Leicht haben es französische Opern hierzulande nach wie vor nicht. Und wenn, dann schaffen es eher Rameau (unter der Rubrik Barockboom) oder in letzter Zeit die Flaggschiffe der Grand opéra auf die deutschen Bühnen. Luigi Cherubini (1760-1842) hat es da selbst mit seiner erfolgreichsten Oper „Médée“ aus dem Jahre 1797 schwer. Da muss sich schon ein ambitioniertes Haus wie im vorigen Jahr die Oper Stuttgart oder jetzt die Staatsoper Unter den Linden in Berlin ins Zeug legen und weder musikalisch noch szenisch mit der großen Münze geizen. Also Daniel Barenboim, Andrea Breth und eine Médée wie Sonya Yoncheva aufbieten.
Medea: Ein Thriller
Dabei hat es der aus der griechischen Mythologie überlieferte Stoff in sich und mit Christa Wolf (Ihr Roman „Medea Stimmen“ erschien 1996) eine Fürsprecherin beim heutigen Publikum, die sich der meist monströs aufgefassten Titelfigur mit verblüffender Sensibilität näherte. Der Kindermord und was ihm vorausging bleibt gleichwohl vor allem ein Thriller – der Bruch dieser Frau mit jeder Werteordnung ziemlich einzigartig.
Hier wird gerechnet, nicht gefühlt
Regisseurin Andrea Breth hat sich schon oft als Fachfrau für psychologische Tiefenlotungen erwiesen. Auch diesmal versucht sie den Blick dafür zu schärfen, was hier aus dem Lot geraten ist und unweigerlich zu einer Katastrophe führen muss. Allerdings bleibt bei ihrem aktuellen Versuch, dem Exemplarischen des antiken Tragödienstoffes im Heute nachzuspüren, einiges in den Transportkisten oder hinter den Rolltoren verborgen, mit denen Martin Zehetgruber eine bühnenfüllende Lagerhalle ausgestattet hat. Das ist Tristesse pur. Eingemauerte und verpackte Rationalität. Hier wird gerechnet, nicht gefühlt. So wie diese handwerklich gut gemachte Optik ihre lähmende Wirkung – auch gegen das Auflodern oder das beredte Sichentfalten der Musik – verbreitet, so muss für die auf den ersten Blick als Fremde erkennbare Medea (und ihre dunkelhäutigen Kinder) diese Welt aussehen, in die sie Jason gefolgt sind.
Sie hat die Familie verraten, das Heiligtum ihres Volkes, das Goldene Vlies, gestohlen und zur Beute Jasons gemacht, den eigenen Bruder ermordet, um zu fliehen. Die Frau macht einem schon Angst. Das einzige, was für sie spricht, ist die Liebe zu ihren Kindern. Aber selbst damit ist es nicht wirklich soweit her, dass sie – von salomonischer Weisheit gemäßigt – im Scheidungskrieg auf sie verzichten würde. Sie bringt beide um. Und die Braut Jasons gleich noch mit.
In dieser Männerwirtschaft sind die Frauen eine Hilfsgröße
Natürlich ist auch Jason kein Sympathikus – wie er sein Leben in einer anderen Kultur als jener, aus der Medea kommt, einfach ohne sie neu einordnet und dabei für sich und die Kinder eine Regelung aushandelt, in der Medea nicht vorkommt – das ist schon starker Tobak. Nicht unter allen, aber unter den gegebenen Umständen ziemlich charakterlos und opportunistisch. In dem Kontext eines Unternehmens, in dem der Clanchef das Sagen hat, wird Jason als Figur ebenso von heute aus nachvollziehbar wie Créon. Das ist eine Männerwirtschaft, bei der die Frauen eine Hilfsgröße sind.
Die für Jason vorgesehene neue Frau Dircé ist hier auch nur Mittel zum Zweck; muss sich fügen, ob sie will oder nicht. Dass ihr bereits das Festgewand, in das sie bei Breth ihre beiden Begleiterinnen geradezu mit Gewalt zwingen, die Luft zum Atmen nimmt, deutet schon auf das böse Ende hin, das sie erwartet. Erst wie eine Ware verpackt steht sie als Braut auf einer Kiste, um dann zu verbrennen. Auch sie ein Opfer des Blutrausches, in den sich Medea hineinsteigert, um die aufkommenden Skrupel am Mord an den eigenen Kindern zum Schweigen zu bringen.
Kein Ausweg aus der optischen Ödnis
Ansonsten ist das Schweigen Medeas Sache nicht. Die Ausführlichkeit ihrer leidenschaftlich gesungenen und pathetisch vorgetragenen (französischen) Rede ist aber auch ein Problem der Aufführung. Denn selbst in der Raserei findet sich kein Ausgang aus der optischen Ödnis der Lagerhalle. Eine gewisse Opulenz deuten nur das erbeutete Widderfell, das Kleid der Dircé und das flackernde Feuer an, das von den Fackeln und am Ende aus allen Kisten lodert.
Sopran-Stern Sonya Yoncheva triumphiert in der Titelpartie
Die Bulgarin Sonya Yoncheva wirft sich in die Rolle, lässt ihre Stimme mit Leidenschaft lodern, hat die große Tragödie bei jeder Geste vor Augen. Charles Castronovo ist der stimmlich markante Jason, der partout nicht mehr an ihrer Seite bleiben will. Iain Paterson ein finster entschlossener Chef, den Medea dennoch bis zu einem gewissen Punkt zu bezirzen versteht. Marina Prudenskaya ist als Medeas Gefährtin Néris fast unsichtbar, aber begeistert, wenn sie denn mal eine Arie beisteuern darf. Elsa Dreisig ist die demonstrativ gering geschätzte Dircé.
Im Graben nehmen sich Daniel Barenboim und die Staatskapelle der „Freischütz“-Nähe der Musik (etwa in der Ouvertüre) ebenso liebevoll und mit Verve an, wie der französischen Beredsamkeit, die dann Triumphe feiert. Sie wird nur gelegentlich von den gekürzten, aber immer noch ziemlich ausführlich von den Sängern gesprochenen Passagen unterbrochen. Am Ende viel Beifall für alle Beteiligten, aber auch Buhs für die Regie.
Staatsoper Unter den Linden Berlin
Cherubini: Medea
Daniel Barenboim (Leitung), Andrea Breth (Regie), Martin Zehetgruber (Bühne), Carla Teti (Kostüme), Olaf Freese (Licht), Sonya Yoncheva, Charles Castronovo, Iain Paterson, Elsa Dreisig, Marina Prudenskaya, Sarah Aristidou, Corinna Scheurle, Malik Bah, Toyi Kramer, Staatskapelle Berlin
Sehen Sie den Trailer zu Medea an der Staatsoper Berlin: