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Operetten-Kritik: Staatsoperette Dresden – Die Bajadere

Exotik auf Varieté-Maß gestutzt

(Dresden, 2.2.2025) Die Staatsoperette Dresden versucht sich an Emmerich Kálmáns fast vergessener Operette „Die Bajadere“. Einhelliger Jubel für ein etwas seichtes Vergnügen, bei dem das Protagonistenensemble bella figura macht.

vonRoberto Becker,

Emmerich Kálmán (1882-1953) trägt neben Franz Lehár den Lorbeer der sogenannten Silbernen Operettenära. Der jüdisch, ungarisch-österreichische Komponist Kálmán überlebte den Rassenwahn der Nazis im US-Exil. Seiner „Csárdásfürstin“ (1915) und der „Gräfin Mariza“ (1924) konnte seine Vertreibung zwar nichts anhaben. Doch die gewaltsame Unterbrechung der Rezeptionsgeschichte und das amerikanische Exil haben ausgerechnet einige über die kakanische Pusta-Nostalgie hinausgehenden Kompositionen in ein „Wahrnehmungsexil“ getrieben, das immer noch nachwirkt. Das gilt für seine „Herzogin von Chicago“ (1928), aber auch für „Die Bajadere“ (1921). Der Erfurter Wiederbelebungsversuch der „Bajadere“ liegt schon 22 Jahre zurück. In Dresden gibt es das Werk an der Staatsoperette jetzt überhaupt das erste Mal.

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Der Reiz der Bemühung liegt in der temperamentvoll melodienreichen Musik Kálmáns. Er kommt damit zwar nicht wirklich – wie er selbst meinte – in die Nähe des Genres Oper. Aber für sich genommen ist vor allem die Musik reizvoll, weil sie sich weder einem atmosphärischen Seitenblick auf die übrige Welt, noch der damals gängigen Vorliebe für Schlager verschließt und selbst einige Nummern in diesem Format beisteuert. Für diese fremdartigen und doch anverwandelten Klänge legen sich Michael Ellis Ingram und das Orchester der Staatsoperette mit spürbarem Vergnügen ins Zeug.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden
Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden

Das exotische Indien-Klischee der Europäer

Im Mittelpunkt des nicht wirklich in die Tiefe gehenden (Verführungs-) Spieles stehen der Pariser Operettenstar Odette Darimonde und der indische Prinz Radjami. Da im Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwaldso gut wie kein Klischee ausgelassen wird, bedient dieser Prinz das exotische Indien-Klischee der Europäer. Freilich ist er in seinem jahrelangen Europa-Aufenthalt lägst Teil der schillernden Pariser Amüsiergesellschaft geworden. Aber der Künstlerin, die die indische Tempeltänzerin verkörpert, kann er genauso wenig widerstehen wie sie seinem Verführer-Image und seinen feurigen Blicken. Auf Dauer jedenfalls. Auf dem Weg zum Happyend verpasst die Französin dem Macho-Prinzen eine Lektion in Sachen Emanzipation. Und weil auch noch ein zweites Paar mit einer Ménage-à-trois-Beziehungskiste zu kämpfen hat, bringt es ein solcher Abend dann schon mal mit Pause auf knappe drei Stunden.

Immerhin nimmt der Dreiakter mit selbstironischem Witz auch sich selbst auf die Schippe. Hier kommt die Operette „Die Bajadere“ als „Theater im Theater“ selbst vor. Natürlich gibt es ein hohes Paar, wirkungsvoll platziertes Buffopersonal, Chorauftritte von Format und obendrein enthüllende Einblicke ins Metier. Zudem bieten die von Thomas Runge einstudierten Chorauftritte (als kommentierende Zuschauer) einen sympathischen musikalischen running gag des Abends.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden
Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden

Wirklich goldene 1920er Jahre

Juana Inés Cano Restrepo (Regie), Anna Schöttl (Bühne), Lena Weikhard (Kostüme) und Mandy Coleman (Choreographie) setzen voll auf die mitreißende Wirkung der Musik, machen das Spiel mit dem Spiel, also das Theater auf dem Theater, mit dem Dauereinsatz hintereinander gestaffelter, wehender roter Vorhänge deutlich. Ein riesiger vergoldeter Kopf ist auf der Rückseite die Garderobe der Diva. Zusammen mit einer fahrbaren großen Hand und zwei Beinen, die zu Riesen-Marionetten gehören könnten und mit der gängigen Vorstellung von indischen Tempelgottheiten spielen, sind sie über die Bühne verteilt. Dazwischen Tisch und Stühle wie in einem altmodischen Varieté-Theater. Das ist der Raum, in dem sich in der behaupteten Pariser Gegenwart der Zwanzigerjahre die exotischen Indien-Träumen entfalten.

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Geht es nach den Kostümen, dann waren diese Zwanziger des vorigen Jahrhunderts, zumindest in der Welt des Theaters, wirklich golden. Diese funkelnde Kostümpracht ist zwar ein wohltuender Kontrast zur heute gängigen Secondhand-Mode auf den Bühnen. Schade nur, dass sich die Macherinnen ausgerechnet beim Outfit des Prinzen zu früh ausgebremst haben. Statt wirklich indisch daherkommen, steckt er hier in einem ziemlich unvorteilhaften Samt-Einteiler. Ganz so, als hätte man sich vor einer Prise Bollywood-Glamour geniert.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden
Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden

Melange aus Klischee, Kitsch und Klamauk

In diesem eher abstrakten Ambiente mit ein paar Versatzstücken aus der Theaterwelt lässt sich die Geschichte mühelos abspulen. Doch die lebt vor allem von ihrem musikalischen Charme und der Souveränität der Protagonisten, damit umzugehen. Das Libretto ist über weite Strecken eine allzu deutlich in die Jahre gekommene Melange aus Klischee, Kitsch und Klamauk. Wenn Odette zunächst zum Schein dem Werben des Prinzen nachgibt, ihn aber dann in aller Öffentlichkeit stehen lässt, kann man das zwar für eine Lektion in Sachen Emanzipation halten. Zusammen mit dem zeitgeistwohlfeil grundsätzlich gemischtgeschlechtlich besetzen Ballett, rettet das die vorhersehbare und reichlich seichte Story nicht wirklich. Sie bleibt die Verpackung für die Musik und ein Protagonistenensemble, bei dem die zweite Besetzung in der B-Premiere bella figura macht.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden
Szenenbild aus „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden

Das gilt für vor allem für Steffi Lehmannals charmante, auch höhensichere und agile Odette Darimonde wie für den etwas gebremst spielenden aber standfest singenden Bryan Rothfuss als Prinz Radjami. Für den Buffo-Dreier legen sich Andreas Sauerzapfals balzender Napoleon St. Cloche, Julie Sekinger als Objekt seiner Werbung Marietta und Hinrich Horn als ihr Ehemann Louis Philippe mit Erfolg ins Komödiantenzeug. Wie Spielmacher agieren Gerd Wiemer als Chef der Claqueure und Dietrich Seydlitz als Theaterdirektor. Der Vorzug beim Ensemble des Dresdner Spezialtheaters ist, dass sie alle auch ihre gesprochenen Texte souverän bewältigen. Wenn letztere dennoch eine Schwachstelle des einhellig bejubelten Abends bleiben, liegt das an der Vorlage und nicht an ihnen.

Staatsoperette Dresden
Kálmán: Die Bajadere

Michael Ellis Ingram (Leitung), Juana Inés Cano Restrepo (Regie), Anna Schöttl (Bühne), Lena Weikhard (Kostüme), Mandy Coleman (Choreographie), Judith Wiemers (Dramaturgie), Thomas Runge (Chor), Bryan Rothfuss, Steffi Lehmann, Julie Sekinger, Andreas Sauerzapf, Hinrich Horn, Gerd Wiemer, Dietrich Seydlitz, Michael Kuhn, Elmar Andree, Dominica Herrero Gimeno, Brooke Squire, Arthur Troitsky, Christian Vitiello, Chor und Orchester der Staatsoperette Dresden






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