Dieses Stück hätte eine Art Wiedergeburt der Opera Buffa für das zwanzigste Jahrhundert begründen können, wenn sich denn im Nachgang auch andere Komponisten dieser Zeit mit dieser Gattung befasst hätten. Das war aber nicht der Fall. Und so blieb Hans Werner Henzes 1965 in Berlin uraufgeführter „Der junge Lord“ fast ein Unikat der musikalischen und musiktheatralischen Nachkriegsmoderne. Und zwar ein Unikat, das in vielfacher Weise verkannt wurde. Seinerzeit waren nämlich avantgardistischere Töne angesagt. Und für ein Musiktheater als subtile, aber konkrete Gesellschaftskritik waren die Augen und Ohren weder bei den komponierenden Kollegen noch beim Publikum offen.
Ein weiteres Dokument des Verkennens dieses Stückes ist nun an der Staatsoper Hannover zu erleben. Dort gab man sich zwar sehr viel Mühe mit dem Stück, investierte viel kreatives Potential, besetzte es weitgehend hervorragend – und trotzdem ging die Aufführung am Kern des Werks vorbei. Man traf dafür aber durchaus den Geschmack des Premierenpublikums, das mit einer für modernere Töne ungewohnten Begeisterung reagierte.
Bitterböse Satire auf Selbstgefälligkeit, Biederkeit und Engstirnigkeit
Henzes „Der junge Lord“ auf ein Libretto der jungen Ingeborg Bachmann ist eine bitterböse Satire auf Selbstgefälligkeit, Biederkeit, Engstirnigkeit und allerlei mehr. In diesem Stück wird nicht musikalisches Amüsiertheater als Selbstzweck geboten, sondern fein ironisch verpackte Gesellschaftskritik geübt, die zeitlos wirkt und bis in die Gegenwart zielt. Und das Ganze in einer Tonsprache, die hörbar in den Klangspuren Mozarts und Rossinis wandelt, diese aber ins 20. Jahrhundert transferiert, dabei virtuos und im leichten Tonfall mit tonalen Bezügen arbeitet, ohne im engeren Sinne tonal zu sein.
Die musikalischen Zwischentöne kommen zu kurz
Mark Rohde als Dirigent nahm das Stück aber musikalisch gar zu ernst, ließ dramatisch musizieren und vernachlässigte dabei die vielen feinen Zwischentöne der Partitur. Er legte sein Musizieren mit dem Orchester und den diversen Chören wie Solisten vor allem auf den großen Effekt an. Und dabei wurde das Orchester dann oft zu laut. Und natürlich hatte er alle Hände voll zu tun damit, die riesigen, zumeist sehr schwierigen Ensembles des Stückes gut zu koordinieren, was erfreulicherweise weitgehend überzeugend gelang. Alles in allem aber blieb diese auf ihre Weise durchaus gekonnte Wiedergabe der Vorlage viel schuldig.
Mit diesem großartigen Ensemble – einschließlich des 93-jährigen Sängerdarstellers Franz Mazura – hätte Regisseur Bernd Mottl nicht nur auf Klamauk setzen dürfen
Vollends am Stück vorbei geht die Inszenierung Bernd Mottls, der vom ersten Moment an vor allem auf Klamauk setzt. Wenn man jedoch eigentlich eine Satire auf die Bühne bringen müsste, weil das im Stück nun einmal so angelegt ist, dann müsste man zunächst einmal dem Publikum klar machen, was hier satirisch behandelt werden soll. Das geschieht jedoch nicht. Und so wird das alberne Herumgehampel auf der Bühne zum Selbstzweck. Das ist handwerklich zwar teilweise gut gemacht, mit Detailfreude gearbeitet und manch reizvoller Idee garniert, aber in der Sache eben vollkommen daneben. Das ist nicht nur schade, weil es dem Stück nicht gut tut, sondern auch, weil der Regisseur ein Ensemble vor sich hat, das viel mehr könnte.
Die Staatsoper Hannover verfügt nämlich als eines der wenigen Häuser noch über ein recht großes hauseigenes Ensemble, das für derlei personalaufwändige Stücke nötig ist. Und dieses Ensemble zeigt auch eine entsprechend große Spielfreude, so dass man von dieser zumindest etwas entschädigt wird für das platte Spielkonzept des Regisseurs. Mottl hätte außerdem mit dem großartigen 93-jährigen Sängerdarsteller Franz Mazura für die stumme Hauptrolle des alten Lords eine Bühnenpersönlichkeit zur Verfügung, die mit ihrer Präsenz und ihrem stummen Spielvermögen sichtbar das ganze Geschehen lenken könnte, wenn man es denn so inszenieren würde. So muss Mazura weitgehend aus dem Hintergrund heraus wirken, was letztlich dessen Qualitäten verschenkt.
Das Bühnenbild böte Raum für Doppelbödigkeiten aller Arten
Auch das Bühnenbild hätte die Möglichkeiten eröffnet, Ironie und Satire auf die Bühne zu bringen. Friedrich Eggert hat nämlich die Bühne in unterschiedlichen Tiefen mit Spitzenborten wie von einem Biedermeierdeckchen umrahmt und so einen sehr stimmungsvollen Raum gebaut, der wie geschaffen scheint für eine Doppelbödigkeit, die dann aber nicht gezeigt wird. Schade, dass diese Produktion das Potential des Stückes so wenig auslotet. Trotzdem: Als Bereicherung des Opernrepertoires eine erlebenswerte Sache.
Staatsoper Hannover
Henze: Der junge Lord
Ausführende: Mark Rohde (Leitung), Bernd Mottl (Regie), Friedrich Eggert (Bühne), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Franz Mazura, Stefan Adam, Sung-Keun Park, Bonita Hyman, Martin Busen, Frank Schneiders, Marco Vassalli, Edward Mout, Julie-Marie Sundal, Josy Santos, Carmen Fuggis, Rebecca Davis, Julia Sitkovetsky, Simon Bode, Niedersächsisches Staatsorchester Hannover