Glitter, Glamour und Barbie-Traumwelten aus dem Hause Disneyland: Für Momente überlagert die schöne Welt des Scheins die alltägliche Tristesse von Baraks Frau. Prächtige Roben baumeln vor ihrer Nase, Juwelen rollen schubkarrenweise an, halbnackte Adonisse werben um sie.
Ein Hauch von Hollywood
David Bösch hat sich für Christian Thielemanns letzte Neuproduktion an der Dresdner Semperoper etwas getraut, was lange kein Regisseur mehr gewagt hat. Er gibt dem Märchenhaften in der vierten Gemeinschaftsarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthals gebührend Raum. Und knüpft damit an Thielemanns erste knallbunt-poetische „Die Frau ohne Schatten“ vor 20 Jahren an der Deutschen Oper Berlin an, in der Philippe Arlaud Regie führte. Nur dass Böschs Bilder, die aus Hollywood stammen könnten und leichte Anflüge ins Kitschige durchaus vertragen, heutiger anmuten. Mag man sich an Videoprojektionen auf der Opernbühne auch schon satt gesehen haben, hier machen sie einmal Sinn, so wie sich all die Verführungen der Färberin als Illusionen entpuppen, wenn sie sich in einzelne Pixel wieder auflösen. Als ein Künstler mit einer blühenden Fantasie versteht es Bösch jedenfalls, die Möglichkeiten des Videodesigns (Falko Herold, Patrick Bannert) klug zu nutzen, auch wenn er Kompilationen mitunter überfrachtet.
Weiß wie ein unbeschriebenes Blatt Papier präsentiert sich die schattenlose Kaiserin auf der Leinwand, in bewegten Bildern in ihren wilden Träumen ist in Jagdszenen zu erleben, wie der Kaiser sie einst als Gazelle erbeutete, Ungeborene schweben als Embryos durch die Szene. Und hier und da schimmern durch surreal anmutende Landschaften bizarre Gesichter hindurch.
Die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs schwingen mit
Die nur schwer aus der Welt zu räumende, immer wieder aufgestellte falsche Behauptung, „Die Frau ohne Schatten“ sei ein frauenfeindliches Stück, greift Bösch zum Glück nicht auf, vielmehr konzentriert er sich auf den Prozess der in der Mutterschaft sinnbildlich angelegten Menschwerdung der Kaiserin. 1919, ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs, wurde „Die Frau ohne Schatten“ in Wien uraufgeführt. Die Erschütterungen dieser Zeit, die in dem Komponisten beim Schreiben der Oper hörbar nachwirkten, prägten Thielemanns Wiener Neuproduktion von 2019, in der Vincent Huguet Regie führte. Aber auch Bösch blendet die Gewalt keineswegs aus. Ein Container mit tödlichem Gift, in dem wechselweise die Färberin und die Amme zahlreiche Babys, freilich keine echten, unter aufsteigendem Rauch versenken, steht ebenso für den Horror wie eine Gruppe mysteriöser gesichtsloser, schwarz gewandeter Witwen (Kostüme: Moana Stemberger), die Patrick Bannwarts überwiegend von grauen Betonwänden eingegrenzte Bühne mit leeren Kinderwagen bevölkern.
Christian Thielemann holt wirklich alles aus der Sächsischen Staatskapelle Dresden heraus
Die Hauptperson am Premierenabend war freilich Christian Thielemann, der dieses Werk in den vergangenen Jahren mehrfach grandios dirigierte, seit Arlaud aber wenig Glück mit seinen Regisseuren hatte. In seiner Dresdner Abschiedsproduktion harmonieren das szenische Geschehen auf der Bühne und die Musik deutlich besser miteinander. Die baldig bevorstehende Scheidung von Orchester und Dirigent hat sich nicht auf die Qualität der Einstudierung mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden ausgewirkt, sie steht der mit den Wiener Philharmonikern in nichts nach. Alles holt der Berliner aus ihr heraus. Selten wahrgenommene Fagott- oder Oboen-Soli, die oftmals im Tutti untergehen, ziseliert er aufs Feinste, jedes Instrument bis hin zur Glasharmonika, raffiniert über dem Graben in einer Loge platziert, hat seinen Auftritt.
Differenzierter lässt sich die Partitur nicht erkunden. Seismografisch stimmt Thielemann die Dynamik auf jeden einzelnen Sänger ab. Bei der Kaiserin von Camilla Nylund, deren Sopran seit ihren hochdramatischen Rollendebüts als Brünnhilde und Isolde noch größer und runder tönt als vor vier Jahren in Wien, muss er den vollblütigen Orchesterklang nicht allzu stark abdimmen. Bei dem ukrainischen Bariton Oleksandr Pushniak, der eine wunderschöne geschmeidige, aber etwas kleinere Stimme besitzt, den Barak aber mit stärkerer Präsenz singt als Wolfgang Koch, schon etwas mehr.
In den Zwischenräumen aber, in denen niemand singt, geht Thielemann in die Vollen, lässt das Orchester zu den denkbar herrlichsten Melodien prächtig aufblühen, exponiert die Dramatik – die drohende Versteinerung des Kaisers – mit einer Wucht, die durch Mark und Bein geht. Oder berührt mit kammermusikalischer Intimität, wie sie sich hier und da immer wieder in feinsten Streichergespinsten ausdrückt. Überhaupt alle Mitwirkenden, ob auf der Bühne oder im Graben, bestechen mit trefflichen Einzelleistungen.
Großartige Besetzung bis in die kleinsten Partien
Für Nikola Hillebrand, in der Mini-Rolle als Hüter der Schwelle zu erleben, gilt das ebenso wie für Christa Mayer in der noch kleineren Partie der Stimme von oben, Andreas Bauer Kanabas, mit seinem kernigen, profunden Bass ein Geisterbote par excellence oder Lee-ann Dunbar als Stimme des Falken. Im Graben spielt Sebastian Fritsch sein arioses Cello-Solo mit einem derart großen schönen Ton und selten gehörter Attacke in den Anfangstakten, dass man meinen könnte, der Cello-Kaiser Mstislaw Rostropowitsch sei von den Toten wieder auferstanden. Und wenn die Kaiserin nach ihrem verzweifelten Zusammenbruch am Ende doch noch einen Schatten wirft, stimmt Konzertmeister Matthias Wollong wie aus dem Nichts im denkbar zärtlichsten Ton sein filigranes Geigensolo an.
Die Besetzung der Hauptpartien hat Thielemann soweit möglich von Wien übernommen. Für den inzwischen tragisch verstorbenen Stephen Gould wurde mit Eric Cutler ein neuer idealer Kaiser gefunden, der all das mitbringt, was die von Richard Strauss stets etwas undankbar angelegten Tenorpartien erfordern. Für Nina Stemme – gerade zeitgleich für die Baden-Badener Osterfestspiele unter Kirill Petrenko als Elektra im Einsatz – kam Miina-Liisa Värelä als Frau des Färbers, die pikanterweise ihrerseits in dieser Partie unter Petrenko im vergangenen Jahr in Baden-Baden zur großen Entdeckung wurde. Mit einem imposanten, bis in höchste Spitzen souverän und schlank geführten Sopran gesegnet, empfiehlt sich die Finnin auch in Dresden als grandiose Darstellerin, die die Entwicklung von der anfangs barschen Kettenraucherin aus dem Arbeitermilieu zu einer empathischen, liebevollen Ehefrau glaubwürdig nachzeichnet.
Die Unitel hält die Produktion fest
Leidenschaftliche Spielwütigkeit zählt auch zu den stärksten Qualitäten, die Evelyn Herlitzius in ihr Rollenporträt als Amme einbringt. Die empathielose Hyäne, die nur an den eigenen Vorteil denkt und aus ihrem Hass auf die Menschen keinen Hehl macht, steht ihr von der ersten bis zur letzten Szene ins Gesicht geschrieben. Ein veritabler Alt, den die Partie in den tiefen Lagen erfordert, ist sie auch jetzt noch nicht, aber aus dem stimmlichen Material, das ihr noch zur Verfügung steht, holt sie das Maximale heraus.
Dass seitens der Semperoper kein Interesse daran bestanden haben soll, diese rundum grandiose Produktion auf Video zu dokumentieren, lässt sich kaum glauben. Aber es passt zum Stil des Hauses, das seine Zukunft gefährlich aufs Spiel setzt. Von der Unitel festgehalten wurde die Produktion gleichwohl durch Thielemanns persönliche Initiative.
Der Ausblick auf die kommende Spielzeit, die das Haus in Broschüren bewirbt, erschüttert jedenfalls, sowohl seitens des überwiegend dem Randrepertoire zuzuordnenden Repertoires als auch der ausgewählten Dirigenten und Regisseure. Die erste Liga ist nach Thielemanns Wechsel an die Berliner Staatsoper nicht mehr vertreten. Handelte es sich bei der Semperoper nicht um eine der ersten Adressen innerhalb der deutschen Opernlandschaft, könnte man fast schon auf die Idee kommen, dass sich von langer Hand eine Abwicklung anbahnt. Wer an der Semperoper noch einmal großartiges Musiktheater erleben will, sollte sich diese „Frau ohne Schatten“ mithin nicht entgehen lassen.
Semperoper Dresden
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Christian Thielemann (Leitung), David Bösch (Regie), Patrick Bannwart (Bühnenbild), Moana Stemberger (Kostüme), Fabio Antoci (Licht), Patrick Bannwart und Falko Herold (Videodesign), André Kellinghaus (Chor), Claudia Sebastian-Bertsch (Kinderchor), Johann Casimir Eule (Dramaturgie), Eric Cutler, Camilla Nylund, Evelyn Herlitzius, Andreas Bauer Kanabas, Nikola Hillebrand, Martin Mitterrutzner, Lea-ann Dunbar, Christa Mayer, Oleksandr Pushniak, Miina-Liisa Värelä, Rafael Fingerlos, Tilmann Rönnebeck, Tansel Akzeybez, Kinderchor der Semperoper Dresden