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Opern-Kritik: Oper Wuppertal – Faust

Fast eine opéra comique

(Wuppertal, 23.2.2025) Eine stringent erzählte Geschichte, ein attraktives Bühnenbild, formidable Sangesleistungen: Regisseur Matthew Ferraro gibt Gounods „Faust“, wessen er ganz unbedingt bedarf, ein gehöriges Quantum Sentiment und Humor.

vonMichael Kaminski,

Es braucht keine außerordentliche Sehergabe, um dieser Produktion eine Karriere im Abonnement und überdies Freiverkauf im gesamten Bergischen Land vorauszusagen. Auf der Bühne der Oper Wuppertal versammelt sich alles, was viele im Publikum – nicht allein jenseits der Metropolen – schätzen: eine stringent erzählte Geschichte, das attraktive Bühnenbild, formidable Sangesleistungen. Avantgarde findet nicht statt, auch vokale Höchstleistungen braucht es nicht unbedingt. Doch triumphiert Gediegenheit. Und die darf in vollen Zügen genossen werden. Regisseur Matthew Ferraro gibt dem Werk, wessen es ganz unbedingt bedarf, ein gehöriges Quantum jener opéra comique, die „Faust“ war, bevor Charles Gounod ihn ins Großformat steigerte.

Zwar lässt daher Ferraro Emphase und Dramatik über die Rampe bringen, ebenso aber erhalten zwei weitere zentrale Eigenschaften seiner Oper Gelegenheit zur Entfaltung: Sentiment und Humor. Mitunter beide im Verein. So, wenn Marguerite dem Verehrer Lebewohl sagt, nur um flugs zu dessen Einladung eine Kerze in ihr Fenster zu stellen. Übrigens bewohnt die Angehimmelte ein Puppenhaus. Die Soldateska paradiert, als sei sie geradewegs aus Offenbachs „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ einmarschiert.

Szenenbild aus „Faust“
Szenenbild aus „Faust“

Schlüssige Sicht auf’s Ganze

Doch wichtiger noch als charmante Einfälle ist: Die Generalperspektive auf das Werk stimmt. Im Zentrum von „Faust“ steht ein alter Mann. Ob Gelehrter oder nicht, bleibt nachrangig. Entscheidend ist die Sehnsucht nach der verlorenen Jugend und der Liebe eines Mädchens. Klingt banal, eröffnet aber schier endlose Optionen. Die Verjüngungskur bewerkstelligt Faust mittels Zeitreisemaschine. Später wartet die Walpurgisnacht mit neumodischem Teufelswerk auf: einem Stummfilm, der Fausts Misere sowie den Teufelspakt samt Liebesgeschichte als Appell zur Befreiung Marguerites abspult. Wieder gehen hier Sentiment und Humor Hand in Hand.

Was einerseits der Titelfigur in die Seele greift, erweist sich andererseits zu des Publikums allgemeiner Erheiterung als Griff in jene Vintage-Kiste, aus der sich weiland die „Väter der Klamotte“ bedienten. Alles dies situiert Ferraro als sein eigener Bühnenbildner in Fausts Studiersaal, einem Gemach, dessen hohe Wände dekorativ zwischen Spätbarock und Klassizismus changieren. Mitten hinein ins Gemach gestellt, zeigen sich fallweise der Jahrmarkt mit übergroßem Geisterbahn-Teufel, Marguerites Puppenhaus, die Kirche samt dem als Muttergottes vermummtem Méphistophélès wie auch alle weiteren Schauplätze. Devia Saha nähert die Mode für Solistinnen und Solisten dem Heute an, während das Kollektiv die des 19. Jahrhunderts bevorzugt.

Szenenbild aus „Faust“
Szenenbild aus „Faust“

Musikalisch überzeugend

Von der Bühne und aus dem Graben tönt Beachtliches. Versiert lässt sich der Chor des Hauses unter Ulrich Zippelius vernehmen. Mit dem Sinfonieorchester Wuppertal dehnt Johannes Witt zuweilen ohnehin Langsames, um es desto effektvoller mit Raschem zu kontrastieren. Dynamische Feinabstufungen werden sich im Verlauf der Aufführungsserie gewiss noch weiter ausdifferenzieren. Sangmin Jeon ist der zu nahtlosen Registerwechseln findende Faust.

Für die erkrankte Hausbesetzung springt Almas Svilpa als Méphistophélès ein. Immerhin konnte der Ensemble-Kämpe der Essener Aalto-Oper bereits die Generalprobe singen, so dass er nun – erfahren wie er ist – vokal und spielerisch mächtig aufzutrumpfen vermag. Margaux de Valensart wird als erkältet angesagt. Dennoch bietet de Valensart für Marguerite eine stimmliche Flexibilität auf, von der auf ganz Außerordentliches bei gesundheitlich optimalem Befinden zu schließen ist. Auf sanglich schöner Linie bewegt sich schlankstimmig der Valentin von Zachary Wilson. Gewinnend auch Edith Grossman als Siébel.   

Oper Wuppertal
Gounod: Faust

Johannes Witt (Leitung), Matthew Ferraro (Regie und Bühne), Devi Saha (Kostüme), Florian Kerl (Licht), Ulrich Zippelius (Chor), Sangmin Jeon, Almas Svilpa, Zachary Wilson, Hak-Young Lee, Margaux de Valensart, Edith Grossman, Vera Egorova, Sinfonieorchester Wuppertal, Opernchor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen






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