Dass die Staatsoper Unter den Linden eine „Norma“ mit dem Theater an der Wien koproduziert und dann in Berlin neu einstudiert, gut und schön. Ihr Regisseur Vasily Barkhatov ist hierzulande im Aufwind. Er kann tatsächlich einige interessante Arbeiten vorweisen. Dass man Asmik Grigorian als Norma nicht mit übernehmen konnte, ist natürlich ein Manko. Aber diese Alleskönnerin kann halt auch nicht überall alles machen. Ihr Glanz hat wahrscheinlich in Wien Publikum und einen Teil der Kritik dermaßen in den Bann gezogen, dass sie dem szenischen Drumherum wohlwollender gegenüberstanden, als es nüchtern betrachtet gerechtfertigt wäre. Vielleicht brachte ja auch der Vergleich zur fast zeitgleich an der Wiener Staatsoper herausgekommenen Inszenierung noch ein paar zusätzliche Pluspunkte. Barkhatov kann überkommene Geschichten gekonnt überschreiben. Eigentlich. Im Falle von Vincenzo Bellinis Dauerbrenner um den Callas-Superhit „Casta Diva“ ist ihm das allerdings (nicht mal spektakulär) misslungen. Da klemmt nicht nur die Grundidee, sondern auch ihre Umsetzung im Detail strandet in erstaunlicher Belanglosigkeit und Konvention bei der Personenführung.

Der (opern-)klassische Ein-Mann-liebt-heimlich-zwei-Frauen-Konflikt
Im Opern-Großen-und-Ganzen ist Bellini außerhalb Italiens eh unter die Verdi-Räder gekommen. Immerhin bietet sein melodramatischer Zweiakter einen klassischen Ein-Mann-liebt-heimlich-zwei-Frauen-Konflikt, der mit einer Katastrophe endet. Und das auch noch vor dem Hintergrund einer römischen Fremdherrschaft (angeführt vom Prokonsul Pollione) über Gallien, die die Besetzten mit ihrer Chefpriesterin Norma an der Spitze lieber heute als morgen und lieber tot als lebendig los werden will. Dass die heimliche Liebe zwischen dem Römer und der Priesterin, die sogar schon zu streng verheimlichtem Nachwuchs geführt hat, gegen die herrschenden Regeln verstößt, reicht aber für den explosiven Operncocktail noch nicht – es kommt der Treuebruch Polliones hinzu. Der fängt mit Novizin Adalgisa etwas an. Als die das Norma beichtet, geht es in voller Fahrt in die Katastrophe eines öffentlichen Skandals bei den Galliern und auf den Scheiterhaufen für Norma.
Barkhatov, Zinovy Margolin (Bühne) und Olga Shaishmelashvili (Kostüme) verlegen die Geschichte in eine Keramikfabrik, in einen Raum mit offenen Brennöfen und einer Galerie. Hergestellt werden christliche Madonnen oder Engel, bis eine Horde von Bewaffneten die Fabrikhalle stürmt. In dem Tumult, der auch Übergriffe auf die Arbeiterinnen andeutet, reicht einer der Eroberer einer Frau ein Tuch. Es ist die erste Begegnung von Pollione und Norma. Wenn die eigentliche Handlung (zehn Jahre später) einsetzt, sind die Eroberer zu diktatorischen Besatzern geworden, die in der Fabrik Büsten ihres Herrschers produzieren lassen. Obwohl (oder weil?) für dessen Gesichtszüge künstliche Intelligenz reale Bösewichter verarbeitet hat, sieht der eher harmlos unbedeutend aus.

Eine Priesterin ist diese Norma nur im Nebenjob
Im Wechsel mit der opulenten Fabrikhalle gibt es einen nüchternen Gang – vielleicht in einem Arbeiterwohnheim. Hinter einer der Türen befindet sich ein spärlich eingerichtetes Zimmer, in dem Normas und Polliones Kinder jahrelang verborgen gelebt haben sollen. Neben ihrer heimlichen Mutterrolle ist Norma hauptberuflich hier eine Art Vorarbeiterin oder Managerin. Ihr Priesterjob ist zu einer Art Pausenbespielung für die Arbeiter geworden, die bei der Zeremonie ein paar Resttrümmer ihrer früheren christlichen Produkte wie Reliquien küssen. Dass ausgerechnet Norma in diesem Umfeld Macht über Leben und Tod haben soll, bleibt aus der Binnenlogik der von der Regie erzählten Geschichte ebenso wenig plausibel wie das unbemerkte Aufwachsen von zwei Kindern mitten im Alltag dieser Fabrik. Ebenso seltsam sind die offen aufmüpfigen Reden der Arbeiter, wenn auch der kommandierende Werkschef Pollione und seine schwarz uniformierten Hilfstruppen unter den meist ziemlich behäbig und auf Rumstehen festgelegten Chor- bzw. Arbeitermassen postiert sind. Bei der großen Auseinandersetzung zwischen Norma und Pollione stehen sie lauschend hinter der Tür, als Norma dann aber ihr Doppelleben öffentlich macht, sind sie alle bass erstaunt.
Wenn sich Norma am Ende in einen der Brennöfen für die Keramik zu stürzen versucht, greift Barkhatov mit dieser Metapher obendrein nicht nur rein ästhetisch daneben. (Ein so assoziatives Bild wäre bei Weinbergs „Passagierin“ angemessen, aber hier?) Immerhin verhindert Pollione am Ende (abweichend von der Vorlage), dass sich Norma tatsächlich verbrennt. Er zieht sie wieder zurück und an sich heran.

Staatskapelle Berlin erweist sich einmal mehr als ein wandlungsfähiges Orchester
Wie schon in Wien stand auch in Berlin Francesco Lanzillotta am Pult und profitierte von seinem „Probelauf“ in Wien, vor allem aber davon, dass die Staatskapelle Berlin ein wandlungsfähiges Orchester ist, das auch Bellini zu einem Genuss zu machen versteht. Rachel Willis-Sørensen stellte sich etwas vibratoreich, aber mit freier Höhe und versiertem Zurücknehmen überzeugend der Norma-Herausforderung. Elmina Hasan vermochte als Adalgisa mit ihrem ruhig strömenden Mezzo vom ersten Ton an in den Bann zu ziehen. Während Dmitry Korchak seine fokussierte Stimme demonstrativ von der Leine ließ, um mit schmetternden Tönen zu imponieren. Mit ihren kleineren Auftritten komplettierten Riccardo Fassi (Oroveso), Junho Hwang (Flavio) und Maria Kokareva (Clotilde) das Protagonisten-Ensemble. Den Staatsopernchor hatte Dani Juris für dieses Belcantofest einstudiert. Obwohl der Abend musikalisch auch in Berlin ein Fest (also zu den Festtagen passend) war, konnte das die szenische Enttäuschung nicht ganz ausgleichen.
Staatsoper Unter den Linden Berlin
Bellini: Norma
Francesco Lanzillotta (Leitung), Vasily Barkhatov (Regie), Zinovy Margolin (Bühne), Olga Shaishmelashvili (Kostüme), Alexander Sivaev (Licht), Ran Arthur Braun (Kampfchoreographie), Dani Juris (Chor), Kai Weßler & Christoph Lang (Dramaturgie), Rachel Willis-Sørensen, Dmitry Korchak, Elmina Hasan, Riccardo Fassi, Maria Kokareva, Junho Hwang, Staatsopernchor, Staatskapelle Berlin