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Opern-Kritik: Opéra National Capitole Toulouse – Tristan und Isolde

Die Geburt der Liebe aus dem Geiste der Musik

(Toulouse, 26.2.2023) Dank des großen Wagnerdirigenten Frank Beermann und einer gefeierten Schar von Sängerdebütanten entwickelt sich die „Inszenierung“ von Wagners Wunderwerk „Tristan und Isolde“ direkt heraus aus dem Orchestergraben.

vonPeter Krause,

Wagners Wunderwerk „Tristan und Isolde“ ist nicht nur ein Nachtstück, es ist Hochromantik pur: Das gilt für die hochgezüchtete Harmonik, die jede Grenze des bis dato gültigen kompositorischen Anstands beherzt sprengt. Und es gilt für die Geschichte selbst, die zwischen dem Dichter Novalis, dem Philosophen Schopenhauer und dem Erotiker Wagner einmal mehr den gesellschaftlich eingehegten Eros in die Freiheit treibt und ins Kosmische hinein überhöht.

Das Werk ist ein einziges Loblied auf das Numinose, eben das nächtlich Dunkle als krasser Gegensatz zum lichten Alltag von Politik und Verstand, Moral und Männlichkeit. „Sitte“ nennt der in diesem Geflecht des Heldischen zu Beginn noch gänzlich verfangene Tristan dieses Konzept und hält es Isolde als ziemlich fadenscheinige Taktik der Distanzierung vor. Doch diese Frau hat ja alles früher und besser verstanden, sie fordert die Konfrontation heraus, von der sie weiß, dass sie in dieser Welt in letzter Konsequenz nur zum (gemeinsamen) Tode führen kann.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Hochromantische Töne zu schlichten Bildwelten: „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Hochromantische Töne zu schlichten Bildwelten: „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse

Richard Wagner trifft Caspar David Friedrich

Diese Hochromantik auf der Bühne dezidiert zu zeigen – oder doch mutig zumindest zuzulassen, ist freilich außer Mode gekommen. Das hat nicht nur mit der generellen Mode der Metaebenen und der dialektischen Inszenierungswege zu tun. Die Musik entfaltet einfach ihrerseits (bis heute unerhört und ungemindert machtvoll) eine derartige Sogkraft, dass es kaum nötig erscheint, auf der Szene zu doppeln, was zumal aus dem Graben und natürlich aus den Mündern der Sänger an narkotischer Nacht-Beschwörung drängt. Nicolas Joel aber hat in seiner Inszenierung dem schamlosen kompositorischen Giftmischer Richard Wagner noch einmal vollends vertraut. Er glaubt den multiplen hochromantischen Höhepunkten der Partitur, denen er mit seinem Ausstatter Andreas Reinhardt wunderbar schlichte wie wirkungsmächtige Bildwelten entgegensetzte.

Isolde kniet zu Beginn in unschuldsweißen Gewändern wie eine Urmutter in der absoluten Bühnenmitte am Boden. Nur die roten Schuhe und Strümpfe lassen erahnen, welche erotische Unbedingtheit in dieser großen Frau angelegt ist und nur schlummert, um zur Entfaltung zu gelangen. Als der von Dienerin Brangäne vertauschte schwarze Todestrank, der dann doch ein roter Liebestrank ist, seine Folgen zeigt, wird der Mond an der Caspar David Friedrich abgeschauten Rückwand ganz groß und zeigt die heimliche Helle in dunkler Nacht.

Archetypische Konstellationen

Es sind solche archetypischen Konstellationen, die in ihrer Einfachheit verblüffen und die im Laufe der (letztlich nur inneren) Handlung nur immer noch weiter vereinfacht werden: zunächst im Sternenhimmel des zweiten Aufzugs und schließlich in der fast komplett leeren Bühnen des dritten Akts, von deren Himmel nun nur ein Steinquader hängt, der das Geschehen vollends in erdferne Sphären entrückt: Es könnte sich um Kratergestein des Mondes handeln. Dazu lässt Andreas Reinhardt besonders im ersten Aufzug den Boden schwanken, das Schiff, auf dem Tristan „seine“ Isolde pflichtschuldig Oheim König Marke zuführt, wird sinnfällig stilisiert.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse

Am 18. Juni 2020 verstarb Nicolas Joel, die Neueinstudierung seiner Inszenierung durch seine Assistentin Émilie Delbée wird zum Vermächtnis eines konservativen Künstlers im besten Sinne. Er führte einst selbst das Théâtre du Capitole de Toulouse, bevor er an der Opéra Paris auf den an vielen Fronten aneckenden Erneuerer Gerard Mortier folgte. Als Regisseur hatte Joel einst in jungen Jahren Patrice Chéreau in Bayreuth assistiert, als sein Landsmann ab 1976 den dortigen „Jahrhundert-Ring“ schmiedete.

Eine Premiere der grandiosen Sänger-Debütanten

Es wirkt folgerichtig, dass der aktuelle künstlerische Leiter an der Opéra national Capitole in Toulouse nun auf die Regiearbeit seines Vorgängers setzte. Christophe Ghristi geht es in diesem Falle ja ohnehin nicht um die szenische Neuerfindung von „Tristan und Isolde“. Vielmehr hat er das profunde Wissen gepaart mit dem Mut, das Gipfelwerk des hochdramatischen Wagnergesangs ausschließlich mit Debütanten zu besetzen. So erhält der Begriff der Premiere jetzt einen durchweg eigentlichen Wortsinn: Im Süden Frankreichs nahe an der Grenze zu Spanien wird der Aufführung mit hochgespannter Aufmerksamkeit gefolgt.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse

Man merkt dem Toulouser Publikum die Vertrautheit mit dem Repertoire des deutschen Romantikers an. Es vollzieht gebannt nach, wie denn nun Sophie Koch als Isolde, Nikolai Schukoff als Tristan, Matthias Goerne als Marke und Anaïk Morel als Brangäne den Fünf-Stunden-Marathon bewältigen. Und nicht zuletzt: Wie der Wagner-erfahrene deutsche Dirigent Frank Beermann mit dem Orchestre national du Capitole ein am französischen Klangsinn geschultes, aber enorm Wagner-hungriges Orchester denn nun die emotionalen Extreme der Partitur ausloten würde.

Wenn Mut belohnt wird

Der Premierenabend belohnt die Risikofreude des Hauses vollends. Sophie Koch, in den Anfangsjahren ihrer internationalen Karriere als Richard Strauss‘ Octavian die allererste Wahl für die Mezzo-Partie (sie hat den Rosenkavalier indes weiterhin im Repertoire, singt ihn demnächst an der Semperoper), wagt nach ihrer starken Kundry in Toulouse kurz vor Ausbruch der Pandemie nun den Fachwechsel in hochdramatische Soprangefilde.

Damit stellt sie sich in die Tradition einer Waltraud Meier, die als Mezzo diesen Ausflug ja auch bravourös meisterte. Die dunklen Stimmfarben der Französin geben der irischen Herrscherin nun genau jene nordische Hoheit, im zweiten Aufzug dann auch die edle Anmut der Liebenden, die man eher von den Mitschnitten alter Bayreuthzeiten erinnert denn von Besetzungen der Gegenwart. Ihr Mezzo flammt dunkel und intensiv, scheint nur in den ersten Szenen und dann ganz am Ende im Liebestod aufgrund der Premierennervosität ein wenig kurzatmig. Doch ihr Einstand in neuen Gefilden ist ein Ereignis, das zumal für ihre französischen Fans zum Stimmfest wird.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Opéra National Capitole Toulouse

Sie schont sich so wenig wie ihr Tristan Nikolai Schukoff, der im Bewusstsein von seiner sicheren Technik in den Fieberfantasien des dritten Aufzugs seine Grenzen testet – und gewinnt. Sein jugendlich heller Heldentenor hat nicht die einst typische baritonale Grundierung, dafür die stählerne Strahlkraft, um den Orchesterwogen zu trotzen. Wunderbar warm und wortklar zugleich intoniert Anaïk Morel die Wachgesänge der Brangäne, baritonviril gibt Pierre-Yves Pruvot den Kurwenal. Einmal mehr eine Klasse für sich ist Matthias Goerne als Marke. Der große Liedsänger, der zwei Tage vor der Premiere am selben Ort noch eine bewegende „Winterreise“ sang, vereint nun die Schubert-Eloquenz ideal mit der Wagner-Wucht und gibt einen anrührenden, dabei nie larmoyanten König, dessen Leiden als inneres Beben spürbar wird.

Die neue Hauptrolle Orchester

Zu einer weiteren Hauptrolle wertet Frank Beermann das Orchester auf, das – in alter Barenboim-Manier – zum Schlussapplaus oben auf der Bühne den Jubel entgegennehmen darf. Wie dieser große Experte der Exegese des Bayreuther Meisters die harmonischen Scharniere schärft, in jedem Takt das unbändige Sehnen und die emotionalen Extreme auslotet, indem er die Agogik ganz natürlich im Fluss der unendlichen Melodie auslotet – das hat Wagner-Weltklasse. Beermann schenkt den Sängern nichts, er lässt es machtvoll Brausen, lotet mit den Streichern aber auch alle hell-dunklen-Farbwerte aus, das Vorspiel zum dritten Aufzug ist ein Paradebeispiel einer erdigen Musik „von unten“.

Gleichermaßen zu nutzen weiß er die genuinen französischen Qualitäten des Orchestre national du Capitole, wenn die Übergänge von Englischhorn zur Oboe so traumverloren gelingen wie an diesem Abend, an dem sich die „Inszenierung“ von Wagners Wunderwerk immer mehr heraus aus dem Orchestergraben entfaltet.

Opéra national Capitole Toulouse
Wagner: Tristan und Isolde

Frank Beermann (Leitung), Nicolas Joel (Regie), Émilie Delbée (Künstlerische Mitarbeit), Andreas Reinhardt (Bühne & Kostüme), Vinicio Cheli (Licht), Sophie Koch, Nikolai Schukoff, Matthias Goerne, Anaïk Morel, Pierre-Yves Pruvot, Damien Gastl, Valentin Thill, Matthieu Toulouse, Orchestre national du Capitole

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