Alle fünf Jahre trifft sich die Kunstwelt zur documenta in Kassel und der 2013 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Bergpark mit den Wasserspielen und dem Herkulesdenkmal ist ein Touristenmagnet von internationaler Strahlkraft. Fragt man indessen die Bürger selbst, könnte man fast meinen, dass Kassel im Besonderen die Stadt mit dem Staatstheater sei. Sie sind ihrem Haus am Staatspark Karlsaue in unmittelbarer Nähe zum kleinen Fluss Fulda sehr verbunden und haben es für das „Publikum des Jahres 2018“ nominiert.
Man läuft nicht gleich davon

Mit den drei Schlagworten „Interessiert – Kritisch – Begeisterungsfähig“ umschreibt die Operndirektorin Dr. Ursula Benzing das Kasseler Publikum. Über die Jahre hat sich eine positive Dialogkultur zwischen dem Haus und den Zuschauern etabliert. So winkt Benzing bei der Frage, wie der letzte Publikumsskandal aussah, entspannt ab: „Dass bei ‚Lady Macbeth von Mzensk’ Zuschauer aufgrund der Inszenierung empört den Saal verließen, war uns erst recht Anreiz, den Dialog zu suchen.“ 2011 hatte die Inszenierung von Michael Schulz für erhitzte Gemüter gesorgt. Weiter erklärt Benzing: „Wenn das Publikum bei einer Premiere tatsächlich mal nicht zufrieden ist, läuft es nicht unbedingt davon, sobald der Vorhang gefallen ist. Im Foyer wird dennoch gefeiert – und lebhaft diskutiert.“
Die Dankbarkeit der Zuschauer, die sich in der Nominierung manifestiert, zeigt sich nach den Vorstellungen in dem oft lang anhaltenden Applaus. Auch Standing Ovations seien keine Seltenheit, erzählt Benzing: „Alles ist möglich, auch, dass das Publikum den Saal partout nicht verlassen und weiterklatschen möchte.“ Wenn Sängerinnen und Sänger bei einem Gastauftritt so gefeiert werden, kommen sie natürlich gerne wieder einmal zurück nach Nordhessen.

Das Staatstheater Kassel und sein Publikum von morgen
Es handelt sich indessen keineswegs um einen engen Kreis von Eingeschworenen, der immer wieder die Nähe zur Bühne sucht. Die Kasseler sind sich in der Breite einig, dass sie ein tolles Theater haben. Die Zahlen sprechen für sich. „Kassel hat 200.000 Einwohner und über 30.000 lauschen gebannt dem Programm der Open-Air-Konzerte“, sagt Benzing. Weil das Haus sein Publikum als neugierig und offen wahrnimmt, läuft die Programmplanung recht entspannt, dennoch ist es den Zuständigen ein Anliegen, auch auf Nachfragen einzugehen. Derzeit ist ein neuer „Ring“ in der Entstehung begriffen. „Das Rheingold“ ging zum Beginn der aktuellen Spielzeit über die Bretter und die abschließende „Götterdämmerung“ wird ihre Premiere am 7. März 2020 feiern. Die Inszenierung der vier Wagner-Opern übernimmt Markus Dietz, seit der Spielzeit 2014/15 Oberspielleiter im Schauspiel des Mehrspartenhauses.

Über die Nominierung freut sich Dr. Ursula Benzing sehr und die Aussicht, möglicherweise den Titel „Publikum des Jahres 2018“ führen zu dürfen, sei für das Haus keine Kleinigkeit. „Es wäre unsere Verbeugung vor einem tollen Publikum“, sagt Benzing. „Darüber hinaus böte er uns die Möglichkeit, einen Kompositionsauftrag für eine Kinderoper in Auftrag zu geben.“ In Kassel würde man sich also nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern mit dem Preisgeld in das Publikum von morgen investieren.