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Opern-Kritik: Oper Köln – Tristan und Isolde

Ertrinken, Versinken in höchster Lust!

(Köln, 21.9.2019) Saisonauftakt mit wahren Wagnerwonnen: Heldentenor Peter Seiffert und GMD François-Xavier Roth begeistern mit einer so noch nicht gehörten Lesart der grandiosen Partitur.

vonSabine Weber,

Es ist die fünfte Spielzeit der Oper Köln in einer Ausweichspielstätte. Das Staatenhaus hinter dem Tanzbrunnen auf der sogenannten Schäl Sick (kölsch für falsche Seite) könnte aber an diesem wunderbaren Spätsommerabend in die Wagner-Annalen Nordrhein-Westfalens eingehen. Peter Seiffert präsentiert noch mit 65 Jahren einen erstaunlich klang- und sprachgewaltigen Tristan. Ingela Brimberg gibt ihr Rollendebüt als Isolde mit hinreißend subtiler Tongebung, und François-Xavier Roth und sein Gürzenich-Orchester Köln entlocken der Wagner-Partitur Töne, dass von einer neuen Lesart dieser berühmten Partitur gesprochen werden müsste. Regisseur Patrick Kinmonth und sein Bühnenbildner Darko Petrovic platzieren François-Xavier Roth zu Recht von allen Seiten sichtbar ins Herz der Inszenierung!

„Weltereignis des Wagnersingens!“

Wenn eine Wagner-Legende wie Peter Seiffert zusagt, ist das ein Grund, „Tristan und Isolde“ und das berühmteste Opernfinale aller Zeiten, den Liebestod, an den Anfang einer Saison zu stellen. Der in Düsseldorf geborenen Wagner-Tenor wird bei seinem Tristan-Debüt an der MET vor elf Jahren als „Weltereignis des Wagnersingens!“ gefeiert. Dennoch, die Tristanpartie gilt als die schwerste aller Wagnerschen Tenorpartien. Sie braucht enorme Kraft und Durchhaltevermögen. Für einen 65jährigen ist das eine Herausforderung, zumal Seiffert offenkundig Schwierigkeiten beim Gehen zu haben scheint. Regisseur Patrick Kinmonth hat sich darauf eingestellt. Er hat sein Konzept um Seiffert herum entwickelt und sich auch den reduzierten Bedingungen – keine Bühnentechnik – im Staatenhaus angepasst. Auf einem Schiff lässt er die tragische Entwicklung von Tristan und Isolde Fahrt aufnehmen. Optisch ist das an einer Bugwelle zu erkennen, die dem Zuschauer entgegen fließt. Sie wird auf kleine, in versetzten Reihen angeordneten Pyramiden projiziert, die schon per se eine Art Wellenmeer bilden und das Orchester und Dirigenten – gut sichtbar – umschließen, im Zentrum des Geschehens!

Die Abstraktion von Heiner Müllers legendärer Bayreuther Inszenierung steht Pate für die Regie von Patrick Kinmonth

Szene aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Köln: Ingela Brimberg, Peter Seiffert, GMD François-Xavier Roth, Gürzenich-Orchester Köln
Szene aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Köln: Ingela Brimberg, Peter Seiffert, GMD François-Xavier Roth, Gürzenich-Orchester Köln

Die Bühne besteht aus vier Schiffskajüten im Querschnitt nebeneinander. Liebevoll im Detail gearbeitet mit quadratischem Bullauge hinten bis hin zu den Nieten im Metall vorne. In und zwischen den miteinander verbundenen Kabinen sitzen Tristan und Isolde wie in unterteilten Bildausschnitten. Den ersten Aufzug verbringt Seiffert bis zu seinem Auftritt kurz vor Schluss als ein vor sich hin brütender Tristan auf einem Stuhl. Isolde und Brangäne, gekleidet in für irische Folklore typischen langen rote Wollröcken, arbeiten nebenan an der Kontaktaufnahme zu ihm. Der Liebestrank fließt später aus dem Wasserhahn der jeweiligen Kajüte jeweils in ein Glas. Allenfalls an der Wand zur Nachbarkajüte wird gehorcht, wie in dem Nolan-Film „Interstellar“, als sei man auch hier durch Zeitschleifen getrennt. Kinmonth hält seinen Ansatz konsequent durch. Selbst im orgiastischen zweiten Aufzug, in dem Tristan und Isolde ihre Begegnung erst mit Überschwang euphorisch feiern, den Tag dann zum Grund allen Übels erklären und die Nacht und den Tod als ultimatives Liebesendziel beschwören. Nur die Bediensteten Kurwenal, Brangäne oder die Nebenrollen des jungen Seemanns und des Hirten außerhalb des Schiffes, auf einer Schiffsbrücke rechts oder einem Grashügel links, dürfen im direkten Kontakt miteinander reagieren.

Tristan und Isolde lieben sich ohne Körperkontakt

Erstaunlich ist, dass sich das beim Hören fügt! Heiner Müller hat zusammen mit Erich Wonder für Bayreuth 1993 erstmals das Experiment gewagt, Tristan und Isolde ohne Körperkontakt, quasi geometrisch agieren lassen. Dieses Experiment legt die Partitur durchaus nahe. Wagner komponiert immer wieder emotional aufgeladene Erzählungen, die von verschiedenen Standpunkten aus die Verstrickungen der einzelnen Charaktere neu belichten. Das sind zumeist Selbsterklärungen. Gefühlsentladungen legen bei Wagner ebenfalls den Fokus auf die sich entäußernde Person selbst. Weniger auf das Gegenüber. Außerdem geht das Gestik-Vokabular bei einer zehnminütigen Liebeserklärung schnell aus und ist schon häufig in dümmlicher Belanglosigkeit geendet. Es gibt kaum Handlung! Von daher gilt Tristan als einer der schwersten Regie-Brocken im Wagner-Repertoire. Auch wenn diese ans Konzertante angelehnte Inszenierung sicherlich nicht allen Wagnerianier beglückt haben wird, es ist eine szenische Deutung, die nicht vom Hören ablenkt. Und das zählt bei Wagner viel.

Das Ensemble in Köln ist eine Wagner-Wucht

Szene aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Köln: Samuel Youn und Peter Seiffert
Szene aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Köln: Samuel Youn und Peter Seiffert

Zudem kommt es bei Wagner einzig und allein auf die Sänger an. Und das Ensemble an der Oper Köln ist eine Wucht. Es wird vorbildlich artikuliert und gesprochen, phrasiert und gestaltet. Seiffert vermag sitzend hervorragend zu singen, auch wenn die Stimme im piano nicht immer ganz so fokussiert ist. Er teilt sich die Kräfte genau ein. Ausbrüche dosiert er im ersten Aufzug. Dreht im zweiten erstmals richtig auf. Mit welcher Stimmkraft er im letzten Aufzug im fiebrigen Wahnsinn diliriert, zeugt noch absolut von Klasse und erster Wagner-Liga. Ingela Brimberg findet immer neue Stimmfarben, vor allem im piano oder mezzopiano, ebenfalls ganz deutlich in der Diktion, auch mal bissig zynisch und selbstironisch. Schließlich wird sie als irische Königstochter an einen Vasall in Cornwall verschachert. Nicht immer ist ihre voluminöse Durchschlagskraft der von Seiffert ebenbürtig. Aber auch sie weiß die wenigen forcierten Momente zu kaschieren und steigert den Liebestod im Finale mitsamt Orchesterrausch zur höchsten Lust. Claudia Mahnke als Gast aus dem Stuttgarter Ensemble hat mit der Rolle der Brangäne schon eine Bayreuthkarriere hinter sich. Das ist nicht zu überhören ist. Auch bei ihr versteht man jedes Wort, ebenso wie bei Karl-Heinz Lehner als König Marke. Auch er hat bereits in Bayreuth debütiert. Auf Bayreuthsänger Samuel Young ist Köln besonders stolz. Denn der Koreaner hat im Kölner Opernstudio angefangen und sich im Kölner Ensemble zum Helden-Bariton entwickelt. Und in Bayreuth mit dem Fliegenden Holländer eine Titelrolle gesungen. In der Rolle des Kurwenals hat er erstmals in Köln vor zehn Jahren debütiert. Und hat inzwischen deutlich an schauspielerischem Vermögen und Bühnenhaltung hinzu gewonnen. In dieser Inszenierung muss er mit Tristan im Besonderen mitleiden. Er kostet nämlich auch von dem Liebestrank aus dem Wasserhahn und darf zusammen mit Tristan verrückt werden. Solche Regieeinfälle dürfen verziehen werden, ebenso wie zwei Isolde-Dopplungsfiguren oder ein männliches Statisten-Chorps in Fischerkleidung, das mit eigenartig rituellen Bewegungen immer wieder von links nach rechts durch die Zackenlandschaft vor dem Orchester zieht.

Hier gibt es keine Lizenz zum Schreien

Im Mittelpunkt steht in jeder Hinsicht François-Xavier Roth, der vor dem dritten Aufzug bereits euphorisch beklatscht wird. Um das zu vermeiden, steht er wohl bei den ersten beiden Aufzügen bereits am Platz, bevor das Publikum einzieht. So viel pianissimo hat man in dieser Partitur wahrscheinlich auch noch nie gehört. Mit filigraner Passarbeit im Orchester und in engem Passspiel zu den Sängern gibt es keine Lizenz zum Schreien. Im Gegenteil, immer wieder nimmt Roth das Orchester in den Begleitmodus, dreht aber sofort eine Zwischenphrase wieder auf oder beschleunigt. Er scheint es sichtlich zu genießen, sich von seiner Position hoch zu recken und zu drehen, um dem Chor hinter den Sitzrängen den Einsatz zu geben. Dieser unerwartete Choreinsatz ist ein ungeheurer Raumeffekt. Für die Hirtenweise im letzten Aufzug verteilt er zwei Englischhörner im Raum, die sich die Melodie teilen. Das klingt wie von den Klippen aus der Ferne. Und wenn vorne das Meer über die Bühne fährt, klingt das Rauschen der Entlüftung in den Pausen irgendwann wie Meeresrauschen. Vor allem die Diminuendi, die Roth auskostet, die Generalpausen, die er zulässt, die fein ausmusizierten Übergänge, beispielsweise der Bassklarinetten oder ein flautando der Streicher lassen immer wieder aufhorchen. Roth entlockt der Partitur einen unerhörten Klangfarbenreichtum en detail. Der Übergang im zweiten Aufzug vom Tag in die Beschwörung der Nacht, wenn das Liebestod-Thema erstmals kommt, das ist Magie! Und es rauscht im Finale in den im Welten-Atem aufgehenden Liebestod, für das sich Isolde ganz in die Nähe des Dirigenten bewegt!

Großer Applaus für alle Sänger, für Köln irritierend wenige, eher gehauchte Buhs für die Inszenierung, und den größten Applaus für François-Xavier Roth und sein Gürzenich-Orchester – inzwischen eine symbiotische Schicksalsgemeinschaft, die sich blind vertrauen kann!

Oper Köln
Wagner: Tristan und Isolde

François-Xavier Roth (Leitung), Patrick Kinmonth (Regie), Darko Petrovic (Bühne), Annina von Pfuel (Kostüme), KS Peter Seiffert, Ingela Brimberg, Claudia Mahnke, Samuel Youn, Karl-Heinz Lehner, John Heuzenroeder, Young Woo Kim, Insik Choi, Chor der Oper Köln, Gürzenich-Orchester Köln

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