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Operetten-Kritik: Komische Oper Berlin – Messeschlager Gisela

Leipzig, das Klein-Paris

(Berlin, 8.6.2024) Mit Gerd Natschinskis „Messeschlager Gisela“ konstituiert die Komische Oper Berlin ihre Projektreihe zur weitläufig in Vergessenheit geratenen DDR-Operette und nimmt sich damit einiges vor: Der Start macht Lust auf diese scheinbar fremd gewordene Welt und lässt auf mehr hoffen.

vonPatrick Erb,

Hält auch ihr Chef sich für den größten Modeschöpfer, der auf Erden wandelt; glaubt er, die besten Schnitte und Designs abzuliefern und scheitert damit – in Retouren versinkend – kläglich? Klingt fast schon klischeehaft, doch in der Operette „Messeschlager Gisela“, die in der Sommerproduktion der Komischen Oper Berlin im Zelt am Roten Rathaus Premiere feierte, trifft das für Gisela Claus (Gisa Flake) zu.

Längst hat die Mitarbeiterin des Volkseigenen Betriebs „Berliner Schick“ ein alltags- wie ausgehtaugliches Kleid für jedefrau entworfen, doch der mit großem Ego nicht geizende Chef Robert Kuckuck (Thorsten Merten) sieht diese Pläne lieber verworfen. Doch es hilft ja alles nichts: Für die Leipziger Modemesse muss ein Erfolgsmodell her. Wo Herrn Kuckuck jedoch bei seinem Modell „Melone“ die Inspiration nicht beflügelt, soll Giselas Entwurf wortwörtlich und werktitelprägend zum Messeschlager werden.

In einer für das Zelt auf Effizienz getrimmten szenischen Einrichtung von Axel Ranisch, die vor allem über charakteridentifizierende Kostüme und klug auschoreografierten Umgang mit Alltagsgegenständen arbeitet, zeigt allein schon das Konzept einen Hauch von DDR-Sparsamkeit.

Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“
Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“

Berliner Schick, auch in der Sprache

Heimelig und exotisch zugleich wirkt der Berliner Dialekt, das vermutlich prägende Merkmal dieser zweistündigen heiteren Operette. Wie Sprache auch auf der großen nationalen Bühne gern als identitätsstiftend erachtet wird, so ist das Berlinerisch augenzwinkernd Ausdruck des Trotzes gegen die Musik von außerhalb, ob Westproduktionen oder gar amerikanisches Musical. Mit viel Liebe zum Detail verlieh bereits Librettist Jo Schulz dem 1960 uraufgeführten Werk Witz, Wortspiele, Eigenironie, Berliner Schick.

Nicht minder stark da die deutliche Abwendung von Themen, die der Oberschicht zuzuordnen sind und wie sie die Oper und Operette der vorangegangenen Zeiten geprägt hat. Ein Musiktheater der DDR hat das Milieu der arbeitenden Bevölkerung im Blick und dabei auch die damals seinesgleichen suchende Gleichstellung von Mann und Frau in Gesellschaft und Beruf. Auch die Tugenden anderer innerdeutscher Kulturen erfahren Sichtbarkeit, wenn beispielsweise der sprachlich sächselnde Hausmeister vor Ort mit seinen Gästen „Blinsen“ backt.

Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“
Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“

Bodenständigkeit der Handlung

Hemdsärmeligkeit und Bodenhaftung strahlt wiederum am Premierenabend Gisa Flake wie wenige andere Schauspielerinnen aus, die dadurch mehr mit ihrer Rolle gemein hat als nur die Namensähnlichkeit. Flakes großes natürliches Talent ist es, ob ihrer raumgreifenden Präsenz (und ob der durch gewisse freitagabendliche Satireformate weitläufig geprägten Begabung zu cholerischen Ausfällen) menschlich-sympathisch und liebenswert zu sein – Gutmütigkeit und Zusammenarbeitsethos im VEB beherrschen generell die Handlung von „Messeschlager Gisela“.

Wenn dann Sekretärin und Mannequin von Kuckucks „Melone“ Marghueritta Kulicke (Marie-Danaé Bansen) im berlinerischen Ton bei der übrigen Belegschaft kokettiert, macht es das Geschehen nur noch sympathischer. Bansen beherrscht dabei das karrierefördernde Anbiedern an den Chef, bei dem sie stets ihre Unschuld ausstrahlt, so gekonnt wie Merten als Modechef andauernde Geschäftstüchtigkeit vermittelt bei gleichzeitigen sympathischen Umgangsformen im Berliner Sprachstil.

Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“
Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“

Neue alte Perspektiven

So heiter die DDR-Operette als Genre ist, so gezielt einfach wirken auch die Melodien der Schlager Natschinskis, an der alle Schauspielerinnen und Schauspieler problemlos Anschluss finden. Einfach ist hier aber nicht banal, denn der Komponist findet zu jeder Situation ein passendes musikalisches Gewand, sei es ein Tango zum Statement Kuckucks vor der Berliner Presse oder der generell belebte Swing bei der Arbeit. Dank Adam Benzwi, der Orchester und Ensemble der Komischen Oper vom Klavier aus anführte – zeitweise als Komparse und begeisterter Mitsänger seiner Produktion agierte –, sog sich die Musik voll mit Nostalgie – fast schon jener der Variety-Orchester-Musik der 1930er Jahre.

Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“
Szenenbild zu „Messeschlager Gisela“

Dazu passt auch das tiefrote goldverzierte Zirkuszelt, auf dessem Tribühne die Musizierenden der komischen Oper platznehmen. Zusammen mit den aus allen Vorhängen des Rondells in die Manege breschenden und singenden Tänzerinnen und Tänzern, die ganz im Sinne des Broadway-Musicals nichts anders können, als ansteckend gute Laune zu verbreiten. Man fragt sich gespannt, inwiefern es der Komischen Oper Berlin gelingen wird, weitere DDR-Operetten als klingendes Zeitzeugnis zu etablieren, neues altes Vokabular lernt man kennen und unterhaltsam ist das Genre allemal.

Komische Oper Berlin
Natschinski: Messeschlager Gisela

Adam Benzwi (Leitung), Axel Ranisch (Inszenierung), Saskia Wunsch (Bühnenbild), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Christopher Tölle (Choreografie), Johanna Wall (Dramaturgie), David Cavelius (Chor), Johannes Scherfling (Licht), Gisa Flake, Andreja Schneider, Thorsten Merten, Maria-Danaé Bansen, Nico Holonics, Johannes Dnuz, Theo Rüster, Martin Reik, Orchester und Chorsolisten der Komischen Oper Berlin

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