Die Jacqueline-Darstellerin der letzten „La Cage“-Produktion des Gärtnerplatztheaters – Marianne Larsen – war am Premierenabend im Publikum. Von 2007 bis 2012 spielte sie an der Seite von Christoph Marti und Hardy Rudolz in der Inszenierung von Helmut Baumann, der allerersten deutschen Zaza 1985 im Berliner Theater des Westens. Auch am Beginn des Münchner Faschingswochenendes tobte der Applaus, diesmal für die erste „La Cage“-Inszenierung von Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger. Dieser beließ es mit seinem bewährten Bühnenbildner Rainer Sinell zwar beim originalen Schauplatz Saint-Tropez in den 1970ern, umrahmte diesen allerdings mit einer Splitter-Chronik aus der queeren Zeitgeschichte zur Ouvertüre und im Schlussakkord mit dem Ausblick auf die erste schwule Trauung Frankreichs im Mai 2013.
Auch ohne solche Referenzen wird klar: Dieses Kultstück, von dem im Opernhaus Nürnberg im Juni eine weitere Ausgabe durch Melissa King folgen wird, gehört ans Gärtnerplatztheater wie Offenbach und Mozart. Es ist tatsächlich vieles nicht mehr wie vor 50 Jahren, als 1973 Jean Poirets Komödie in Paris uraufgeführt wurde. So reiht sich „La Cage aux Folles“ jetzt in die Musicalklassiker-Reihe zu älteren Stücken, Jerry Hermans eigener „Hello, Dolly!“ nicht unähnlich.
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Blauer Himmel und ausgebooteter Moralrigorismus
Der mediterrane Himmel prallt auf Georges‘ und Albins tieflila Salon-Interieur, das zum Besuch des Spitzenkandidaten der ultrarechten Partei für Tradition, Familie und Moral von allen dekorativen Schwuchteleien entkernt werden muss. Alfred Mayerhofer denkt die Show- und Alltagskostüme in den Farben der Trikolore: Cancan-Rot und Nixen-Blau für die Cagelles, viel Weiß für die Schönen der Nacht vor Jacquelines Erlebnisrestaurant. Für die Travestie-Szenen ist das Portal der Bühne voll aufgerissen, wird die dargestellte Kultstätte einer sozial bestens vernetzten Subkultur zum Luxustempel.
Köpplinger und natürlich auch die jeden Cagelle-Charakter individuell zeichnende Choreographie Adam Coopers geben dem Revueaffen für die großen Showszenen reichlich Zucker, um ihn in den „Realszenen“ mit einer äußerst feingliedrigen, subtil komödiantisch bis pointierenden Personenregie zu kontrastieren. Der Besuch der ultrakonservativen Dindons, das allmähliche Umkippen der Politikergattin Marie (wunderbar: Anna Clementi) in die proqueere Enthemmung wird toll entwickelt. Dindon, also kein Kalauer auf zwei Beinen, behält die Gefährlichkeit eines Moraldespoten, der Frau und Tochter als Sachen, nicht als Personen behandelt. Da schwingt mit, dass es mehr noch in Frankreich als im deutschsprachigen Mitteleuropa zahlreiche psychische Opfer einer erzkatholischen Queer-Feindlichkeit gibt.
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Schräge Konfrontationen
Köpplingers pointensichere und in vielen Aspekte subtile Personenregie schärft das Dilemma des 22-jährigen Sohns zwischen seiner queeren Patchwork-Familie und seiner Liebe zu Anne (Florentine Beyer als Retro-Edition blonder „Natürlichkeit“). Paul Clementi gibt dazu einen sympathischen, von handfester Energie und einem gerüttelten Maß jugendlicher Unbedenklichkeit strotzenden Jean-Michel. Im Gegenzug evozieren Christoph Schleinzers zackig gesetzte Auftritte als „Butler“ Jacques in vielerlei Gestalt zwischen Medea, Matrone und Mätresse ausufernde Gelächter-Inseln. Mit Ausnahme der moralisch-hölzernen Ungelenkigkeit von Monsieur Dindon, die Erwin Windegger mit einem knöchernen bis steinernen Mienenspiel verstärkt, agieren alle äußerst lebendig und sensibel. Anna Overbeck gibt eine mit exponierter Charme-Offensive zum Mireille-Mathieu-Double aufgebrezelte Jacqueline. Frank Berg als ikonischer Inspizient Francis und Frances Lucey als guter Theatergeist Babette ergänzen die Entourage mit passgenauem Kolorit.
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Szenen einer Ehe
Fast schade, dass man die ursprüngliche Idee, Daniel Prohaska und Armin Kahl abwechselnd über Kreuz in den Hauptpartien des Paars Georges und Albin vorzustellen, vorerst aufgab. Prohaska verkörpert einen fast zu feinen Nightclub-Chef, der die Cagelles eher mit Sanftmut als Strenge bei der Stange hält. Wie Prohaska singt und spielt, kann man ihn sich auch im Cabriolet bei ständig leichter Geschwindigkeitsübertretung im Sommerwind vorstellen. Smart und sympathisch hat er nicht immer die optimalen Sicherheitssperren für die schweren Emotionsgeschütze seines Partners. Kahl dagegen gibt einen Albin, der sich die Spuren der Vergänglichkeit mehr einredet als real darunter leidet. Das im queeren Jargon als „gebrochenes Handgelenk“ bezeichnete Verhalten zelebriert Kahl mit Selbstverständlichkeit, Albins Minuten-Verwandlung in den heteronormativen Onkel gerät zur steilen Bürohengst-Persiflage.
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Geschliffenheit haben auch alle Club-Cagelles – glamourös aufgestellt mit spezifischer und lüsterner Liebenswürdigkeit. Jeff Frohner animiert im Orchestergraben die Solovioline, die Bläser und die Percussion zu einem detailbesessenen und leicht kühlen Gesamteindruck. Insgesamt zählen mehr als Schön-war-die-Zeit-Gedanken die durch Licht geschärften Konturen. In der voraussehbar ultralangen Vorstellungsserie mit Kassenmagnet-Rendite wird sich diese Schärfe wohl etwas weichzeichnen. Selbst wenn „I Am What I Am“ wie immer vor der Pause erklingt: Die Hauptmomente von Prohaska, Kahl und Köpplinger liegen in feinen Beobachtungen an diesen „Szenen einer wilden Ehe“, die eine anerkannte queere Ehe sein will.
Staatstheater am Gärtnerplatz München
Herman: La Cages aux Folles
Jeff Frohner (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie), Adam Cooper (Choreografie), Rainer Sinell (Bühne), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Peter Hörtner & Josef E. Köpplinger (Licht), Michael Alexander Rinz (Dramaturgie), Daniel Prohaska, Armin Kahl, Paul Clementi, Florentine Beyer, Erwin Windegger, Anja Clementi, Christian Schleinzer, Anna Overbeck, Frank Berg, Diego Federico, Alexander Findewirth, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Mo., 03. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Herman: La Cage aux folles
Daniel Prohaska (Georges), Armin Kahl (Albin), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon), Jeff Frohner/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
Di., 04. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Herman: La Cage aux folles
Daniel Prohaska (Georges), Armin Kahl (Albin), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon), Jeff Frohner/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
Mi., 19. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Herman: La Cage aux folles
Daniel Prohaska (Georges), Armin Kahl (Albin), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon), Jeff Frohner/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
Fr., 21. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Herman: La Cage aux folles
Daniel Prohaska (Georges), Armin Kahl (Albin), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon), Jeff Frohner/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
Fr., 28. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Herman: La Cage aux folles
Daniel Prohaska (Georges), Armin Kahl (Albin), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon), Jeff Frohner/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)