Zweckdienlicher kann ein Bühnenbild für das die Welt so deutlich in ein hierarchisches Oben und Unten sortierende Opernmärchen der Herren Hofmannsthal und Strauss nicht sein: Oben residieren Kaiserin und Kaiser im topaktuell kühlen, waschmittelweiß steril ausgeleuchteten Designer-Schick. Unten hausen Färberin und Färber in den prekären Verhältnissen einer so gar nicht aufgeräumten düsteren Einzimmerwohnung, die zugleich Herrn Baraks Werkstatt ist. Eine Wendeltreppe verbindet helle Geister- und dunkle Menschenwelt, so gehen die Szenenwechsel nebst Auf- und Abstiegen so flink vonstatten, wie es das in seinen Symbolen so verstiegen verrätselte Werk will. Da hat Bühnenbildner Harald B. Thor ganze Arbeit geleistet.
Kriegenburgs Perspektivwechsel stellt die Färbersfrau in den Mittelpunkt
Regisseur Andreas Kriegenburg nutzt das Setting für einen an sich interessanten Perspektivwechsel. Denn nicht die titelgebende schattenlose, will sagen: zum Kinderkriegen untaugliche Kaiserin, die in ihrer abgehobenen Göttlichkeit ohnehin schwer fassbar scheint, steht hier im Mittelpunkt, sondern die ihrerseits namenlose Färbersfrau, die in materieller und sexueller Entsagung leben muss und sich nun heraus- und emporträumt aus dem irdischen Jammertal ihrer Existenz.
Die starke Präsenz und darstellerische Kraft von Sopranistin Lise Lindstrom kommt dem Konzept und seiner Umsetzung entgegen. Diese Färberin verhandelt ihren Fruchtbarkeit verheißenden Schatten nur allzu gern an die Kaiserin. So attraktiv die gertenschlanke Lise Lindstrom auch ist, ein demütiges Dasein als Mutter will sie sicher nicht fristen, sie will hier raus, sich emanzipieren, endlich leben.
Der psychologische Realismus, der Schauspielregisseur Andreas Kriegenburg so vertraut ist, bringt somit einiges Licht ins Märchendunkel, er will klären und erklären, worum es in diesem hochkomplex wunderbaren Opern-Unding denn so geht. Zumal die Szenen einer Ehe des Gutmenschen-Färbers, den Andrzej Dobber mit an-rührendem Bariton-Balsam ausstattet, und seiner Frau entfalten auf diesem Wege dichte realistische Glaubwürdigkeit.
Zum freudigen Finale gibt’s hierarchiefreie Gartenlaubenromantik
Doch da ist eben noch die Sphäre der Geister, denen die Kaiserin angehört, und dem mit purem Realismus kaum beizukommen ist. Kriegenburg will das Märchenhafte des Stücks retten, erzählt die Geschichte deshalb dezidiert als Flucht der Färberin in eine Traumwelt, in der sie nun auf das in wehende weiße Gewänder gehüllte Wesen der Kaiserin trifft. Allerhand Doppelgängerinnen der beiden zentralen Frauenfiguren bevölkern in diesem Zwischenreich die Bühne, oft sind sie an Krankenbetten gefesselt, auch der Kaiser, der im Falle der Unfruchtbarkeit seiner Gattin zu Stein werden muss, wird als veritabler Schmerzensmann im Rollstuhl zu seinem Auftritt transportiert.
Roberto Saccà singt die heikle Partie allzu tenorzahm. Zusehends verheddert sich die Inszenierung nun aber in den zahllosen Ebenen und Erzählsträngen des Werks. Zumal das Schicksal der in choreographischer Unverbindlichkeit und mit erschreckend abgestandener Operngestik geführten Kaiserin geht uns leider so gar nichts mehr an. Zum Ende will Kriegenburg die Ebenen dann freilich auf Teufel komm raus zusammenzwingen und lässt das freudige Finale in einen arg kitschigen, kollektiven Kindersegen münden, zu dem sich das hohe und das niedere Paar in Gartenlaubenromantik ganz hierarchiefrei vereinen. So sieht C-Dur aus.
Kent Nagano sorgt für eine grandiose Sinfonie voller obligater Sängerstimmen
Dem Konsum-Kurzschluss des realistischen Verstehen-Wollens entzieht sich das wunderliche Meisterwerk an diesem Abend allzu deutlich. Wer sich freilich dem musikalischen Sog anvertraut, der wird an der Dammtorstraße reich beschenkt – mit einer grandiosen Sinfonie voller obligater Sängerstimmen. Kent Nagano macht nämlich mit aller ihm eigenen vornehmen Bescheidenheit deutlich, dass dieses verrückte Werk eine Dirigentenoper par excellence ist. Das Philharmonische Staatsorchester scheint dem amerikanischen Maestro zu Füßen zu liegen. Das Strauss-Bild des Generalmusikdirektors verbindet Schlankheit und Süffigkeit auf ideal austarierte Weise. Da gibt es betörende Details der maximal motivierten Holzbläsergruppe zu hören, von den zart leuchtenden hohen Streichern schöne Stellen ohne Ende, die nie vereinzelt in Schönheit ersterben, sondern sich in blühender Emphase in den großen Spannungsfluss einfügen, der durch sensibles An- und Abschwellen der Dynamik stets beweglich bleibt. Nagano folgt einer Verfeinerungstaktik, die Strauss unendliche Farbnuancen ablauscht, den bayrischen Meister indes niemals verkünstelt, sondern auch dem wilden Aufbrausen und der rhythmischen wie harmonischen Schärfe all der krassen „Elektra“-Momente die gemäße Aufmerksamkeit schenkt.
Wie aufwühlend modern diese grandiose Partitur in den hundert Jahren ihrer Existenz geblieben ist, dürfen wir in jedem Takt erleben, müssen dabei auf die kleinen und großen Momente musikalischen Glücks aber nicht verzichten, denn nie wird hier mit lautem oder gar brachialem Überdruck musiziert, wo doch jede Phrase mit absolutem Bewusstsein ihrer Bedeutung ausgeformt, ausgehört, empfunden ist.
Da bleibt bei der Sängerbesetzung viel Luft nach oben
Sängerisch indes bleibt in Hamburg Luft nach oben: Linda Watson fehlt bei ihrem Rollendebüt nicht nur die mezzodüstere Dämonie der Amme, kaum ein Wort des bedeutungsschwangeren Textes ist zu verstehen. Emily Magee singt nach 2007 an der Dammtorstraße erneut die Kaiserin, ihr silberglänzender Sopran ist mit den Jahren nachgedunkelt, hat an Grazie und Koloratur-Beweglichkeit verloren, dafür an Vibrato gewonnen. Eine aufregende Besetzungsalternative bietet Lise Lindstrom bei ihrem Rollendebüt als Färberin: Eine so gar nicht matronige, sondern mädchenhafte junge Frau erlebt man in der stimmmörderischen Partie sonst nie. So dramatisch packend und enorm intensiv ihre Töne aber auch sind, so sehr muss man sich ob des Flackerns ihres Soprans auch Sorgen um eine sich andeutende Überbelastung machen.
Staatsoper Hamburg
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Ausführende: Kent Nagano (Leitung), Andreas Kriegenburg (Regie), Harald B. Thor (Bühne), Andrea Schraad (Kostüme), Roberto Saccà, Emily Magee, Linda Watson, Bogdan Baciu, Gabriele Rossmanith, Alex Kim, Andrzej Dobber, Lise Lindstrom, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Termine: 16. (Premiere), 23. & 29.4., 4. & 7.5.
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Sehen Sie den Trailer zu „Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Hamburg: