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Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Maria Stuarda

Nocturne in Schwarz, Weiß und Rot

(Hamburg, 17.3.2025) Unter der Ägide von Theater-Großmeisterin Karin Beier führt die Staatsoper Donizettis Oper „Maria Stuarda“ erfolgreich an die bildreiche Wirkung genialen Schauspiels heran.

vonPatrick Erb,

Endlich gibt es in Hamburg wieder Musiktheater, das diesen Namen verdient: eine bühnenreife Schlossarchitektur, symbolträchtige Requisiten, die zum Entdecken einladen, ohne zu überfordern, und ein Farb- und Bühnenbild, das keiner Erklärung bedarf, um seine ästhetische Eleganz zu entfalten. Karin Beier, Intendantin des Deutschen Schauspielhauses, gelingt es in ihrer Inszenierung von „Maria Stuarda“ an der Staatsoper Hamburg meisterhaft, das Trauer- und Liebesspiel Schillers und Donizettis aus seinen pseudopolitischen Tendenzen herauszulösen. Stattdessen entwirft sie eine inszenierte Sinneskrise zweier Königinnen, die weniger am (Liebes-)Konflikt als vielmehr an den weltfremden Ansprüchen ihrer Zeit scheitern.

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Szenenbild aus „Maria Stuarda“
Szenenbild aus „Maria Stuarda“

Die sechs Doubles der Tudor und der Stuart

Kern des Konzepts ist die geistige und körperliche Dekonstruktion der beiden Herrscherinnen. Jede von ihnen wird von fünf Schauspiel-Doubles begleitet, die sowohl willfährige Erfüllungsgehilfen als auch Manifestationen von Leid und Sehnsucht der Hauptfiguren sind. Zurück bleibt ein chirurgisch herausgelöstes Charakterbild zweier abstrakter Figuren, deren Beweggründe höchst komplex sind, in der Geschichtsschreibung unterschiedlich bewertet wurden und deren Seelenwelt sich erst im Gesang vollständig offenbart.

Vor allem Elisabetta, die Donizetti als maßlose Tyrannin zeichnet, gewinnt durch diese Dekonstruktion an Ambivalenz – ein psychologisches Profil, das ihr die Partitur eigentlich verweigert. Barno Ismatullaeva verleiht ihr mit kraftvoller Farbigkeit in der Stimme und gekonnt unappetitlicher Noblesse im Schauspiel eine kongeniale Präsenz. Spätestens wenn sie ihr zerfetztes Perlenlätzchen anlegt, ist klar, wer hier mit machthungriger Restherzlichkeit singt und wer seinem baldigen Ende entgegensieht.

Szenenbild aus „Maria Stuarda“
Szenenbild aus „Maria Stuarda“

Beier umgeht die amourösen Tendenzen des Belcanto geschickt. Durch das gezielte Farbkonzept der Kostüme (Eva Dessecker) – Rot und Weiß für Elisabetta, Schwarz für alle anderen – entwertet sie die Bedeutung der Favoriten und Beraterinnen der Königinnen, Roberto und Talbot, und letztlich auch Maria Stuarda selbst. Diese wird von Ermonela Jaho mit sängerischer und darstellerischer Perfektion verkörpert: Ihre Arien phrasiert sie vollendet aus, wobei sowohl intrigante Zwischentöne als auch jene der selbstinszenierten Märtyrerin zur Geltung kommen. Die Rolle des zur Makulatur degradierten Roberto bleibt farblich und dramaturgisch blass, doch Long Long gelingt es dennoch, ihm tragische Qualitäten eines Heldentenors zu verleihen.

Szenenbild aus „Maria Stuarda“
Szenenbild aus „Maria Stuarda“

Eine Architektur der sozialen Kälte

Das monumentale Bühnenbild von Amber Vandenhoeck bleibt gegenständlich und ist durchdrungen von der sozialen Kälte, mit der Elisabetta Maria begegnet. Grobe, dunkelgraue Granitblöcke formen eine Kulisse, die zugleich als entseeltes Schloss und martialisches Verlies fungiert. Im dritten Akt kommt es buchstäblich zum Showdown: Die Granitarchitektur weicht dem Vollstreckungshof als Boxring, die finale Auseinandersetzung scheint unausweichlich, und die blutrote Farbgebung des Mantels lässt nun keinen Zweifel am kommenden Unheil. Severin Renks Videoelemente ergänzen als impressionistische Projektionen die zunehmend düstere Atmosphäre. Bilder der in weißer Spitze gekleideten Elisabetta werden immer blutiger, bis hin zum eindrucksvollen Bild der Kopfrasur Marias vor ihrem Gang zum Schafott.

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Es ist ein visuelles Gesamtkunstwerk, das in seiner Farbigkeit an die Malerei von James McNeill Whistler erinnert: eine Nocturne in Schwarz, Weiß und Rot.

Szenenbild aus „Maria Stuarda“
Szenenbild aus „Maria Stuarda“

Bedachtsam leise Töne

Antonino Fogliani hinterlässt mit seinem Dirigat nachhaltige Eindrücke. Der Italiener wagt sich bemerkenswert an leise und leiseste Töne heran und setzt die Musik als zarten, nebulösen Schatten inmitten der gewaltigen Bühnenmaschinerie ein. Das Resultat ist eine beispiellose sinfonische Kälte, wie man sie sonst nur in der Rachearie der Lucia di Lammermoor erträumen kann. Besonders in Marias sehnsuchtsvoller Auftrittsarie, in der sie von Natur und Freiheit schwärmt, sowie in ihrer selbstzerstörerischen Abschiedsarie auf dem Schafott wird diese dynamische Ambiguität meisterhaft ausgespielt. Foglianis Wagnis geht vollends auf: Die subtile Klangdramaturgie führt zu einem umso bedrohlicheren Forte, das sich in den dramatischsten Momenten wie ein unaufhaltsamer Strahl entfaltet.

Angesichts der hohen Qualität dieser Produktion bleibt zu hoffen, dass diese „Maria Stuarda“, wie andere Häuser es bereits vormachten, zur Tudor-Trilogie ausgearbeitet wird.

Staatsoper Hamburg
Donizetti: Maria Stuarda

Antonino Fogliani (Leitung), Karin Beier (Regie), Amber Vandenhoeck (Bühne), Eva Dessecker (Kostüme), Severin Renke (Video), Annette ter Meulen & Bernd Gallasch (Licht), Rita Thiele (Dramaturgie), Eberhard Friedrich (Chor), Barno Ismatullaeva, Ermonela Jaho, Aebh Kelly, Long Long, Alexander Roslavets, Gezim Myshketa, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg






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