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Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Benvenuto Cellini

Robotik und Künstliche Intelligenz als Spaßbonbons

(Dresden, 29.6.2024) Nach anfänglichem Sauseschritt durch Künstlerintrige, Liebesgeschichte und Karneval findet Regisseurin Barbora Horáková in Berlioz‘ „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper das richtige Tempo.

vonMichael Kaminski,

Was für ein Kehraus für die Spielzeit und den scheidenden Hausherrn Peter Theiler! In der Semperoper fegt Berlioz‘ Werk über den exzentrischen Renaissancebildhauer Benvenuto Cellini über die Bühne, als gäbe es kein Morgen. Regisseurin Barbora Horáková drückt bis zum Anschlag auf‘s Tempo. Im Sauseschritt spulen sich Künstlerintrige, Liebesgeschichte und römischer Karneval ab. Freilich läuft die Höchstgeschwindigkeitstour zu Beginn Gefahr, an völlig überdrehtem Gezappel zu scheitern. Denn, was Horákoková ersinnt, wenn Cellini und seine Theresa von Fieramosca, dem Konkurrenten in Kunst und Liebe, belauscht und vom Vater der Angebeteten gestört werden, greift bis zum drohenden Ennui in die Kiste der völlig überdrehten Tür-auf-Tür-zu-Klamotte. Da ist des Guten zuviel getan. Bald aber findet Horáková zum rechten Timing. Es bleibt rasant und hält die Geschehnisse dennoch trotz heftiger Turbulenzen souverän über Wasser. Dies die allemal notwendige Voraussetzung, um die Metamorphose des Renaissance-Goldschmieds und Bronzebildwerkers zum Avantgardisten in Sachen Robotik und Künstlicher Intelligenz an Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit gewinnen zu lassen.

Szenenbild aus „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden

Die Verschmelzung des Künstlichen und Natürlichen

Wirklich zeigte sich ja die Spätphase der Renaissance offen für die Verschmelzung des Künstlichen und Natürlichen. Manieristen wie Cellini hätten vor Hybridwesen und Maschinenmenschen gewiss nicht gescheut, sie wären ihnen mit purer Entdeckerfreude begegnet und hätten auf Optionen für ihre Kunst spekuliert. Horákovás Cellini ist über die Erschaffung kühner Bildwerke wie des Perseus mit dem Haupt der Andromeda hinaus, er investiert seine Schöpferkraft in die Konstruktion von mit KI-Programmen angefütterten hyperkompetenten Robotern. Kein Teufelswerk, vielmehr eine selbst vom Papst gebilligte Fortschreibung des Menschen mit anderen Mitteln. Und das Gegenteil von Anlass zu Furcht und Sorge. Mühelos integriert die karnevaleske Ausgelassenheit der breiten Massen Cellinis Geschöpfe.

Szenenbild aus „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden

Avantgarde gilt mehr als Liebe

Kein Wunder, dass bei so bewandten Sachen ein Bildwerker herkömmlichen Schlages wie Fieramosca bei Teresa abblitzt. Cellini verkörpert das aufregend Neue, nach dem sie lechzt. Ob das Liebe ist, steht auf einem anderen Blatt. Und ob Cellini sie liebt, auf einem weiteren, scheint Teresa doch bloßer Katalysator für Abenteuer, die es braucht, um sich an ihnen für neue aufregende Projekte zu beflügeln. Bühnenbildnerin Aida Leonor Guardia situiert die fidelen Begebnisse in einer Welt, in der Maschinenwesen ganz selbstverständlich zur Maskerade zählen. Der die Szene beherrschende monumentale Roboterkopf weckt jene Heiterkeit, wie sie etwa gelungenen Häuptern aus Pappmaché im rheinischen Karneval zuteil wird. Währenddessen laufen Sergio Verdes Videos über den Rundhorizont, auf denen sich Figuren aus Hauptwerken der religiösen Malerei des Abendlandes zu Robotern mutiert zeigen. Schrill ironisiert Kostümbildnerin Eva Butzkies die Personnage. Der Papst und seine beiden Schweizergardisten machen jedem Tingeltangel Ehre.

Szenenbild aus „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden

Musikalisches Feuerwerk

Furios wie die szenische gestaltet sich die musikalische Seite des Abends. André Kellinghaus heißt den Chor des Hauses ein Wunder an vokalem Witz und zugleich durchschlagskräftiger Präsenz vollbringen. Farbenprächtige Raketen zündet Giampaolo Bisanti mit der Sächsischen Staatskapelle. Die Dynamik ist eine Wucht. Die Streicher geben sich glanzvoll. Das Holz umspielt die Figuren auf der Bühne. Prachtvoll tönt das Blech. Anton Rositskiy ist die Titelpartie nahezu in die Kehle geschrieben. Schlank, flexibel, substanzvoll und zugleich unangestrengt höhensicher beweist Rositzkiys Tenor ideale Voraussetzungen fürs französische Fach. Viel Leuchtkraft bietet Tuuli Takala für Teresa auf.  Den in der Liebe eher unbeholfenen Fieramosca und eben den Künstler von gestern verkörpert keineswegs nur unsympathisch Jérôme Boutillier. Mit diesen schließen sich alle weiteren Solistinnen und Solisten zum restlos gewinnenden Ensemble zusammen.

Semperoper Dresden
Berlioz: Benvenuto Cellini

Giampaolo Bisanti (Leitung), Barbora Horáková (Regie), Aida Leonor Guardia (Bühne), Eva Butzkies (Kostüme), Sergio Verde (Video), Stefan Bolliger (Licht), Juanjo Arqués (Chorerografie), André Kellinghaus (Chor), Anton Rositskiy, Ante Jerkunica, Jérôme Boutillier, Tilmann Rönnebeck, Aaron Pegram, Vladyslav Buialskiy, Jürgen Müller, Matthias Henneberg, Tuuli Takala, Stepanka Pucálková, Anton Beliaev, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sächsische Staatskapelle Dresden





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