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Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Katja Kabanowa

Jagd nach Zuwendung und Zärtlichkeit

(Dresden, 28.4.2024) Ein Krimi, der ans Herz greift und unter die Haut geht, dazu ein beklemmender und zutiefst aufwühlender Abend: Leoš Janáčeks glühende „Katja Kabanowa“ wird dank Calixto Bieitos Schärfung eines der für ihn typischen toxischen Milieus und der grandiosen Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Alejo Pérez faszinierend verdichtet.

vonRoland H. Dippel,

Am Ende zählt in Leoš Janáčeks glühendem Alterswerk „Katja Kabanowa“ nach Alexander Ostrowskis Schauspiel „Gewitter“ (1859) nur noch der Dualismus von blanker Menschlichkeit contra sozial deformierter Unmenschlichkeit. Beim Selbstmord der Kaufmannsgattin Káťa Kabanová in der Wolga ist es egal, ob dieser im psychischen oder physischen Extremraum einen extremen Selbstbefreiungsschlag darstellt. Die bislang einzige Dresdner Aufführung der 100-Minuten-Oper, in welcher mit Worten und Tönen alles gesagt ist, war mit der deutschen Übertragung des Kafka- und Janáček-Förderers Max Brod 1949. Erst 75 Jahre später folgte jetzt die erste Inszenierung in der tschechischen Originalsprache als Kooperation mit dem Nationaltheater Prag, wo die erste Serie stattfand. Der Premierenapplaus in der nicht vollen Semperoper Dresden für das 1921 in Brünn uraufgeführte Werk war nur annähernd so stürmisch wie das Dirigat von Alejo Pérez, das sinnlich-leidenschaftliche Auftrumpfen der Sächsischen Staatskapelle und das zutiefst eindringliche Ensemblespiel.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden

Hohe Orchesteraffinität zu Janáček

Eigentlich müsste man denken, die schlank-weiche Klang-DNA des Dresdner Weltspitzenorchesters passe nicht unbedingt zu den rhythmischen Eskalationen, Bläserschärfen und Janáčeks daraus wuchernden Schönheitsekstasen der von seiner platonischen Altersliebe zur wesentlich jüngeren Kamila Stösslová inspirierten Partitur. Das Gegenteil war der Fall. Es erstand ein abgründiger, weil sinnlicher wie expressiv überreizter Psychothriller – faszinierend verdichtet, mit instrumentalen Aufschreien und voll hintergründig schmerzhafter Melancholie. Besser, packender und empathischer geht es vom Orchester nicht als in dieser Premiere.

Dabei passte die Dresdner Orchester-Eruption hervorragend zu Calixto Bieitos Regie im weiß neutralisierenden Schachtelraum von Aida Leonor Guardia. Neonstrahler und Gittereisen an der Decke, das sich zur Katastrophe auftuende schwarze Loch hinten und eine Wasserlache, in der sich Káťa mit im lila Mantel umschnürten Steinen umbringt, gemahnen einmal mehr an ein Laboratorium von menschlichen Situationsanordnungen und absehbaren Entgleisungen. Eva Butzkies‘ schlichte Kostüme brechen das Ehebruchs-, Flucht- und Familiendrama aus dem bürgerlichen 19. Jahrhundert ins Heute. Das ändert an der Story von der in ihrer Ehe unglücklichen, den kurzen Rausch mit dem Weichei Boris suchenden und am inneren Konflikt zwischen Ehe-Ethos und Jagd nach dem Glück zerbrechenden Káťa nichts.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden

Psychisch-physisches Extremkitzeln

Bieito findet nach einigen eher glatten Arbeiten wieder zu den psychisch-physischen Extremkitzeln, für die er vor zwanzig Jahren berühmt und berüchtigt wurde. Auf der Suche nach Zärtlichkeit und erotischer Erfüllung sind irgendwann an diesem Abend alle Figuren. Bieito schärft und entwickelt eines der für ihn typischen toxischen Milieus. Der matte Alkoholiker Tichon (Simeon Esper) mit weißen Haaren wirkt trotz gegenteiliger Vokalpotenz älter als seine vom in dieser Partie ungewöhnlich satten Stimmgestus bis in die Fingerspitzen brutale Mutter Kabanicha und malträtiert Káťa mit brutalen Schlägen. Christa Mayer gibt eine statuarische und vokal schon beängstigend vitale Kabanicha, bei der das Furchtheischende aus dem Inneren kommt. Der Kaufmann Dikoj (Kurt Rydl) verwildert mitsamt vorsintflutlichem Weltbild und ejakuliert in die heruntergelassene Hose. Magnus Vigilius hat als Boris Grigorjevič die undankbare Aufgabe eines Buchhaltertypen, der an einer Schlüsselstelle das Hemd fallen lässt, und demonstriert in der Prügelei mit Kudrjaš, dass der Neffen-Apfel nicht weit vom Onkel-Stamm fällt. Für Heldentenöre in spe wie Magnus Vigilius ist dieser Boris demzufolge ein eher undankbares Rollen-Betätigungsfeld.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden

Bieitos brutalistisches Planspiel

Hätte alles auch daneben gehen können. Aber Bieito hat sein Dresdner Ensemble phänomenal auf die inneren Härten der Oper, die äußere Brutalität seiner Sichtweise und damit ein packendes dramatisches Spiel einschwören können, auch weil die musikalische Einstudierung schlicht exzeptionell gelang. Fast natürlich geht allen der Fluss von Janáčeks Sprachmelodien von den Lippen und aus den Körpern. Štěpánka Pučálkovás Varvara ist eine warm pulsierende Lichtgestalt mit Aufwertung durch ein genuin samten-fülliges Mezzo-Timbre. Das dunkle Finale dieser Oper beginnt, wenn sie mit ihrem Váňa Kudrjaš nach Moskau entflieht. Martin Mitterrutzner hat die schönste Tenor-Stimme des Abends und ist der wärmende Sonnenstrahl in die abstoßende Ödnis blessierter Männerfiguren um Káťa. Die drei von Janáček der Partie zugedachten Volkslieder singt er mit lyrischer Inbrunst und deshalb Vollkommenheit.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden

Tragödischer Magnetismus

Trotzdem: Die Hauptlast des Abends trägt Amanda Majeski in der Titelpartie und zieht mit faszinierender Präsenz alle Blicke auf sich. Mit klarer Geradlinigkeit durchmisst sie die Partie, nimmt dieser dadurch wie Annette Dasch an der Komischen Oper Berlin das Hysterische, steigert den deterministischen Magnetismus zur persönlichen Tragödie. Bei der Traumerzählung fasziniert erst die kraftvolle Mittellage. Im zweiten Akt beim Entschluss zum Fehltritt in der Sommernacht gleißen Majeskis hohe Töne mit den Streicherakkorden um die Wette. Der Wahnsinnsmonolog am Ende schließlich ist kein Aufbegehren, sondern gereifter Entschluss zur Selbstauslöschung mit einem aufgefächerten Reichtum an Stimmungs- und Nuancenwechsel. Der volle Opernchor hinter der Bühne steigert die hypnotische Atmosphäre und bringt dunkle Poesie in Bieitos versachlichendes Panorama der Gewalt.

Diese gewiss eindrucksvolle Verdichtung wächst nochmals durch die Staatskapelle und deren sezierende Prachtentfaltung, welche Janáčeks psychologische Massivität nicht schmälert, sondern mit Opulenz zur noch expressiveren Entladung drängt. Ein Krimi, der ans Herz greift und unter die Haut geht, dazu ein beklemmender und zutiefst aufwühlender Abend.

Semperoper Dresden
Janáček: Káťa Kabanová / Katja Kabanowa

Alejo Pérez (Musikalische Leitung), Calixto Bieito (Regie & Licht), Aida Leonor Guardia (Bühne), Eva Butzkies (Kostüme), Benedikt Stampfli (Dramaturgie), Jonathan Becker (Chor), Kurt Rydl, Magnus Vigilius, Christa Mayer, Simeon Esper, Amanda Majeski, Martin Mitterrutzner, Štěpánka Pučálková, Ilya Silchuk, Nicole Chirka, Sabine Brohm, Zhi Yi, Lucie Ceralová, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sächsische Staatskapelle Dresden

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