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Opern-Kritik: Salzburger Festspiele – Les Contes d’Hoffmann

Filmgeschäft mit Nebenwirkungen

(Salzburg, 13.8.2024) Bei den Salzburger Festspielen stolpert Regisseurin Mariame Clément über ihr selbstgespanntes Netz verwirrender Erzählstränge. Dank sehr guter Besetzung kommt die Inszenierung glimpflich davon.

vonJoachim Lange,

Es hätte auch gutgehen können. Das Stück und die Besetzung ließen das hoffen. Selbst wenn man daran zweifeln mochte, dass der Offenbach-affine Marc Minkowski auch für die Wiener Philharmoniker im Großen Festspielhaus der richtige Mann am Pult sein würde. Das vielseitige Luxusorchester und der französische Dirigentenstar kommen natürlich auch unfallfrei mit vielen schönen Momenten bis ans Finale des mit zwei Pausen recht langen Abends. Aber eine Offenbach-Erleuchtung war es gleichwohl nicht. Von den Premieren dieses Sommers hat Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von Mieczysław Weinbergs „Der Idiot“ den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen, Prokofjews „Spieler“ zumindest bei den Fans von Regisseur Peter Sellars Eindruck gemacht. Begonnen hatte man ja konzertant mit einer exquisiten Aufführung von Richard Strauss’ Konversationsoper „Capriccio“ mit dessen Statthalter auf Erden Christian Thielemann am Pult und der Übernahme der „La clemenza di Tito“-Inszenierung von den Pfingstfestspielen. 

Das Problem dieses letzten Opernpremierenabends des Festspielsommers ist allerdings weniger die Musik als eine Regie, die über die eigenen Füße stolpert, ihrer eigenen Grundidee immer wieder misstraut und sich dadurch selbst ins Abseits schießt. Berührend sind die von Regisseurin Mariame Clément zur Filmvorlage transformierten Begegnungen mit den drei „Teil“-Frauen Hoffmanns jedenfalls nicht.

Szenenbild zu „Les Contes d'Hoffmann“
Szenenbild zu „Les Contes d’Hoffmann“

Verschenktes interpretatorisches Potenzial

Jacques Offenbachs nie ganz fertig gewordenes Meisterwerk „Les contes d’Hoffmann“ an das Ende des aktuellen Premierenreigens der Festspiele zu setzen, hat seinen Reiz. Große Oper mit populärer Musik und einer Länge, die für zwei Pausen reicht. Ein mit Stars gespicktes Protagonistenensemble auf der Bühne. Dazu ein weibliches Regieteam mit Mariame Clément und Ausstatterin Julia Hansen, was heutzutage ja schon zu der Vermutung einer speziell weiblichen Sicht auf die Frauenbilder führt, die Offenbach und sein Librettist hier zelebrieren. 

Eine Spezialaufgabe für Inszenierungen im Großen Haus ist es immer wieder, die Riesenbühne möglichst glaubwürdig tatsächlich zu füllen. Voll war sie diesmal immer. Mit den abstoßend hässlichen Mauersegmenten, die sich in jedem Akt schrittweise in einen speziellen Ort verwandeln, aber immer erkennbar verschiebbare Kulissen bleiben.

Denn eine Grundidee der Regie ist es, aus den drei Frauenbildern die Dreharbeit für drei Filme zu machen. Wobei Hoffmann der Regisseur ist. Oder der Autor. Oder der Mitspieler. Oder alles gleichzeitig und dann wieder gar nichts davon. Die Regie scheitert nicht an der Riesenbühne, die ist immer mit jeder Menge Personal oder Kulissenversatzstücken gefüllt.

Szenenbild zu „Les Contes d'Hoffmann“
Szenenbild zu „Les Contes d’Hoffmann“

Gefühlsarmut

Am Ende, im Giulietta-Akt, sind die mit ein paar Neonröhren aufgemotzten Rückseiten der Mauersegmente der Ersatz für Venedig. Das sieht nach einem bewussten Bruch mit traditioneller Gondel-Masken-Canale-Grande-Opulenz aus. Aber die Barcarolle, dieses von Offenbach ja mehrfach genutzte musikalische Schmuckstück, mit der Extremtristesse einer leeren Bühne vor hässlicher Mauer mit Nicklausse an der Biergartenbank zu verbinden, darauf muss man auch erst mal kommen. Und das muss man dann auch aushalten wollen. Szenenapplaus für die auch musikalisch fad (rück-)wirkende Nummer gab es jedenfalls nicht. Und das nicht nur, weil Minkowski es wohl bewusst auch gar nicht darauf angelegt hatte.

Ansonsten freilich haben die Mitglieder der (von Alan Woodbridge präzise einstudierten) Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und die fast zwanzig quer durch den Fundus und die Zeiten kostümierten Statisten, die die Protagonisten umgeben, immer jede Menge zu tun. Mit Rumstehen, Rumwuseln, Wichtigtuerei, die Klappe für eine Aufnahme knallen zu lassen und all dem, was dem selbstgeschaffenen Klischee nach so am Filmset zu machen ist. Es fehlt nur die Schiene für die fahrbare Kamera und der Pool, sonst wäre das ein Remake von Marthalers auch schon missglückter „Falstaff“- Inszenierung an gleicher Stelle.

Bei dieser Offenbach-Produktion jedenfalls verheddert sich die Regie rettungslos in ihrer eigenen Idee, weil Hoffman weniger erzählt bzw. filmt oder das Filmen vorantreibt, sondern dauernd zwischen den Erzählebenen hin und her geistert. 

Dass Olympia keine mechanische Puppe, sondern die Hauptdarstellerin irgendeines frühen Science-Fiction-Versuches ist, dem kann man noch folgen. Im Antonia-Akt aber, der in einer aufgebauten Filmkulisse (vorvoriges Jahrhundert, Freitreppe, Ahnengalerie und so weiter) spielt, ist Hoffmann mal der Regisseur, dann wieder der Mitspieler, wobei nicht klar wird, ob in seinem Film oder in der Geschichte. Jedenfalls ist es am Ende so, dass diesmal nicht Antonia auf der Strecke bleibt, sondern Hoffmann herzinfarktähnlich zu Boden geht. Hm. Sollte das womöglich eine weibliche Sicht auf die Geschichte sein? Am Ende, bei einer Art behauptet wirkendem lieto fine, ist er Autor, der sich an dem Biertisch Notizen macht. Vielleicht für eine schlüssigere Offenbach-Inszenierung?

Szenenbild zu „Les Contes d'Hoffmann“
Szenenbild zu „Les Contes d’Hoffmann“

Ein Hoffmann, der Fragen aufwirft

Am Anfang ist er jedenfalls der Gestrandete,  Gescheiterte oder einfach nur Betrunkene, der wie ein Penner neben seinem Einkaufswagen liegt. Dann ist er aber der begehrte Solist des Klein-Zack-Liedes und hat beim Olympia-Dreh und über weite Strecken auch beim Antonia-Film das Heft in der Hand. Bis sich die Regie (also nicht die große des, sondern auch die im Stück) auf die Backstage-Unbestimmtheit der Kulissenrückseiten im letzten Akt herausredet. 

Dass Minkowski eigentlich ein Händchen für Offenbach hat, kommt auch hier natürlich zur Geltung, auch wenn man sich das Ganze mitreißender und nicht nur „gut“ gewünscht hätte. Benjamin Bernheim ist ein durchweg konditionsstarker, auch gegen die Inszenierung mit vokalem Charisma ankommender Hoffmann, dem man in dieser Rolle gerne in einem anderen Kontext wieder begegnen möchte. Kate Lindsey als Muse und Nicklausse hat es schwer, sich gegen die szenische Geringschätzung der Rolle durch die Regie zu behaupten, macht das aber mit musikalischer Eleganz. Alle vier Frauen zu verkörpern und drei davon zu singen, ist eine Aufgabe, der sich Kathryn Lewek mit Vehemenz und (vor allem als Olympia mit atemberaubenden Koloraturen) stellt. Christian Van Horn ist ein solider vierfacher Bösewicht, dem am Ende auch die Teufelshörner und der Schwanz nicht erspart bleiben. Alle anderen komplettieren das Ensemble ohne Ausfälle.

Der Beifall ist an diesem Abend übersichtlich; für Bernheim und Lewek rafft er sich beherzt zum Jubel auf. Die Regieriege kommt also glimpflich davon.

Salzburger Festspiele
Offenbach: Les Contes d’Hoffmann

Marc Minkowski (Leitung), Mariame Clément (Regie), Julia Hansen (Bühne & Kostüme), Paule Constable (Licht), Étienne Guiol (Video), Gail Skrela (Choreografie), Christian Arseni (Dramaturgie), Benjamin Bernheim, Kathryn Lewek, Christian Van Hordn, Kate Lindsey, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker

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