Premiere oder Vernissage? Das war hier die Frage. Markus Lüpertz als Opernregisseur, das konnte nach allem, was im Vorfeld von ihm zu hören war, nur eine Oper aus dem Geist der Malerei werden. Ausstattung hat der eifrige Operngänger schön öfter mal gemacht. Selbst Regie geführt hat der erfrischend vital wirkende Achtzigjährige bisher aber noch nie.
Ein Regisseur will der Malerfürst nicht mehr werden
In Meiningen hatte er mit Maximilian Eisenacher einen Co-Regisseur fürs rein Handwerkliche an seiner Seite. Beim Pressegespräch, kurz vor der Premiere, räumte Lüpertz mit der für ihn typisch gelassenen Selbstironie ein, dass er nicht beabsichtige, jetzt Opernregisseur zu werden. Dass er die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, genossen hat, versuchte er freilich auch nicht zu verhehlen. Den angesprochenen Widerspruch zwischen seiner deutlichen Kritik an der gegenwärtig dominierenden Art, Oper als Unterhaltungsevent zu inszenieren, und dem, was in Meiningen mit und um ihn für diese Premiere ablief, quittierte er lächelnd mit der Bemerkung, er sei halt Berufskünstler und lebe von seiner Bekanntheit.
Ob Altkanzler Gerhard Schröder erscheint?
Altkanzler Gerhard Schröder und seine Frau kamen zwar doch nicht – wie schon in der Presse vermeldet – zum Regiedebüt von Malerfreund Lüpertz nach Meiningen. Diese Ankündigung war Teil der Vorfeldaufmerksamkeit, die der historische Theaterstandort mal wieder brauchte. Aber es wäre eh nur ein zusätzliches Schmankerl für die Rubrik Vermischtes gewesen.
Überschreibung der zigfach reproduzierten Bilder?
Spektakulär war diese „La Bohème“ auch so schon. Nicht nur, weil das für jede Premiere im Dezember des zweiten Coronawinters gilt. Besonders in Gegenden mit besorgniserregenden Ansteckungszahlen. Der in Meiningen noch neue Intendant Jens Neundorff von Enzberg und sein Stargast haben das richtige Zeitfenster erwischt. So viele Zuschauer wie durften füllten brav maskiert die Reihen und bejubelten am Ende ausgiebig eine Version von Oper, wie sie heutzutage nicht üblich ist. Wobei die in Puccinis „La Bohème“ zelebrierte Aura über den Dächern von Paris, mit Künstlerexistenzen, die frieren, hungern, mit der Miete im Rückstand sind und trotzdem leben und lieben, zu einer Überschreibung der zigfach reproduzierten Bilder dieses Repertoire-Dauerbrenners besonders einladen. Noch dazu mit der zentralen Liebesgeschichte zwischen Mimì und Rodolfo, die mit dem unabwendbaren Schwindsucht-Tod der jungen Frau endet. Bei Puccinis großem, schmachtenden Ton liegt dessen szenische Konfrontation mit einer zeitgeistigen Verlängerung in die Bedrängnisse unsere Gegenwart für ambitionierte Regisseure geradezu auf der Hand. Man sieht vorm inneren Auge förmlich die assozia-tiven Videowelten mit Bildern aus einer immer aufgesplitterteren Gesellschaft, samt der diffusen Bedrohungen durch globale Ungewissheiten. Einschließlich der aktuellen pandemischen Bedrohungen, von der tatsächlich auch jedes Theater ganz konkret existenziell betroffen ist.
Oper wird zweidimensional
Lüpertz stellt das genaue Gegenteil davon auf die Bühne und damit zur Diskussion. Er besteht auf seiner Kunst, auf der Malerei und damit zunächst einmal auf Zweidimensionalität und Farbe. Bewegung lässt er nicht zum Problem werden, weil er sich bewusst auf das Rampensingen und eine Geste zwischen Barocktheater und Commedia dell’arte beruft. Bei ihm führen sozusagen alle Wege durch die Mitte an die Rampe. Von dort wird mit dem Gesicht zum Publikum geschmettert oder geschmachtet, was das Zeug hält. Und, was der zupackende Sound, den GMD Philippe Bach und die Hofkapelle aus dem Graben beherzt beisteuern, erfordert oder erlaubt. Je nach dem.
Stillleben auf der Staffelei
Optisch gibt es in der Künstlerbleibe vor dunkel düsterem Hintergrund einen kleinen Ofen (in dem die paar Seiten Manuskriptpapier erstaunlich lange lodern), zwei Dachfenster auf dem Boden und eine Staffelei, auf der dann auch statt handfestem Essen ein Stilleben aufgetragen wird. Die Kostüme sind durchweg bunt, die Schminke kräftig. Allesamt sind hier gut bei kraftvoller Stimme. Der von Manuel Bethe einstudierte saftig grün mit roten Zipfelmützen kostümierte Chor hat seinen großen Auftritt im Café-Momus-Bild als dekorativer Weihnachtsbaum mit Kerzen im Hintergrund.
Mit Farbpalette bewaffneter Maler Marcello
Ob nun der Schmettertenor Alex Kim als Rodolfo oder Julian Younjin Kim als mit Farbpalette bewaffneter Maler Marcello oder der durch seinen natürlich auch zweidimensionalen Instrumentenkasten als Musiker Schaunard kenntliche Johannes Mooser und der mit akademischem Kopfschmuck als Philosoph Colline daherschreitende Selcuk Hakan Tıraşoğlu. Monika Reinhard macht aus ihrer Musetta nicht nur ein vokales Glanzlicht, sondern ihr gelingt auch der Schritt aus der zweidimensionalen Skizze in die dreidimensionale Lebendigkeit von Koketterie. Besonders, wenn sie mit ihrem aktuellen Liebhaber Alcindoro (Thomas Lüllig) ihre Spielchen treibt, gewinnt das Theater kurz die Oberhand über die Malerei.
Natürlich haben sie alle ihre (manchmal auch unfreiwillig komischen) Auf- und Abgängen zwischen den zum Tiefenbild gestaffelten Prospekten oder dem gemalten Mobiliar. Dass der durchweg überzeugend singenden Deniz Yetim als Mimì und ihrem Rodolfo auch in der Versöhnung keine räumliche Annäherung vergönnt ist, ja sie sogar im Stehen stirbt, ist hier keinerlei Ab-standsregeln, sondern dem Zugriff des Malers geschuldet, der die Handlung durchaus auch mal allein der Musik zuschreibt.
Fazit: Experiment gelungen
Der Schauwert dieses Gesamtkunstwerkes von inszenierter Malerei mit Puccinis Musik und drei apart eigenwilligen poetischen Texten, die der Maler dazu geschrieben hat und die, vom ihm selbst vorgetragen, aus dem Off eingespielt werden, ist enorm. Das persönliche Statement, das der Maler Markus Lüpertz damit zur Musiktheaterregie abgibt, ist natürlich streitbar. Das Experiment aber ist insgesamt gelungen. Man war sowohl auf einer Vernissage, als auch in einer Premiere. Beides hatte für sich genommen seinen Reiz. Es funktionierte für die meisten Zuschauer aber auch zusammen.
Staatstheater Meiningen
Puccini: La Bohème
Philippe Bach (Leitung), Markus Lüpertz (Regie), Deniz Yetim (Mimi), Monika Reinhard (Musetta), Alex Kim (Rodolfo), Julian Younjin Kim (Marcello), Johannes Mooser (Schaunard), Selcuk Hakan Tıraşoğlu (Colline), Stan Meus (Parpignol), Raphael Hering (Benoit), Thomas Lüllig (Alcindoro), Raphael Hering (Sergeant), Matthias Richter (Zöllner), Chor des Staatstheater Meiningen, Meininger Hofkapelle