Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Im Urwald der Klänge

Opern-Kritik: Opernhaus Zürich – Das große Feuer (UA)

Im Urwald der Klänge

(Zürich, 23.3.2025) Die Uraufführung von Beat Furrers neuer Oper „Das große Feuer“ unter Leitung des Komponisten in einer Inszenierung von Tatjana Gürbaca besticht mehr durch atmosphärisches Ahnen denn durch klares Erzählen. Ihr berührendes Thema ist die Vernichtung der Lebensräume von indigenen Völkern als Kollateralschaden des vermeintlichen Fortschritts.

vonRoberto Becker,

In Beat Furrers musikalischem Universum ging es auch schon noch klangsparsamer zur Sache. Da er diesmal aber in einen Urwald einlädt, darf es ein wenig mehr von dem sein, was er dem Reich der Verweigerung von Melodie und Klangopulenz auf seine spezielle Weise abringt. Das Arsenal hat er jetzt um das Label einer Choroper erweitert. Diesen Part übernimmt nun am Opernhaus Zürich das von Cordula Bürgi einstudierte österreichische Vokalensemble Cantando Admont.

Es ist eine musikalische Exkursion von einer Stunde und 50 Minuten in 41 Szenen, die uns in einen existenziell gefährdeten Teil unserer Welt und Gegenwart führt. Die klimakrisenverstärkten spontanen Flächenwaldbrände und die zur Rodung skrupellos herbeigeführten sind zum Synonym für die eskalierenden Krisen unserer Zeit geworden. Südamerika ist der beispielhafte Ort des Geschehens. Gerade dort ist die Vernichtung der Lebensräume von indigenen Völkern ein Kollateralschaden des vermeintlichen Fortschritts, der kaum noch wahrgenommen wird. Auch wenn es sich weder so anhört, noch in der Uraufführungs-Inszenierung von Tatjana Gürbaca am auftragsgebenden Opernhaus Zürich auf den ersten Blick so aussieht: Hier setzt das neue Musiktheater von Beat Furrer an. Zumindest dürfte das zur Ambition der Novität gehören.

Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich
Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich

Die Suche nach der eigenen Identität

Das Libretto zu „Das große Feuer“ hat Thomas Stangl aus dem 1971 veröffentlichten Roman „Eisejuaz“ der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo (1931-1981) destilliert. Der Titelheld ist der Sohn eines Schamanen, der in einer Mission aufgewachsen ist. In seiner Brust wohnen mithin zwei Seelen. Die eine versteht die Sprache der Hölzer, der Tiere, sprich: der Natur. Die andere folgt den Geboten eines Gottes, den die Missionare aus Europa ins Land gebracht haben, um sich vor allem dessen Schätze in seinem Namen anzueignen. Die Suche nach der eigenen Identität wird so zum Leitmotiv einer Geschichte, die sich an den abwechselnd auf Spanisch und Deutsch gesungenen Worten und Satzbruchstücken eher entlang hangelt, als stringent voranzuschreiten.

Furrer fügt dem umfangreichen 18-köpfigen Personaltableau den Chor hinzu, wobei die Vokalsolisten ein Dutzend der kleineren Rollen übernehmen. Die Regie wiederum erweitert das Personal noch einmal durch Statisten, sodass die angekippte Drehscheibe, die Henrik Ahr auf der Bühne im Zentrum fast ununterbrochen gemächlich rotieren lässt, und auch der Raum vor den drei Wänden des Bühnenkastens immer reichlich bevölkert sind. Einige eingepflanzte und von oben herabhängende Stangen sollen wohl an die Reste eines abgebrannten Waldes erinnern.

Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich
Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich

Manches Feuer lodert auf kleiner Flamme

So, wie die Abstraktion des Raumes die assoziative Verbindung zur Natur und der Welt der Schamanen und Geister immer wieder befördert, so gerät die Kostümierung des Personals in Kollisionen mit dieser Welt. Wenn die meisten immer in Alltagskleidung von heute auftreten und auch der indigene Held im Unterhemd erscheint, dann kollidiert das mit der szenisch und auch musikalisch behaupteten Magie.

Es ist jedenfalls nicht einfach, immer die Orientierung in dem szenischen Wimmelbild zur eher minimalistisch pointilistischen musikalischen Grundierung zu behalten. Die ist für sich genommen virtuos ausgearbeitet, bietet auch immer wieder mal Ausbrüche, lodert aber – um im Bild zu bleiben – auf gewohnt kleiner Flamme vor sich hin.

Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich
Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich

Eine Reise durch den metaphorischen und konkreten Urwald auf dem Weg in den Untergang

Für die innere Zerrissenheit von Eisejuaz zieht Leigh Melrose alle Register seiner vokalen Virtuosität und darstellerischen Intensität. Die ist vor allem dann gefordert, wenn er mit dem kriminellen und obendrein offen rassistischen Paqui konfrontiert wird. Andrew Moore verkörpert diesen Nichtcharakter mit einer von menschlichen Skrupeln geradezu unbelasteten Kaltschnäuzigkeit. Er spuckt sozusagen auf Eisejuaz, der es für seinen göttlichen Auftrag hält, ausgerechnet diesem Menschen immer wieder zu helfen. Was die beiden erleben, ist zwar kein Roadmovie, aber eine Reise durch den metaphorischen und konkreten Urwald auf dem Weg in den Untergang. Auch in ihren eigenen.

Die wichtigste Frau für Eisejuaz ist die Schwester seiner verstorbenen Frau Lucia. Diese Mauricia (Elina Viluma-Helling) ist Eisejuaz‘ heimliche Geliebte, die ihn überreden will, ihren Ehemann zu ermorden und seine Stelle, auch als Aufseher in der Mission, einzunehmen. Eine andere Frau, der beide mehrfach begegnen und die sich am Ende ihrer annimmt, ist Muchacha (Sarah Aristidou). Ausgerechnet sie ist es, die den beiden bei ihr Gestrandeten Kröteneier zu essen gibt. Die waren ein im wahrsten Wortsinn vergiftetes Geschenk der Schamanin Chahuanca, die gleich in dreifacher Gestalt durch die Geschichte geisterte.

Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich
Szenenbild aus Beat Furrers „Das große Feuer“ am Opernhaus Zürich

Keine Hoffnung auf eine lichte Zukunft

Ob es nun Zufall oder eine verquere Rache der Götter ist, die Eisejuaz „verriet“ – man weiß nur, dass hier die Geschichte von zwei grundverschiedenen Menschen tieftraurig mit deren Tod endet. Ohne Hoffnung auf eine lichte Zukunft. Dieser Abend, der seine Wirkung mehr durch ein atmosphärisches Ahnen erzielt, als durch klares Erzählen, der mehr erfühlt als komplett verstanden werden muss, wirkt einerseits ziemlich weit weg. Und dann doch so beklemmend nah.

Der Beifall für eine große Kunstanstrengung aller Beteiligten (auch für die wieder genesene Tatjana Gürbaca, die sich während der Proben krankheitshalber auf die Co-Regisseurin Vivien Hohnholz verlassen musste) war einheitlich und respektvoll. Ein gewisses Quantum Ratlosigkeit bei dem einen oder anderen bremsten ihn dann aber auch wieder.

Opernhaus Zürich
Furrer: Das große Feuer

Beat Furrer (Leitung), Tatjana Gürbaca (Regie), Vivien Hohnholz (Co-Regie, Henrik Ahr (Bühne), Silke Willrett (Kostüme), Stefan Bolliger (Licht), Cordula Bürgi (Einstudierung Vokalensemble), Claus Spahn (Dramaturgie), Leigh Melrose, Andrew Moore, Helena Sorokina, Cornelia Sonnleithner, Piroska Nyffenegger, Sarah Aristidou, Christoph Brunner, Friederike Kühl, Patricia Auchterlonie, Elina Viluma-Helling, Hugo Paulsson Stove, Ruben Drole, Piotr Pieron, Ferdinand Junghänel, Filippa Möres Busch, David de Winter, Bernd Lambauer, Patrizia Finocchiaro-Piu, Michèle Kolácková, Philharmonia Zürich, Cantando Admont, Statistenverein am Opernhaus Zürich






Auch interessant

Rezensionen

  • „Lebe im Hier und Jetzt!“
    Interview Joyce DiDonato

    „Lebe im Hier und Jetzt!“

    Joyce DiDonato reflektiert über die Kraft der Musik, ihre künstlerische Mission und den Mut, trotz globaler Krisen weiterzumachen.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!