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Opern-Kritik: Oper Leipzig – Norma

Sie drängeln, die Gallier

(Leipzig, 1.12.2024) Bellinis Belcanto-Hit „Norma“ ist nun endlich auch in der Oper Leipzig angekommen. Vokal und musikalisch ist ihm dabei weit größeres Glück beschieden als szenisch.

vonJoachim Lange,

Vincenzo Bellini(1801–1835) und seine Opern stehen für den Belcanto, also eine Art von Oper, die vor allem auf das schöne Singen setzt. Dass er zu Verdis Wegbereitern gehört, ist aus der historischen Distanz betrachtet Verdienst und Problem zugleich. Im Repertoire der Nachwelt ist das jung gestorbene Genie quasi unter die Verdi-Räder gekommen. „Norma“ schafft es gleichwohl immer mal auf eine Bühne –jetzt auch das erste Mal auf die der Oper Leipzig.

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Roberta Mantegna befreit „Casta Diva“ klug vom Callas-Gestus

Dass Maria Callas mit „Casta Diva“, dem berühmten Gebet der titelgebenden Priesterin Norma an die „keusche Göttin“, geradezu identifiziert wird, ist eine nützliche Hilfestellung für die Oper als Ganzes. Der in vielen Aufnahmen dokumentierte Einsatz der Jahrhundert-Sängerin für Bellini ist natürlich auch eine Bürde für jede Sängerin, die sich heute darauf einlässt. Insofern ist es von Roberta Mantegna klug, gar nicht erst deren gebieterisch dramatischen Gestus zu versuchen, sondern bei sich und ihren Möglichkeiten zu bleiben. Sie lässt die abgerundete Schönheit ihrer Stimme aufblühen und brilliert mit ihrer sicheren Höhe.

Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig

Leider gelingt es ihr und der Personenregie nicht wirklich, die Leidenschaft und Verzweiflung dieser Frau auch darstellerisch glaubhaft zu machen. Immerhin hat sie zwei Kinder mit dem Anführer der römischen Feinde ihrer unterdrückten Gallier. Es ist schon ein ziemlich spezielles Eigeninteresse, wenn sie als Priesterin den göttlichen Willen so interpretiert, dass dem Vater ihrer Kinder nichts geschieht, also der längst vorbereitete Aufstand von ihr mit der Autorität der Priesterin immer wieder verhindert wird. Mehr latente Tragik kann man einer Opernfigur kaum aufbürden.

Dreieckskonstellation vor dem Hintergrund eines elementaren Konfliktes auf Leben und Tod

Vokal gewinnt die Sizilianerin Mantegna vor allem im Duett mit der langjährigen Stütze des Hausensembles, Kathrin Göring. Als Novizin Adalgisa ist die zugleich Normas Rivalin um die Liebe des römischen Prokonsuls Pollione. Göring bot mit ihrer glasklaren und kraftvollen Mezzo-Eloquenz denn auch die überzeugendste vokale Leistung dieser Premiere. Wobei ihre Aufmachung im eleganten grünen Kostüm und einem Hut, als wolle sie sich beim Pferderennen unter die britischen Royals mischen, mehr als seltsam für eine der Priesterin Norma untergeordnete Figur wirkt. Zwischen ihnen ist der standhaft sichere, nicht allein auf vokale Ausbrüche, sondern eher auf abgerundet geschmeidige Töne setzende Tenor Dominick Chenes der schwarz uniformierte, blondierte Römer Pollione.

Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig

Da sich diese emotionale, sehr private Dreieckskonstellation vor dem Hintergrund eines elementaren Konfliktes auf Leben und Tod zwischen einer Besatzungsmacht und einem rebellischen, zum Aufstand bereiten Volk entfaltet, ist die große Katastrophe unausweichlich. In der Vorlage enden die Römer als Opfer des gallischen Aufstandes, während Norma, nachdem sie ihr doppeltes Spiel selbst bekannt hat, auf dem Scheiterhaufen umkommt.

Gewandhausorchester und Chor brillieren

Da Daniele Squeo das Gewandhausorchester zielstrebig auf das dramatische Potenzial von Bellinis Musik hin leitet, auch immer wieder musikalische Sequenzen bewusst ausstellt, die auf Bellinis Nachfolger verweisen, kommen auch die Passagen des vom Bayreuther-Festspielchor-Aspiranten Thomas Eitler de Lint einstudierten Opernchores prachtvoll zur Geltung.

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Das Protagonisten-Ensemble wird komplettiert durch den etwas kehligen, aber sonoren Randall Jakobsh als Normas Vater Oroveso, die prägnante Gabrielė Kupšytė als Clotilde und Matthias Stier in der kleinen Rolle des Flavio. Vokal und musikalisch bot diese „Norma“ also genügend Anlass für den einhelligen, wenn auch nicht überbordenden Beifall des Premierenpublikums für alle Beteiligten.

Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig

Sind wir szenisch im falschen Film?

Dass man sich bei des szenischen Umsetzung durch Anthony Pilavachi (Inszenierung) und seinen Ausstatter Markus Meyer streckenweise wie im falschen Film vorkam, lag wohl daran, dass es tatsächlich so war. Im Programmheft-Interview erläutert Pilavachi, dass anstelle seiner „Norma“ für Leipzig ursprünglich eine Inszenierung von „Le Barbares“ von Camille Saint-Saëns geplant war. Deren Fertigstellung wurde von der Pandemie ein Strich durch die Rechnung gemacht.

Am Ende wurde das die Zeit des Ersten Weltkrieges evozierende, aufwändige Bühnenbild für „Norma“ adaptiert. Damit sind zwar etliche Ungereimtheiten zumindest erklärbar, besser werden sie dadurch aber nicht. Wobei man fairerweise sagen muss, dass die in Leipzig zum Standard avancierte Nachhaltigkeit auch schon bestens (also so, dass man sie nicht bemerkte) funktioniert hat. Beispielhaft gelang das 2013 mit Ilaria Lanzinos Inszenierung von Thea Musgraves „Mary, Queen of Scots“. Bei „Norma“ geht diese Rechnung nicht auf. Hier war es ein Fall von (ökonomischer) Nachhaltigkeit, koste es, was es (künstlerisch) wolle.

Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Norma“ an der Oper Leipzig

Kaum nachvollziehbare Chor-Regie

Römische Faschisten als Besatzer bleiben die Behauptung von schwarzen Uniformen und einen in rot an die Mauer gesprühten „Faschisten-raus“-Spruches. Vor allem nimmt diese Mauer dem uniformierten Chor den Raum für jede irgendwie szenisch oder militärisch nachvollziehbare Aktion. Einen derartig hilflosen Umgang mit dem Chor erlebt man (zum Glück) selten. Aber auch sonst fremdelt beispielsweise das vor Verwundeten wimmelnde Lazarett-Gewölbe mit der von Norma zelebrierten Anrufung der Göttin.

Auch der römische Uniformlook der vor aller Augen jahrelang versteckten Kinder Normas und Polliones mutet seltsam an. Dass sich am Ende Norma und Pollione von den Massen vorm tempelartigen Säulenportal eines geplünderten Museums mit großer Geste selbst erdolchen und dann auch noch mit Benzin übergossen werden und sich die lodernden Fackeln langsam auf sie senken, passt dann auch noch zu dieser nicht stimmigen, missglückten Inszenierung. Zum Glück senkte sich der Vorhang schneller als die Fackeln.

Oper Leipzig
Bellini: Norma

Daniele Squeo (Leitung), Anthony Pilavachi (Regie), Markus Meyer (Bühne & Kostüm), Michael Röger (Licht), Kara McKechnie (Dramaturgie), Thomas Eitler de Lint (Chor), Dominick Chenes, Randall Jakobsh, Roberta Mantegna, Kathrin Göring, Gabrielė Kupšytė, Matthias Stier, Chor der Oper Leipzig, Komparserie der Oper Leipzig, Gewandhausorchester






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