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Opern-Kritik: Staatstheater Meiningen – Castor et Pollux

Stellarer Dreibund

(Meiningen, 21.2.2025) Musikalisch ist Rameaus „Castor et Pollux“ dank Christopher Moulds ein Hauptgewinn. Der barocken Vorliebe für labyrinthische wie organische Schmuckformen ersteht in Tony Craggs Bühnenbild ein effektvolles Analogon. Regisseurin Adriana Altaras nimmt die weltumspannende Perspektive dazu so heiter wie möglich.

vonMichael Kaminski,

Unter die Sterne versetzt zu werden, ist für die Dioskuren wie auch die schöne und couragierte Télaïre tatsächlich die beste Lösung. Da leuchten sie nun am Firmament: der ohnehin unsterbliche, aber um Leben und Glück des Bruders willen seinem Privileg entsagende Pollux, der sich im Jenseits nach der Geliebten verzehrende Castor und die beherzte Tochter der Sonne. Regisseurin Adriana Altaras rückt die Helden-Zwillinge am Staatstheater Meiningen ein wenig beiseite, um Raum für die Spartanerin und deren durchaus ambivalente Empfindungen zu gewinnen. Zwar instrumentalisiert Télaïre den in sie verliebten Pollux anfangs lediglich, auf dass er ihr Castor aus dem Totenreich zurück nach Sparta führe. Doch des Unsterblichen Kühnheit samt der unverbrüchlichen Zuneigung zu ihr samt einer Opferbereitschaft, die das eigene Liebesglück dem des Bruders unterordnet, beeindrucken sie fortschreitend. In seiner Weisheit enthebt Gott Jupiter sie der Entscheidung durch die Verwandlung zum Stern. So darf sie sich denn zu beiden Dioskuren gesellen. Regisseurin Altaras lässt die darob Beglückte, „I’m a star!“, verkünden.

Dass die frisch promovierten Himmelslichter Menschengestalt behalten, kümmert niemanden. Charme und Witz, mit dem sich das Terzett im Bäumchen-Wechsele-Dich-Spiel immer neu zum Gruppenportrait aufstellt, amüsieren den fotografierenden Götterboten Hermes. Überdies das sich zum munteren Festreigen formierende Weltall. Ewigkeit kann so schön sein. Kontrastiv vor allem zu jener Unsterblichkeit, an der Pollux zunächst wie an einer Bürde trägt. Kein Wunder, ehe Jupiter Gnade walten lässt, ist die begehrte Frau dazu bestimmt, früher oder später ins Grab zu sinken. Erst, indem Pollux seine Unsterblichkeit für den Bruder und Télaïre in die Waagschale wirft und opfert, gewinnt das Vorrecht Sinn.

Szenenbild aus Rameaus „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus Rameaus „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen

Sterblich geworden, ersteht er kraft Götterspruchs mit dem Bruder und der Geliebten zu kosmisch-ewigem Leben, einem bloße Unsterblichkeit bei weitem überragenden Sein. Spielleiterin Altaras weiß die bloß akzidentielle Ebene endlosen Lebens von der universalen, das All durchwaltenden klar abzuheben. Altaras nimmt dabei die irdischen Konflikte der Personnage so ernst wie nötig, hingegen die weltumspannende Perspektive so heiter wie möglich. In welcher der Sphären auch immer, es menschelt allerorten. Des Meininger Hausherrn Jens Neundorff von Enzbergs straffende Bearbeitung schafft hierfür den Fond. Etliches Personal wurde beseitigt, um Vorgänge und Charaktere zu verdichten. Dem Werk bekommt das entschieden.

Barock und zeitgenössische Kunst im Verein

Erneut arbeiten die Meininger mit einem prominenten bildenden Künstler zusammen. Tony Cragg ist gewohnt, seine Skulpturen für städtebauliche und landschaftliche Kontexte zu schaffen. Auf der Bühne begegnen stelenhafte Gebilde. Gedanken an Wirbel des Rückgrats oder Knorpelhaftes liegen nahe. Letzteres – als „Knorpelwerk“ – unverzichtbarer Bestandteil barocker Ornamentik.

Szenenbild aus Rameaus „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus Rameaus „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen

Craggs ins Monumentale projizierte Zeichnungen beschreiben oft schier endloses Gekurve und Geschlinge, aus dem ab und an Anthropomorphes bis hin zu Gesichtern hervorlugt. Der barocken Vorliebe für ebenso labyrinthische wie organische Schmuckformen ersteht in Craggs Bühnenbild ein effektvolles Analogon. Für alles dies ersinnt Nina Lepilina eine kostümlich-augenzwinkernde Melange aus Antikisierendem und Gegenwartsnahem.

Historisch informiert und vital

Musikalisch grenzen „Castor et Pollux“ in Meiningen an einen Hauptgewinn. Der Chor des Hauses erweist sich unter Roman David Rothenaicher als stilistisch enorm beschlagen, klangschön und spielfreudig. Final legen die Damen gar liebreizend-leichtfüßige Tänze auf’s Parkett. Für die Meininger Hofkapelle bedeutet Barockmusik ein Rarissimum. Christopher Moulds befeuert den Klangkörper, sich zunehmend freizuspielen. Das Holz musiziert warmtonig und in reichen Valeurs, die Streicher legen gleichermaßen an rhythmischer Verve und melodischer Geschmeidigkeit zu. Kavalierbaritonal elegant und durchschlagskräftig verkörpert Tomasz Wija den zum Opfer seiner Unsterblichkeit bereiten Pollux.

Szenenbild aus Rameaus „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus Rameaus „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen

Für Castor bietet Aleksey Kursanov seinen leicht ansprechenden und höhensicheren Tenor auf. Vokal und spielerisch misst Emma McNairy ganz fabelhaft das gesamte Spektrum Télaïres von Entschlossenheit zur Wiedergewinnung des Gemahls aus der Unterwelt bis zum interstellar-fröhlichen Einverständnis mit beiden Dioskuren aus. Leidenschaftlich und zugleich auf sanglicher Linie der Schönheit gibt Sara-Maria Saalmann die Pollux unglücklich liebende Phébé. Selcuk Hakan Tıraşoğlu beweist als Jupiter Bassbuffo-Qualitäten.

Staatstheater Meiningen
Rameau: Castor et Pollux

Christopher Moulds (Leitung), Adriana Altaras (Regie), Tony Cragg (Bühne), Verena Hemmerlein (Co-Bühnenbild), Nina Lepilina (Kostüme), Roman David Rothenaicher (Chor), Aleksey Kursanov, Tomasz Wija, Emma McNairy, Sara-Maria Saalmann, Selcuk Hakan Tıraşoğlu, Laura Braun, Mark Hightower, Meininger Hofkapelle, Chor des Staatstheaters Meiningen






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