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Opern-Kritik: Staatstheater Augsburg – Die letze Verschwörung

Wie ein Film von David Lynch, wenn er eine Operette wäre

(Augsburg, 19.10.2024) Der Münchner Komponist Moritz Eggert macht verrückteste Verschwörungsmythen zum Thema seiner neuesten Oper, die nun Deutsche Erstaufführung feierte. Da dreht sich die Spirale des Absurden abgründig munter.

vonPeter Krause,

Über bitterböse brandaktuelle Themen so etwas wie bierernste Kunst des erhobenen Zeigefingers und der Political Correctness zu ersinnen, ist die deutlich kleinere Herausforderung, als sich den Abgründen unserer Gegenwart mit gehörigem Schalk und ironischer Distanz zu nähern. Moritz Eggert hat den Mut, die Gewitztheit und dazu das dringend nötige kompositorische Handwerk, um just diesen deutlich anspruchsvolleren zweiten Weg zu gehen. Sein jüngster Beitrag zum Musiktheater ist denn auch eine Operette, mithin das ungeliebte Stiefkind der Oper, an das sich seine Komponistenkollegen in der Regel – mangels Humor oder aber aus Angst davor, sich musikalischen Humor zu trauen – nicht heranwagen: Im März 2023 feierte „Die letzte Verschwörung“ ihre Uraufführung an der Volksoper Wien, wo die Operette ja quasi zu Hause ist. Jetzt folgte die Deutsche Erstaufführung, die sich das Staatstheater Augsburg sicherte und im Ausweichquartier des martini-Park in der Inszenierung seines Intendanten André Bücker auf die Bühne brachte.

Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“
Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“

Je abstruser, desto besser

Aktueller könnte ein Bühnenstoff kaum sein: Eggert macht die Renaissance der Verschwörungsmythen zum Thema. Wer würde da nicht an die Präsidentschaftswahlen in den USA denken, die einer der Kandidaten mit der durch keinerlei Fakten zu belegenden These anheizt, Migranten würden die Haustiere der amerikanischen Bürger verspeisen? Je abstruser, desto besser. Im Libretto aus eigener Feder greift Moritz Eggert eine Vielzahl bekannter Verschwörungstheorien aus Vergangenheit und Gegenwart auf: So behaupten Flat-Earther allen Ernstes, die Erde sei flach. Internetforen verbreiteten 2016 die Falschmeldung, in einer Pizzeria in Washington D.C. agiere ein Netz der Kinderpornografie. Eine rechtsextreme Gruppierung setzte das Narrativ in die Welt, eine pädophile Elite würde Kinder ermorden, um aus deren Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen.

Die vielen um die Covid-Pandemie kreisenden Mythen gipfelten in der Theorie, die Verabreichung der dazu entwickelten Impfstoffe diene allein dem Zweck, den Menschen Mikrochip-Implantate einzusetzen, um über jede und jeden von uns die perfekte Kontrolle und damit dann auch gleich die Weltherrschaft zu erlangen. Die Spirale des Absurden dreht sich munter weiter, wenn von der Existenz sogenannter Reptiloide fabuliert wird, reptilienartiger Außerirdischer, die als Menschen getarnt Politik und Wirtschaft wichtiger Länder führen sollen, bekannte Beispiele seien Angela Merkel, Barack Obama und Mark Zuckerberg.

Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“
Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“

Im Strudel einer aberwitzigen Geschichte

Als Hauptfigur seines Bühnenwerks führt Moritz Eggert den erfolgreichen Fernsehmoderator Friedrich Quant ein, der von den Verschwörungstheoretikern Dieter Urban und Lara Lechner dazu verleitet wird, ihrer Ideologie zu folgen. Der eigentlich bestens informierte und entsprechend aufgeklärte Medienmann und treue Familienvater gerät in den Strudel einer aberwitzigen Geschichte, in der er von Flat-Earthern, Reptiloiden und Aliens umgeben ist und in der sich die Ebenen von Wirklichkeit, alternativen Fakten und virtuellen Realitäten zusehends verwischen. Bald fängt Quant eine Affäre mit der attraktiven jungen Lara Lechner an. Zurückgekehrt nach Hause hat dort bereits sein Freund Edgar den Platz des Ehemanns und Vaters eingenommen, seine Kinder erinnern sich nun schon nicht mehr an ihn. Schwurbel-Urban begegnet ihm in diversen Verkleidungen wieder – ist er ein Doppelagent, der nicht nur als überzeugender Märchenerzähler tätig ist, sondern auch dem FBI dient?

Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“
Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“

Das Libretto ist eine satirische Wonne

Das mit leichter Hand gefügte, an Anspielungen auf Lokal-, Bayern- und Bundespolitik reiche Libretto, in dem für die Deutsche Erstaufführung nun auch Markus Söder und Olaf Scholz ihr Fett abbekommen, ist eine satirische Wonne. Man merkt in fast jeder Zeile den Furor des dichtenden Komponisten, mit dem er sich an dem Wahnsinn unserer Zeit abarbeitet – verschmitzt, nie verbiestert. Ihn fasziniere, wie er im Programmheft kundtut, das Thema seit langem, „da diese Mythen oft dadaistisch und surreal sind“. Sein Werk sei eine „Umarmung des Chaos: Hommage wie Warnung“. Er habe sich „die Verschwörungsmythen kathartisch von der Seele geschrieben. Man kann sie nur mit Humor und den Mitteln der Kunst ertragen.“ Wohl wahr. Also reimen sich bei Eggert und seinem Helden aus der Medienwelt kalauernd „Quoten“ auf „Idioten“. Zum Nachdenken regen andere Zeilen an: „Jenseits der Wirklichkeit beginnt das wahre Sein.“ Der Satz zielt so sehr auf die gefährlichen Verschwörungsmythen wie auf die uns verführende Kunstform Oper, die als so wunderbare, tief berührende Lüge auf die so unwahrscheinliche Kommunikationsform des Gesangs und den schönen Schein baut – und so eine eigene Wirklichkeit jenseits des Hier und Jetzt erschafft.

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Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“
Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“

Die polystilistische Partitur ist so reich an Zitaten wie die Opern von Kurt Weill oder Alfred Schnittke

Statt auf weitere satirische Schärfe setzt Moritz Eggert in seiner Komposition für groß besetztes, an Blechbläsern reiches Sinfonieorchester auf den Überwältigungsfaktor des gigantischen Apparats. Seine polystilistische Partitur ist so reich an Zitaten wie die Opern von Kurt Weill oder Alfred Schnittke. Nachgerade schamlos bedient sich der Münchener Professor für Komposition an den (spät-)romantischen Rezepten der farblich prallen Instrumentierung. Die direkt wirksamen (und einst, als die Bilder laufen lernten, Richard Wagner nachgelauschten) Gefühlswegweiser der Filmmusik dienen der Fasslichkeit und dem Gefallen. Irgendwie glaubt man, diese oder jene Melodie doch schon lange zu kennen. Es gibt Ohrwurmqualitäten allenthalben, mitunter machen auch Musical-Eingängigkeit Hörfreude. Dazu sorgt der pointierte Deklamationsstil im atemberaubend schnitttechnisch schnellen Konversationsstück für hohe Textverständlichkeit, seinem Protagonisten Quant gönnt Eggert aber auch mal eine Arie, in dem sein Held über all den Wahnsinn, der ihm widerfährt, nachsinnen darf: „Wird wirklich alles besser, wenn man allem misstraut?“

Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“
Szenenbild aus „Die letzte Verschwörung“

Multiple Brechungen von Realität und Simulation

Doch das Verschwörungskarussell dreht sich weiter, immer fixer und verrückter, bis zum Ende und seinen dem Thema gemäßen multiplen Brechungen von Realität und Simulation. Generalmusikdirektor Domonkos Héja steuert dazu die klangprächtigen Augsburger Philharmoniker mit Umsicht und Passion durch die sanguinische Partitur. Das Ensemble ist mit starken, maximal motivierten Sängerdarstellern bei der Sache. Wolfgang Schwaninger führt als ideale Mischung eines Charakter- und Heldentenors die tolle Truppe an. Und er macht die Entwicklung seines Friedrich Quant vom smart schmierigen Talkshowmoderator zum tragischen Sucher der Wahrheit eindrucksvoll deutlich. Baritonwohlklang verströmt Shin Yeo als Schwurbel-Urban, verführerische Sopranattacke Jihyun Cecilia Lee als Lara Lechner. 

Die Manipulation der Massen und ein Zuviel an visuellem Overkill

Der regieführende Hausherr setzt, anders als die Inszenierung der Wiener Uraufführung, massiv auf die Allgegenwart virtueller Welten, die ihm sein Videokünstler Robi Voigt auf multiple Bildschirme gezaubert hat. Die schöne neue Welt ist omnipräsent, flackert hinter, neben und vor der Bühne von Wolf Gutjahr, der das intime Geschehen auf einen Steg vor dem Orchester verlagert, die öffentlichen Szenen auf der Hauptbühne spielen lässt. Die Manipulation der Massen wird im Gleichschritt des stimmstarken Chores verdeutlicht. Die Figuren sind, auch dank Katharina Weissenborns Kostümen, klar gezeichnet. Nur will sich die Zuspitzung der Satire zu selten einstellen. Die zeitgenössische „Mythos-Operette in zwei Akten“, unter der „Die letzte Verschwörung“ in Wien firmierte, ist nun dem braveren Untertitel „Oper“ gewichen. Strebte Moritz Eggert zur Uraufführung ein künstlerisches Hybrid an „wie ein Film von David Lynch, wenn er eine Operette wäre“, kommt die Schicht der bitterbösen Farce in Augsburg unter die Räder des allzu ernsten visuellen Overkills. Ein höchst unterhaltsamer Abend ist dennoch garantiert.    

Staatstheater Augsburg
Eggert: Die letzte Verschwörung

Domonkos Héja (Leitung), André Bücker (Regie), Wolf Gutjahr (Bühne), Katharina Weissenborn (Kostüme), Robi Voigt (Video), Marco Vitale (Licht), Gabriella Gilardi (Choreografie), Sophie Walz (Dramaturgie), Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek (Chöre), Julius Kuhn, Wolfgang Schwaninger, Wiard Witholt, Shin Yeo, Kate Allen, Luise von Garnier, Jihyun Cecilia Lee, Avtandil Kaspeli, Olena Sloia, Jasper Bogatzki, Thomas Fischer, Valentin Haas, Ferdinand Lidl, Opernchor des Staatstheaters Augsburg, Augsburger Philharmoniker






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