„Homo instrumentalis“ ist der hochambitionierte Versuch des niederländischen Musiktheaterkollektivs Silbersee, mit vier zeitgenössischen Kompositionen eine über die Gegenwart hinausweisende Geschichte des arbeitenden und/oder musizierenden Menschen zu gestalten. „Ode to man, part I“ von Yannis Kyriakides verwendet Originaltext aus der „Antigone“ des Sophokles. Vier streng frisierte Sängerinnen treten in asketischen Roben an die Rampe und singen ihre Wortfragmente, unterstützt von analog erzeugten Geräuschen – sinnlich aufgeladene, Reinheit behauptende Statik.
Es folgt Nonos berühmte „fabbrica illuminata“ für Sopran und Tonband, eine Horrorvision der Fremdbestimmtheit und Misshandlung des arbeitenden Menschen, hier in ruhigen, kaum bewegten, ästhetischen Bildern inszeniert, gesungen von Eléonore Lemaire mit dunkel glänzenden, für dieses Stück vielleicht zu gelassen eingesetzten Stimmfarben.
In Georges Aperghis‘ die Hälfte des 90-minütigen Abends einnehmenden „Machinations“ finden sich die Inszenierungen. Hier brennen die vier Sängerinnen und vier Tänzer ein sinnliches Feuerwerk der Töne und Bewegungen ab. Alles ist genau gearbeitet und, selbst im akrobatischen Bereich, locker ausgeführt.
Musikalische Flussdiagramme
Der französische Philosoph Francois Regnault hat einen wild zwischen präzivilisatorischem Gestammel und intellektuellem Sophismus ausschlagenden Text geschrieben, den Aperghis dann in brillante, tempogeladene und nicht selten witzige musikalische Rhetorik übersetzt hat. Auf der Bühne sehen wir Kettenreaktionen, musikalische Flussdiagramme, Molekülbewegungen. Die acht Darsteller ballen sich zur Gruppe, zersplittern in Paare, suchen immer neue Konstellationen auf.
Im Spiel ist keinerlei Aggressivität. Das Spannungsverhältnis Mensch – Maschine, die Frage, wo die überlegene Handlungskompetenz liegt, teilt sich dennoch, trotz französischen Textes, fast schwerelos und höchst intensiv mit. Da hätte es der oft kunstgewerblichen, die Textprojektion bis hin zur Unlesbarkeit graphisch auszierenden, den ganzen Abend zu oft plump illustrierend begleitenden Videoprojektionen nicht bedurft. Am Ende steht noch ein kurzes Elektronikstück von Yannis Kyriakides. Reine Elektronik. Keine Stimmen mehr. Wir Menschen sind im Teilchenbeschleuniger abgesoffen.
Im Vertrauen auf die Wirkungsmacht der thematischen Setzung
Natürlich bleibt der im Programmheft beschriebene Ablauf (schaffender Mensch, industrieller Mensch, Cybermensch, jenseits des Menschen) künstlerische Behauptung. So brillant besonders Aperghis „Machinations“ ausagiert werden, so wenig mag sich ein Zusammenhang zu den anderen Stücken herstellen, den Silbersee auch nicht spürbar herzustellen versucht. Man vertraut auf die Wirkungsmacht der thematischen Setzung, des ästhetischen und funktionalen Bühnenbildes, der rationellen, aber stimmigen Kostüme und vor allem der Aura der Duisburger Gebläsehalle. So bleibt das Konzept blass, entsteht eher eine sinnenpralle, elegante und doch irgendwie brave Collage. Es ist halt wie so oft in der Ruhrtriennalen-Intendanz von Johan Simons: Viele Gedanken führen nicht automatisch zu dramaturgisch stringenten Theaterabenden.
Ruhrtriennale
Aperghis/Kyriakides/Nono: Homo Instrumentalis
Ausführende: Romain Bischoff (Leitung), Silbersee (Performance), Johanne Saunier (Choreographie), Florian Ganzevoort (Bühne, Licht), Dieuweke van Reij (Kostüme), Frederik Jassogne, Bart Moens (Video), Fanny Alofs, Jennifer Claire van der Hart, Eléonore Lemaire, Michaela Riener (Gesang), Miguel Angel Gaspar, Jorge Morro, Carl Refos, Johanne Saunier (Tanz), Wouter Snoei (Live Electronics)