Der Ort kommt bekannt vor. Offenbar der Berliner Bahnhof „Zoologischer Garten“. Doch nicht in gegenwärtiger Optik. Die Fassaden der Läden wie zudem die Reklameschilder legen die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nahe. Mit ihnen Christiane F. und die übrigen „Kinder vom Bahnhof Zoo“. Und tatsächlich, Alida – die weibliche Zentralfigur von Eötvös‘ Oper – zeigt sich zu jener des einstigen Kultbuchs mutiert. Auch Asle, der junge Mann an ihrer Seite, erweist sich als heroinsüchtig. Der Berliner Schauplatz lässt das 2021 in der Lindenoper aus der Taufe gehobene Werk in die Stadt der Uraufführung zurückkehren. Die Konfrontation des Tempels für die Hochkultur und ihres bildungs- und besitzbürgerlichen Publikums mit dem Dahinvegetieren der sozial Gestrandeten böte Optionen. Selbst am Staatstheater Braunschweig und der Oper Graz, den Partnern dieser Koproduktion.
Ein doppelter Verlust
Doch weder in der steiermärkischen Kapitale noch jetzt in der Löwenstadt ein Hauch davon. Der mit der Verlegung des Schauplatzes vom norwegischen Fischerkaff in die deutsche Hauptstadt einhergehende Verlust ist daher ein gleich doppelter: Zum einen, weil Eötvös und Librettistin Mari Mezei sich bedachtvoll dazu entschieden, die Ursache für die Not der schwangeren Außenseiterin und ihres Freundes und Kindsvaters außen vor zu lassen. Denn, wo auch immer die beiden jungen Leute falsch abgebogen sind, ihr Anspruch auf Hilfe ist – schon um des Kindes willen, das Alida unter dem Herzen trägt – unbedingt. Konkretisierungen schaden solcher Einsicht. Zum anderen reichen Weite und Lockungen des Meeres tief ins Geschehen hinein. Wenn diese sich lediglich in einem Werbeplakat für eine Kreuzfahrt manifestieren, greift das entschieden zu kurz.
![Szenenbild aus „Schlaflos“](https://www.concerti.de/wp-content/uploads/2025/02/braunschweig-schlaflos-17-thomas-m-jauk-stage-pictures-1408x937.jpg)
Respekt vor dem Plot
Jenseits solcher grundsätzlichen Einwände bleibt bei Regisseur Philipp M. Krenn der Plot in wichtigen Zügen erhalten. Nachvollziehbar spult sich die Geschichte auf Basis der säkularisierten und ins Prekariat versetzten Herbergssuche von Josef und Maria aus dem Lukasevangelium ab. Nur, dass für Werk und Spielleiter die Unterkünfte nicht ausgebucht sind, sondern das Geld zur Bezahlung fehlt. Manche Details greifen ins Gemüt: das lange Sterben der von Asle erstochenen Schwiegermutter in spe, die Bösartigkeit der Obdach verweigernden alten Frau.
Einzelne Bildwirkungen sind stark: Etwa, wenn sich der von einer seiner Mordtaten überforderte und erschöpfte Asle im Spiegel betrachtet oder der nun seinerseits vom Mob Gelynchte und in einer Vitrine Ausgestellte über den Tod hinaus mit der Geliebten kommuniziert. Keine Frage, Bühnenbildnerin Heike Vollmer hat wesentlichen Anteil daran. Was im Detail überzeugt, droht sich freilich im Naturalismus der Bahnhofshalle zu verlieren. Immer wieder erweist sich das Bühnenbild als durch das Heraus- und Hereinfahren einzelner Kompartimente für Wohnungen und Gastronomie inflationär bemühter Rangierbahnhof. Bei Regine Standfuss changieren die Kostüme zwischen dem Jahrzehnt der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ und heute.
![Szenenbild aus „Schlaflos“](https://www.concerti.de/wp-content/uploads/2025/02/braunschweig-schlaflos-3-thomas-m-jauk-stage-pictures-1408x937.jpg)
Musikalisch perfektibel
Wie szenisch, so bleibt auch musikalisch Luft nach oben. Alexander Sinan Binder lässt das Braunschweiger Staatsorchester kompakt aufspielen. Die von Eötvös für die dreizehn Szenen des Werks ersonnene jeweils auf einem Grundton beruhende spezifische Atmosphäre sowie das sich aus Dreiklängen aufbauende Kolorit der Partitur warten mit reichen Valeurs auf. Kapellmeister und Klangkörper nähern sich ihnen immerhin an. Veronika Schäfer verkörpert Alida mit recht schlankem Sopran. An deutliche vokale Grenzen stößt der Asle von Tenor Matthew Peña. Alle weiteren Ensemblemitglieder vollbringen Solides.
Staatstheater Braunschweig
Eötvös: Schlaflos
Alexander Sinan Binder (Leitung), Philipp M. Krenn (Regie), Heike Vollmer (Bühne), Regine Standfuss (Kostüme), Tobias Krauß (Licht), Thomas Achitz (Video), Johanna Motter (Chorsolistinnen und Chorsolisten), Veronika Schäfer, Matthew Peña, Milda Tubelytė, Isabel Stüber Malagamba, Maria Kublashvili, Rainer Mesecke, Zachariah N. Kariithi, Peter O’Reilly, Sungmin Kang, Yuedong Guan, Steffen Doberauer, Ross Coughanour, Sebastian Matschoß, Peter Fontaine, Yeojung Ha, Andreja Schmeetz, Ingvild Schultze-Florey, Masami Tanaka, Christiane Ritters, Sabrina Krauß, Staatsorchester Braunschweig
Termintipp
Do., 13. Februar 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Eötvös: Schlaflos
Veronika Schäfer (Alida), Matthew Peña (Asle), Milda Tubelytė (Mutter & Hebamme), Isabel Stüber Malagamba (Alte Frau), Philipp M. Krenn (Regie)
Termintipp
Mi., 19. Februar 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Eötvös: Schlaflos
Veronika Schäfer (Alida), Matthew Peña (Asle), Milda Tubelytė (Mutter & Hebamme), Isabel Stüber Malagamba (Alte Frau), Philipp M. Krenn (Regie)
Termintipp
Sa., 01. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Eötvös: Schlaflos
Veronika Schäfer (Alida), Matthew Peña (Asle), Milda Tubelytė (Mutter & Hebamme), Isabel Stüber Malagamba (Alte Frau), Philipp M. Krenn (Regie)
Termintipp
Sa., 15. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Eötvös: Schlaflos
Veronika Schäfer (Alida), Matthew Peña (Asle), Milda Tubelytė (Mutter & Hebamme), Isabel Stüber Malagamba (Alte Frau), Philipp M. Krenn (Regie)
Termintipp
So., 23. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Eötvös: Schlaflos
Veronika Schäfer (Alida), Matthew Peña (Asle), Milda Tubelytė (Mutter & Hebamme), Isabel Stüber Malagamba (Alte Frau), Philipp M. Krenn (Regie)