibrato.

Wagner-Verfeinerung: Generalmusikdirektor François-Xavier Roth und sein hingebungsvolles Gürzenich-Orchester

Es gereicht Generalmusikdirektor François-Xavier Roth mehr als zur Ehre, dass er das ins Epische zielende Regiekonzept nicht mit feuriger Dramatik unterläuft, sondern es stützt: durch sensibel ausgehörte, gleichsam französische Holzbläser-Zwischentöne, durch oft langsam ausmusizierte, zwischen die Notenzeilen blickende Tempi, durch butterweich phrasierendes, nie deutsch plärrendes Blech. Man hört in der Dresdner Fassung des „Tannhäuser“ viele edel herausgearbeitete Zwischenstimmen, ahnt die heimliche Sehnsucht des Erotikers Wagners – die Sehnsucht nach dem Menschen in seiner Ganzheit. Roths Gürzenich-Orchester Köln folgt ihm auf diesem Weg der Wagner-Verfeinerung beglückend hingebungsvoll.

Oper Köln
Wagner: Tannhäuser

François-Xavier Roth (Leitung), Patrick Kinmonth (Regie), Darko Petrovic (Bühne), Annina von Pfuel (Kostüme), Karl-Heinz Lehner, David Pomeroy, Miljenko Turk, Dino Lüthy, Lucas Singer, John Heuzenroeder, Yorck Felix Speer, Kristiane Kaiser, Dalia Schaechter, Maria Isabel Segarra

Termine: 24.9. (Premiere), 30.9., 6., 8., 12., 14., 22. & 28.10., 1.11.2017

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