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Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Il trovatore

Das Grauen tanzt im Dreiertakt

(Hamburg, 17.3.2024) Um die Wirkung dieser zündenden Musik vollends zu entfachen, ist Giampaolo Bisanti genau der richtige Mann am Pult des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Nur die Regie von Ingo Karaman schafft dazu kaum mehr als Abziehbilder der Kolportage. Allein die traumatisierte Azucena wird zur berührenden Figur.

vonPeter Krause,

Tot sind sie am Ende fast alle. Außer einer: Azucena, die Hexe, im Textbuch „La zingara“ oder vom Chor auch mal leicht verniedlichend „La zingarella“ genannt, sie darf weiterleben, schaut dann aus dem mittlerweile zur Ruine verkommenen Palazzo des Hausherrn Luna depressiv zum Fenster heraus. Leonora hat zuvor ganz librettokonform Gift genommen, um den toxischen Testosteronschüben des Grafen Luna mit einem letzten Akt der Selbstbestimmung zu entgehen. Ihren liebsten Manrico knallt dieser Luna in den finalen Takten per Pistole ab (da ist die Regie von Immo Karaman schon freier). Und als Azucena ihm dann noch enthüllt, dass er da gerade nicht nur seinen Nebenbuhler um die Liebesgunst Leonoras getötet, sondern seinen eigenen Bruder, da nimmt sich der Bad Guy von Verdis maximal düsterer wie extrem populärer Schaueroper mit der nächsten Kugel das eigene Leben (davon ist im Werk selbst nichts zu finden, der Bösewicht ist eigentlich dazu verdammt, mit seiner Schuld weiterzuleben).

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

Genialischer Klang gewordener Kolportageroman – und das Trauma einer Mutter

Ach, was Giuseppe Verdi da mit „Il Trovatore“ im Rahmen seiner Trilogia populare neben den nicht minder melodienzündenden Opern „Rigoletto“ und „La Traviata“ zu Papier gebracht hat, ist schon ein genialischer Klang gewordener Kolportageroman, jene Form des Groschenromans, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts am Kiosk zu erstehen war und heute durch die Fortsetzungsgeschichten der Daily Soaps ersetzt zu sein scheint. Wunderbar befreit von echter Glaubwürdigkeit ist auch diese Geschichte – und doch so opernpackend und so leidenschaftslodernd, wie italienische Oper in ihren besten Momenten sein kann.

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

In der Neuinszenierung an der Hamburgischen Staatsoper ist es nun einzig und allein ihre Geschichte: Es geht um das Trauma der Azucena, die an der Dammtorstraße zur heimlichen Hauptfigur mutiert. Die alternde Mutter trägt alptraumhaft schwer daran, dass sie einst den Tod ihrer auf dem Scheiterhaufen getöteten Mutter dadurch rächen wollte, dass sie einen der Söhne des alten Grafen von Aragón seinerseits den Flammen überantwortete. Versehentlich verbrannte sie in einem Anflug von Wahn freilich ihren eigenen Sohn, was tunlichst niemand erfahren sollte, auch der Heranwachsende nicht. Manrico nimmt Azucena bis zu seinem Tode als seine Mutter war. Die eigentlichen Brüder Luna und Manrico werden als erbitterte Feinde zu Männern, denn sie sind Gefolgsleute zweier sich bekriegender Anwärter auf den Thron. Und sie beide lieben Leonora.

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

Elena Maximova ist als Azucena eine sängerdarstellerische Wucht.

Wie sich politische Pflicht und private Passion aufregend durchkreuzen, sollte später ein Leitmotiv in Verdis Werk werden. Hier wirkt es noch allzu holzschnittartig (un-)motiviert, um indes immer wieder und immerhin für packende Situationen und herzergreifende Arien und Duette zu sorgen. Um die Wirkung dieser zündenden Musik vollends zu entfachen, ist Giampaolo Bisanti genau der richtige Mann am Pult des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Der Landsmann Verdis setzt nicht nur auf feuriges Brio, sondern auch auf gut phrasierte lange Linien und auf fein differenzierte dunkle Farben des hoch engagierten Orchesters und des potenten Chores der Staatsoper, der in der Einstudierung von Christian Günther so glänzt wie lange nicht mehr.

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

Weniger Glück hat das Haus mit der Besetzung der Hauptpartien, für die man, so ein Verdi-Bonmot, ja „nur“ die vier besten Sänger der Welt brauche. Elena Maximova ist als Azucena eine sängerdarstellerische Wucht, sie verkörpert die schwer traumatisierte Frau in einer von toxischer Männlichkeit dominierten Welt mit raumgreifender Intensität, die unter die Haut geht. Ihre in Alt-, Mezzo- und Sopranlage zerfallende Stimme mag man zumal im Timbre alles andere als schön nennen. Doch das spezielle Organ der Russin ist höchst charakteristisch, und Maximova singt so wahrhaftig und letztlich zu Herzen gehend wie sonst niemand an diesem Abend.

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

„Il Trovatore“ und seine Wurzeln im Belcanto: Besetzungsirrtümer?

Leonora, die offizielle Primadonna des „Trovatore“, singt Guanqun Yu zwar tadellos, sicher und sopranagil, allerdings mit der mädchenlyrischen Zartheit einer Gilda. Die Expansionskraft lang aufblühender Linien hat sie nicht, sie bewegt sich etwas ausdrucksneutral innerhalb eines engen Limits. Aleksei Isaev nennt als Luna warme Baritonwucht sein eigen, seine imposante Stimme ist aufregend dunkel – nur warum macht er aus seinem starken Material nicht mehr? Gwyn Hughes Jones heller und schlanker Tenor erinnert deutlich an den Duca di Mantova, den er zu Beginn seiner Karriere häufig sang. Sein Wechsel ins heldische Fach – er singt sonst bereits Otello und Andrea Chenier – wirkte zur „Trovatore“-Premiere nicht vollends überzeugend. Womöglich war es die Absicht des Casting der Hamburgischen Staatsoper, den traditionell mit schweren Stimmen besetzten „Trovatore“ mehr an seine Wurzeln im Belcanto heranzuführen. So ganz ging diese Rechnung zur Premiere allerdings nicht auf.

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

Omas und Opas Oper

Auch die Inszenierung hinterlässt mehr Frage- als Ausrufungszeichen. Die Einheitsbühne von Alex Eales – ein heruntergekommener Palazzo – verortet das Geschehen ebenso in der Entstehungszeit der Oper wie die Kostüme von Herbert Barz-Murauer – somit in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das sieht zu Beginn verdächtig nach Omas und Opas Oper aus. Da bewegt sich die in die Jahre gekommene Aristokratie artig zu Verdis Dreiertakt. Schöne Oper. Immer mehr jedoch greift die Verrohung dieser Gesellschaft im Angesicht des Krieges um sich. Die Vergewaltigung des weiblichen Hauspersonals durch den Grafen gehört hier zur Tagesordnung. Fabian Posca führt uns hier in der Choreographie gerade auch des Chores präzise das Grauen ganz normal gewordener brutaler Enthemmtheit vor Augen. Ansonsten verstärkt Immo Karaman in seiner Regie die im Stück angelegten Unwahrscheinlichkeiten durch surreal anmutende brennende Kinderwägen und Stühle oder durchs Fenster einsteigende kriegerische Horden.

Szenenbild aus „Il trovatore“
Szenenbild aus „Il trovatore“

Wenige Aktivposten

Mit deutlich mehr Detailarbeit hätten berührende Bilder eines über Jahrzehnte schwelenden Bruderzwists, einer Gesellschaft im Krieg, einer traumatisierten Weiblichkeit entstehen können. Doch die Regie schafft hier nur Abziehbilder der Kolportage. Außer der in dieser Hinsicht außergewöhnlichen Azucena ist keine der Hauptfiguren genauer entwickelt: Da werden halt die Arien abgesungen, aber Charaktere, die uns etwas angehen, entstehen nicht. Immerhin: Chor und Orchester sowie der famos bassgeschmeidige Alexander Roslavets als Ferrando bleiben als Aktivposten im Hörgedächtnis.

Hamburgische Staatsoper
Verdi: Il trovatore

Giampaolo Bisanti (Leitung), Immo Karaman (Regie), Fabian Posca (Choreographie), Alex Eales (Bühne), Herbert Barz-Murauer (Kostüme), James Farncombe (Licht), Philipp Contag-Lada (Video), Ralf Waldschmidt (Dramaturgie), Christian Günther (Chor), Aleksei Isaev, Gwyn Hughes Jones, Guanqun Yu, Elena Maximova, Alexander Roslavets, Olivia Boen, Aaron Godfrey-Mayes, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Chor der Hamburgischen Staatsoper

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