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Operetten-Kritik: Staatsoperette Dresden – Die Banditen

So spielt man Theater leer

(Dresden, 28.2.2020) An der Dresdner Staatsoperette wird Offenbachs Paris-Parodie „Die Banditen“ von Valentin Schwarz zerlegt. Der Regisseur inszeniert im Sommer den neuen Bayreuther „Ring“.

vonChristian Schmidt,

Die Erwartungen sind hoch, die halbe nationale Presse ist versammelt. Das kommt in der Staatsoperette Dresden eher selten vor, doch die Neugier betrifft gar nicht das neue Theater im Kulturkraftwerk, sondern Regie-Shootingstar Valentin Schwarz. Der 30-Jährige gilt seit dem Sieg beim Internationalen Grazer Regiewettbewerb und seinen ersten Arbeiten als besonders innovativ und soll im Sommer den kompletten Bayreuther „Ring“ inszenieren. Die neue Staatsoperettenintendantin Kathrin Kondaurow, ebenfalls ein jäh emporgeschnelltes junges Talent, kennt Schwarz noch von seinen Weimarer Inszenierungen, als Kondaurow dort Dramaturgin war.

Kaum eine andere 150 Jahre alte Geschichte ist so aktuell wie diese

Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden
Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden

Nun also Dresden: Auf dem Zettel stehen Offenbachs „Die Banditen“, eine wunderbare Parodie des Paris von 1869, in dem Napoleon III. diverse skrupellose Bankiers fröhlich korrumpieren ließ, die Millionen veruntreuten und ebenso viele Menschen an den Bettelstab brachten. Henri Meilhac und Ludovic Halévy, immerhin Bizets „Carmen“-Autoren, machten mit vielen Anspielungen aus ihrer Pariser Gegenwart ein zeitloses Stück über den portugiesischen Räuberhauptmann Falsacappa. Der versucht zwar, aus den finanziellen Winkelzügen und strategischen Heiratsplänen der Mächtigen Kapital zu schlagen, muss aber am Ende feststellen, dass nicht er und seine Bande, sondern die Bankiers und Minister die eigentlichen Banditen sind, weil sie das zum Raub vorgesehene Geld schon vorher versoffen und verhurt haben. Der schlichte Gesetzesverstoß wirkt lächerlich gegen das alltägliche Verbrechen, Schein und Sein wirken entgrenzt, was auch in den zahlreichen kunstvollen Verkleidungen und Qui-pro-quo-Spielchen seine Entsprechung findet. Einige Andeutungen kann man heute wohl gar nicht mehr entschlüsseln, weil sie direkt auf die Entstehungszeit Bezug nehmen, aber insgesamt ist wohl kaum eine andere 150 Jahre alte Geschichte so aktuell wie diese.

Das Orchester der Staatsoperette hat Pfiff und nimmt die großartige Musik unter Chefdirigent Andreas Schüller sehr ernst

Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden
Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden

Offenbachs Musik zu dieser wunderbar geistreichen „Opéra-bouffe“, die den eher oberflächlichen Namen „Operette“ nicht verdient, ist gewohnt spritzig, geboren aus beglückender Frechheit, voller Anspielungen, glänzender Finales, berührender Szenen und grotesker Wendungen. In Chefdirigent Andreas Schüller findet sie einen willigen Verteidiger, das Orchester der Staatsoperette hat Pfiff und nimmt die großartige Musik sehr ernst. Damit hört das Lobenswerte dieser Produktion aber auch schon auf, denn damit sind die Musiker leider allein. Regisseur Valentin Schwarz ist die Musik nämlich ziemlich egal: Seine Protagonisten müssen sie unter Hauben und Masken singen, auch mal nach hinten, gegen laut eingestreute Gespräche oder ablenkende Nebenhandlungen. Gibt es all das nicht, vielleicht weil die Musik unfreundlicherweise doch zu viel Konzentration fordert (denn Offenbach ist stark und schwer zugleich), verfolgen ziemlich unsinnige Tanzbewegungen mühsam den feschen Rhythmus.

Wenn der Regisseur nur seine eigene Geschichte erzählen will: Das Offenbach-Original erkennt man kaum wieder

Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden
Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden

Das liegt wohl daran, dass Schwarz vor allem seine eigene Geschichte erzählen will, das Original erkennt man kaum wieder. Seine Inszenierung vertritt die Meinung, dass dieses Stück eigentlich nicht inszeniert werden kann, ohne in Anführungszeichen gesetzt und gebrochen zu werden. Deswegen verfrachtet er sie in ein Theater auf dem Theater, der Räubertrupp ist eine Laienspielergruppe und kann damit zeitgenössische Kostüme tragen (Otto Krause). Nach kurzer Zeit wird sie wiederum unterbrochen, um der Polizei, die an dieser Stelle zufällig auch im Originalstück vorkommt, in vielen zähen Minuten Gelegenheit zu geben, die Hauptbühne zu schließen, wohl eine Anspielung auf den Untergang derselben vor zwei Jahren unter einem nicht enden wollenden Strahl von Löschwasser bei einem Test der Sprinkleranlage.

Ziel- und endlose (nicht originale) Dialoge zerspleißen die Handlung

Fortan wird auf dem Steg vor dem hochgefahrenen Orchestergraben gespielt – in einer Enge, die beständige Stürze ins Parkett befürchten lässt. Von der ohnehin nur mühsam durchschaubaren Handlung bleibt kaum Verständliches übrig, ziel- und endlose (nicht originale) Dialoge zerspleißen sie zusätzlich, stören gar den Fortgang der Musik, die mehrfach auf ewigen Fermaten festgehalten wird, was sich ein mutiger Chefdirigent verbeten hätte. Sogar das Finale, dann wieder auf zugänglicher Hauptbühne im Edelbordell, ist kein Finale mehr, denn nach Offenbach folgt noch a cappella ein Bachchoral, wohl um blasphemisch dem ganzen Treiben die Krone aufzusetzen, denn diesen Aspekt hatte Schwarz bisher noch ausgelassen.

Die Regie findet nicht einmal eine eigene Haltung zu den selbst aufgeworfenen Fragen

Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden
Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden

Die theoretische Intention hinter seinem Experiment löst der Regisseur erst kurz vor Schluss auf, als er den korrupten Finanzminister in Gestalt des in Sachsen sehr beliebten, hier aber äußerst schwachen Mundart-Schauspielers Tom Pauls und den verzweifelten Räuberhauptmann selbst (sehr blass und stimmlich unterspannt: Hauke Möller) ein Streitgespräch über den Sinn des Theaters führen lässt. Ersterer wird vorgeführt als trotteliger, profitgieriger Exeget des Unterhaltungsbedürfnisses, der edle Räuberhauptmann hingegen verficht den moralischen Anspruch des Theaters im Sinne Brechts. Selbstverständlich findet auch diese Auseinandersetzung völlig losgelöst vom Stück statt. Im Programmheft verweist Schwarz auf die Frage der Autonomie der Kunst, die durch den inszenierten Übergriff eines Zuschauers angedeutet wird, der von „verschwendeten Steuergeldern“ schwadroniert und sich später als Mitspieler herausstellt. Das alles darf weiß Gott nicht als furchtbar neu gelten, aber das eigentlich Schlimme daran ist: Die Regie findet nicht einmal eine eigene Haltung zu den selbst aufgeworfenen Fragen. Dazu stört das permanente Heraustreten aus den Rollen den Fluss der Musik mit einem riesigen Aufwand, um halbwegs logische Abläufe zu konstruieren, nur um am Ende festzustellen, dass das erzählerische Ergebnis weniger als dürftig bleibt.

Die Wut des Publikums entlädt sich in einem Buhgewitter über dem Regieteam

Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden
Szene aus „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden

Man kann nur über die Geduld der entsprechend gequält agierenden Protagonisten staunen, die diesen verquasten Blödsinn mit sich machen lassen. Eine Wahl werden sie bei diesem überrumpelnden Konzept kaum gehabt haben. Wirklich lustvoll und professionell wirken daher nur die Orchestermusiker und der Chor. Bei den Solisten sticht indes, man muss es konsterniert feststellen, kaum jemand heraus, der dem bisherigen Ruf der Staatsoperette entspräche. Einzig Annika Gerhards als Räubertochter und Laila Salome Fischer als ihr Liebhaber bringen sängerisch etwas Glanz in die müde Hütte; Nikolaus Nitzsche gehört zu den respektablen Räuberleutnants. Über den Rest sollte man lieber schweigen. Zu sehr hat diese Offenbachiade Schaden genommen. Die Wut darüber, die sich in einem Buhgewitter über dem Regieteam entlädt, bleibt. Valentin Schwarz lächelt darüber: Der selbsternannte Bürgerschreck hat es den konservativen Dresdnern so richtig gezeigt. So spielt man Theater leer – aber ohne Erkenntnisgewinn.

Staatsoperette Dresden
Offenbach: Die Banditen

Andreas Schüller (Leitung), Valentin Schwarz (Regie), Andreas Cozzi (Bühne), Otto Krause (Kostüme), Radek Stopka (Choreografie), Alexander Günther / Hauke Möller, Annika Gerhards / Catalina Bertucci, Antje Ligeti, Laila Salome Fischer / Anna Werle, Ella Rombouts, Karolina Piontek, Annegret Reißmann, Andreas Sauberzapf, Marcus Günzel, Tom Pauls, Timo Schabel, Nikolais Nitzsche, Jesko Zagatowski, Laila Salome Fischer u.v.a., Chor, Ballett und Orchester der Staatsoperette Dresden

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