Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Teufel ohne Gott

Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Mefistofele

Teufel ohne Gott

(Dresden, 28.9.2024) Eva-Maria Höckmayr inszeniert an der Semperoper Arrigo Boitos Faust-Vertonung „Mefistofele“ umjubelt auf Höhe aktueller Genderdiskurse.

vonRoland H. Dippel,

So selten ist Arrigo Boitos ambitionierte Vertonung von Goethes „Faust“ in deutschen Opernhäusern nicht mehr. Im Vorfeld des Faust-Themenjahrs 1825 der Klassik Stiftung Weimar macht sich das gleichermaßen intellektuelle wie melodienselige Opus, welches wie Robert Schumanns „Faust-Szenen“ Episoden des im Musiktheater lange gemiedenen „Faust II“ aufgreift, auch an der Sächsischen Staatsoper nicht schlecht. Nora Schmid eröffnete ihre Intendanz, die sie zu Beginn dieser Spielzeit nach einer früheren Zeit als Dramaturgin an der Semperoper antrat, also nicht mit den Hausgöttern Wagner und Strauss, sondern einem verkappten Hauptwerk der italienischen Oper. Freilich hatte sich Boito an Wagners Idee vom Gesamtkunstwerk orientiert. Noch wichtiger aber ist der Einfluss der im Vergleich zur an der Mailänder Scala gefloppten Urfassung nur halb so langen Endfassung von „Mefistofele“ (Bologna 1875) auf den späten Verdi. Was dieser in den Bearbeitungen von „Don Carlo“ und „Simon Boccanegra“ an Instrumentalfarben entwickelte, war bei seinem „Otello“- und „Falstaff“-Librettisten 1875 bereits ausgeprägt.

Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden

Frauenkommentar mit Goethe-Versen

Dramaturgisch bewegt sich die „Mefistofele“-Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr auf Höhe aktueller Genderdiskurse. Eine dazu erfundene Frau kommentiert Faust, den Teufel und die Frauen mit einem aus „Faust“-Stationen zusammengeklaubten Potpourri von Goethe-Versen – aus der Zueignung, dem Prolog auf dem Theater, der Gretchen-Tragödie und der Szene mit dem Tod ihres Bruders bis zum Auftritt der vier grauen Frauen. Martina Gedeck war im taubenfarbenen Hosenanzug quasi das orakelnde Korrektiv und Menetekel zu Mefistofeles Teufelswerk, allerdings ohne Gottes Beitrag. Faust wurde hier zum Zwillingsgeschöpf Mefistofeles, versteht sich wie dieser als Schöpfer.

Höckmayr zeigt eine immer wieder in animalischen Sexus gleitende Zivilisation, an der Frauen als das gebärfähige Geschlecht besonders leiden und trotzdem durchaus initiativ mitmischen. Neben den nicht sonderlich raffiniert gebauten Chortableaus kam es vor allem in den Szenen der ihr Kind tötenden und im Kerker sterbenden Margherita und danach zu eindrucksvollen Gesangsmomenten.

Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden

Klangschöne Fortissimo-Dröhnung in „Mefistofele“

Der Applaus zischte am Ende ab wie eine Rakete und übertraf sogar die Lautstärke-Explosionen, welche Andrea Battistoni bei seiner bereits dritten Einstudierung der von ihm sehr geliebten Oper entfesselte. Selten hört man von der Sächsischen Staatskapelle so ausdauernde Fortissimo-Langzeitschübe wie hier. Das Wunder dabei: Sogar beim stärksten Output klingt alles noch immer sonor und weithin transparent. Aber viele Wirkungen Boitos verschenkte Battistoni. Die Vorspiele haben kaum etwas vom Piano-Zauber, manch schöne Instrumentalwirkung wird weitaus unter Möglichkeit in den Raum gesetzt.

Die Chöre (über den Wolken auch möglichst viele Kinderstimmen) sind himmlische Heerscharen, Volk, Mefistofeles Gefolge in der ersten Walpurgisnacht und das Gefolge der Helena von Troja. Unter der Leitung von Jan Hoffmann entwickeln die Massen Kraft, Wucht und Leuchten, was durch die Regie und Julia Röslers Kostüm-Mix aus Goethezeit, Gründerzeit und Gegenwart etwas abflacht.

Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden

Sympathiefigur Margherita

Margherita, Goethes „Gretchen“, tritt bei Boito nur in einer Gartenszene, in deren Schlussensemble der junge Komponist provokativ eindeutige Beischlaf-Rhythmik einspeiste, und einer von zutiefst schmerzlichem Lyrizismus getragenen Sterbeszene, ein. Diese Figur wollte Höckmayr unbedingt aufwerten und dadurch ihre Bedeutung für Faust verdeutlichen. Aber Gretchen-Margherita ist nicht die einzige Frau, welche an diesem Abend wie hochschwanger auftritt. Andere halten Mefistofele fast mit Stolz ihre Bäuche unter roten Röcken entgegen, als erwarteten sie alle Teufelsgeburten. Nur Margherita entbindet unter derart grellen Schmerzen, das sie in Mefistofeles Strophen vom Unwesen der Welt hineinschreit. Die klassische Walpurgisnacht und Fausts Begegnung mit Helena werden zur Flucht des denkenden Außenseiters Faust in eine Fantasie mit guten Umgangsformen und gepflegter Konversation.

Faust und Mefistofele tragen beide beige Mäntel und Anzug, bis in der Apotheose Fausts Geist mit Engelsflügeln nach oben schweben will wie der Knabe Euphorion in Goethes Helena-Akt. Vor Momme Hinrichs Rundbau mit Galerien rotiert die Drehbühne permanent und macht trotzdem wenig Sinn.

Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Mefistofele“ an der Semperoper Dresden

Prachtleistungen von Pavol Breslik und Marjukka Tepponen

Die Besetzung war planvoll durchdacht. Krzysztof Bączyk ist dem Umfang und gesanglichen Herausforderungen des stets verneinenden Geistes vollauf gewachsen. Sein Vorzug: Er deklamiert kantabel und ohne Druck. Bei ihm ist der Teufel kein Berserker, sondern der Geistesfunken zu perfekten Tönen reihende Manager, der tanzen kann und sich über die Fehler der Zivilisation herzhaft bis zynisch freut. Sogar Mefistofeles expressive Rufe werden bei Bączyk zu perfektem Gesang.

Neben ihm debütiert Pavol Breslik in einer der schönsten Tenor-Partien des italienischen Repertoires. Ab der Gartenszene gelingt dem slowakischen Paradetenor eine perfekte Leistung. Breslik verblendet alle Spitzentöne mit Boitos manchmal sogar Bellini-nahen Kantilenen. Mit der schlichtweg wunderbaren Margherita von Marjukka Tepponen liefert er einen bewegenden Abschied von der Liebe.

Die Elena für die junge Clara Nadeshdin eine der ersten größeren Herausforderung im italienischen Fach. In der nicht sonderlich umfangreichen Partie stecken trotzdem einige Bravourmomente und dramatische Flutungen im ekstatischen Duett mit Faust. Von Tepponen unterscheidet setzt sich Nadeshdin mit einem farbigen, gesunden Vibrato und sehr differenzierter Tongebung. Tepponen bewegt dagegen mit einer ausdrucksvoll geradlinigen und dabei zutiefst emotionalen Gestaltung der Margherita. Nicole Chirkas Marta ragte aus den solide besetzten Nebenpartien heraus. Die Irritationen der Gegenwart und wenig Vertrauen in den Dualismus früherer Epochen sind dieser Start-Inszenierung zur Intendanz von Nora Schmid eingeschrieben.

Semperoper Dresden
Boito: Mefistofele

Andrea Battistoni (Leitung), Eva-Maria Höckmayr (Regie), Momme Hinrichs (Bühne & Video), Julia Rösler (Kostüme), Olaf Freese (Licht), Jan Hoffmann (Chor), Claudia Sebastian-Bertsch (Kinderchor), Dorothee Harpain & Alexander Meier-Dörzenbach (Dramaturgie), Krzysztof Bączyk (Mefistofele), Martina Gedeck (Eine Frau), Pavol Breslik/José Simerilla Romero, (Faust), Marjukka Tepponen (Margherita), Clara Nadeshdin (Elena), Nicole Chirka (Marta), Omar Mancini (Wagner), Dominika Škrabalová (Pantalis), Jongwoo Hong (Nereo), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Kinderchor der Semperoper Dresden, Komparserie, Sächsische Staatskapelle Dresden

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!