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Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Carmen

Sevilla kunterbunt

(Hamburg, 17.9.2022) Trotz knallbunter Farbenpracht bleibt die Hamburger „Carmen“ von Regisseur Herbert Fritsch weitestgehend blass. Dirigent Yoel Gamzou verrennt sich in gewollten Kontrasten.

vonAndré Sperber,

Mit einer „Carmen“-Neuinszenierung zum Saisonbeginn kann man eigentlich nicht viel falsch machen – sollte man jedenfalls meinen. Sorgt doch das beliebte Werk als Teil der sogenannten ABC-Opern (nach „Aida“ und „Bohème“) mit seiner Dramatik und Unzahl an Gassenhauern stets für volle Ränge. Auch in Hamburg hat dies gut funktioniert, das Haus füllte sich zur Premiere bis unters Dach. Doch die szenische Arbeit des Augsburger Regisseurs Herbert Fritsch wie auch deren musikalische Übersetzung durch den israelisch-amerikanischen Dirigenten Yoel Gamzou schufen Zwiespalt unter den Zuschauenden und brachten den Saal zum Brodeln, mit einer wilden Mixtur aus Buhs und begeisterten Beifallsbekundungen.

Knallbunte Augenöffner

Dass es bei Herbert Fritsch gerne mal farbenfroh zugeht, ist keine Neuigkeit, und so ist nach seinem letztjährigen Wiener Blockfarben-„Barbier“ und der Baseler Neon-„Nase“ nun auch seine Hamburger Colour-„Carmen“ vor allem eines: knallbunt! Kostümbildner José Luna bedient sich bei Kleidern, Uniformen, Trachten, Kluften – und Strapsen – an der gesamten Breite der Farbpalette, steckt das vermeintliche Traumpaar Carmen und Escamillo am Ende in exzentrische Outfits, bei denen selbst Harald Glööckler und Lady Gaga Augen gemacht hätten (was gar nicht mal so zynisch gemeint ist, wie es zunächst klingen mag). Wilde Perücken sowie auffällig aufgemalte Bärte und Augenbrauen verstärken die verspielt-karnevaleske Wirkung des Spektakels.

Szenenbild aus „Carmen“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Carmen“ an der Staatsoper Hamburg

Schwer durchdringbarer Kosmos

Überhaupt ist der Kosmos, in den Fritsch die sevillanische Geschichte des Bizet’schen Kassenschlagers taucht, ebenso eigen wie schwer durchdringbar. Slapstick-Einlagen à la Dick und Doof sorgen mit beabsichtigter Klischeehaftigkeit für leichtlebige, doch eher gähnende Komik. Geradezu kontrastierend zur üppigen Vielfalt der Kostüme ist zudem die recht simpel gehaltene, ebenfalls von Fritsch entworfene Bühnengestaltung: Ein schlichter in goldene Wände gehüllter Raum wechselt mit einfachen Hintergrund-Prospekten, die an eine Puppentheater-Ästhetik erinnern. Stets aufdringlich ergänzt durch gigantische katholizistische Symbole. Warum das Geschehen zeitweise von einer meterhohen Marienstatue und einem riesigen Kreuz überragt wird, bleibt ein Rätsel. Wer diesbezüglich nach Antworten sucht, findet im Programmheft folgende Aussage des Regisseurs: „Mit den religiösen Symbolen, die mein Bühnenbild zu Carmen bestimmen, ist keine Aussage verknüpft, keine Moral.“ Man fragt sich, ob gar keine Erklärung in diesem Fall befriedigender gewesen wäre als diese.

Szenenbild aus „Carmen“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Carmen“ an der Staatsoper Hamburg

Flirrende Erotik und pures Amüsement

Dass jedenfalls die unbändige Carmen zunächst im rotwallenden Flamencokleid (bzw. Carmen-Kleid) so ziemlich das Gegenbild einer Heiligen Maria ist, beweist Maria Kataeva wiederum mit eindrucksvoller Leidenschaft, ohne sich dabei selbst allzu ernst zu nehmen. Ihr gekonnt überzeichnetes Tänzeln, Scharwenzeln und Posieren versprüht flirrende Erotik, ist zugleich jedoch pures Amüsement (im positiven Sinne). Auch stimmlich gibt sich die russische Mezzosopranistin äußerst facettenreich und verleiht ihrer Carmen schon ab der Habanera eine angemessen arrogant-laszive Note, hinter der sich Tenor Tomislav Mužek als ihr verzweifelter Liebhaber Don José – wie alle Soldaten ist er in eine rotgoldene nussknackerartige Uniform gehüllt – mitunter ein wenig abhängen lässt. Am Ende lässt er seine Angebetete dafür ins pantomimische Messer laufen, denn auf Requisiten wird in dieser Inszenierung gänzlich verzichtet.

Der schwellende Bass-Bariton von Kostas Smoriginas, als selbstverliebter Star-Torero Escamillo in gletscherblauem Aufzug und futuristischer Frisur, musste erst auftauen, kam jedoch bis zum Ende nur mäßig in Schwung. Deutlich stärker dagegen gab sich Elbenita Kajtazi, wobei ihr schneidiger Sopran überraschend viel selbstsichere Kraft in die Rolle der tugendhaften Micaëla einbrachte.

Szenenbild aus „Carmen“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Carmen“ an der Staatsoper Hamburg

So richtig flutschen will es nicht

Die Idee, dass sich das auditive Geschehen im Orchestergraben im Farbreichtum des visuellen Geschehens auf der Bühne widerspiegeln soll, ist konsequent gedacht, gelang Dirigent Yoel Gamzou allerdings nur bedingt. Extrem harte Kontraste in Tempo und Dynamik zeichneten sich schon in der Ouvertüre ab, bei der wie auf Knopfdruck zwischen völlig überhasteter tänzerischer Eile und majestätisch getragenem Hymnus hin und her geschaltet wurde. Was in rein instrumentalen Phasen noch einigermaßen funktionierte, missglückte immer wieder im Zusammenspiel mit den Solisten sowie auch mit dem ansonsten sehr kraftvollen Chor. Überhaupt, so richtig flutschen will es nicht, was nicht zuletzt auch an einer sehr statischen Personenführung liegt, die an vielen Stellen, seien es intime Duette oder große Massenszenen, jeglicher zwischenmenschlicher Interaktion entbehrt. Da will selbst bei Bizets grandios geladener Musik der emotionale Funke nicht richtig überspringen. Bis auf einige wenige Farbtupfer entpuppt sich Fritschs zunächst so quietschbunt scheinende „Carmen“ somit letztlich doch als farbloser als zunächst gedacht.

Staatsoper Hamburg
Bizet: Carmen

Yoel Gamzou (Leitung), Herbert Fritsch (Regie & Bühne), José Luna (Kostüme), Carsten Sander (Licht), Christian Günther (Chor), Luiz de Godoy (Kinder- und Jugendchor), Maria Kataeva, Tomislav Mužek, Kostas Smoriginas, Elbenita Kajtazi, Blake Denson, Jürgen Sacher, Nicholas Mogg, Hubert Kowalczyk, Katrina Galka, Ida Aldrian, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Alsterspatzen – Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

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