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Opern-Kritik: Staatstheater Nürnberg – Norma

Es lodert das Feuer des Belcanto

(Nürnberg, 13.5.2017) Marcus Bosch dirigiert einen stürmischen Bellini, Stéphane Braunschweig illustriert ihn mit französischer Noblesse

vonPeter Krause,

Zwei Frauen gehen ins Feuer – stolze Rebellinnen begehren auf gegen die Unterdrückungsmaschinerie der Männer, rächen den Verrat des starken Geschlechts und brechen dennoch aus dem Zyklus von Gewalt und Gegengewalt aus. Denn Norma und Brünnhilde sind und bleiben Liebende, frühe Feministinnen aus dem Geiste des 19. Jahrhunderts, die der Welt nach ihnen eine Botschaft hinterlassen, die Utopie verheißt. Anders als Medea tötet die Gallierin Norma ihre beiden Kinder nicht, die sie vom römischen Besatzer Pollione empfing. Und Brünnhilde gibt den fluchbeladenen Ring der Natur zurück, geht zwar in den Tod, hinterlässt aber keine verbrannte Erde, wie Männer das in solchen Situationen gemeinhin tun; eine Botschaft der Versöhnung, der Geburt des Neuen tönt aus dem wissend orakelnden Orchester.

Norma trifft Brünnhilde – Bellini trifft Wagner

Szenenbild aus "Norma"
Norma/Staatstheater Nürnberg © Jutta Missbach

Marcus Bosch dirigierte nun an einem Wochenende beide Werke: die Premiere von Bellinis „Norma“ und die „Götterdämmerung“, der zwei komplette Zyklen der gefeierten Nürnberger „Ring“-Tetralogie folgen. Das gemeinsame Erlebnis der beiden Werke war jetzt so erhellend wie beglückend. Ersteres, weil Wagner den zwölf Jahre älteren italienischen Kollegen Bellini so sehr schätzte wie keinen anderen Komponisten-Konkurrenten, der wie er Opern schuf: Die „melodie lunghe“ des früh verstorbenen Sizilianers waren heimliches Vorbild für Wagners unendliche Melodien, mit denen der Zukunftsmusiker freilich die Enge der geschlossenen Formen von Arien, Duetten und Chören aufbrach. Letzteres, weil Marcus Bosch bei beiden Werken beherzt mit Vorurteilen der musikalischen Interpretation aufräumt. Seine Sicht auf Bellini und Wagner verbindet der intensive Puls eines inneren Brio nebst pathosreduziert forsch drängenden Tempi. Bei Bellini ist deutlich spürbar, wie Bosch den Belcanto mit der Tradition der Banda verbindet, die bis heute in der Musizierpraxis der Italiener eine enorme Rolle spielt: Im 18. und 19. Jahrhundert war es üblich, dass örtliche Blaskapellen in Opernvorstellungen die Bühnenmusiken übernahmen. Das diente der Popularisierung der Gattung, prägte aber auch die Arbeit der Komponisten. Der stürmische Gestus der straff genommenen Ouvertüre atmete jetzt genau diesen Geist der Banda, der geradewegs dem Herzen der Italiener entspringt.

Szenenbild aus "Norma"
Norma/Staatstheater Nürnberg © Jutta Missbach

Unverhoffte Tenor-Entdeckung nach Kurzfrist-Absage

Bevor Marcus Bosch allerdings bei der Premiere das Feuer der Ouvertüre entzünden konnte, trat Intendant Peter Theiler vor den Vorhang und bat um Geduld: Die plötzliche Indisposition des als Pollione besetzten Tenors David Yim zwang zur Improvisation. Ilker Arcayürek, Erstbesetzung der kleinen Partie des Flavio, erklärte sich bereit, die Hauptpartie vom Blatt von der Bühnenseite zu singen, Flavio-Zweitbesetzung David Kim musste als Ersatz für seinen Kollegen flugs per Taxi ins Theater gebracht werden. Mit halbstündiger Verspätung konnte die Premiere dann starten. Ilker Arcayürek nutzte die Gunst der Stunde, um mit sehr viel Charme und Charisma, jungmännischer Tenorlyrik, leicht ansprechender Stimme und obertonsüßer Dolcissimo-Höhe sein unverhofftes Debüt in der Heldenrolle zu geben. Da wächst in dem Österreicher mit türkischen Wurzeln ein idealer Rodolfo und stupender Nemorino heran – eine Entdeckung. Begeisterte Bravo-Rufe nach seiner großen Arie im ersten Akt.

Dunklerwarmer Norma-Sopran vs. wildwasserklarer Adalgisa-Mezzo

Hrachuhí Bassénz ist neben dem Tenorjüngling eine Norma voller dunkelwarm fraulicher Farben. Mit ihrem sanft slawisch getönten Timbre rückt die Armenierin die Primadonnenpartie in der Signet-Arie des „Casta Diva“ durchaus in die klangliche Nähe der ewigen Referenz-Norma der Maria Callas, weiß sich freilich von den Klischees der Figur immer mehr zu lösen, entdeckt dank ihrer feinen Pianokultur die musikalische Essenz der Druidenpriesterin gerade im Innig-Leisen, auf dessen Basis sie ihre affektsatten Koloraturen durchaus risikobereit abfeuert. Kein Wunder, dass die Sopranistin vom Ensemble in Nürnberg aus längst Ausflüge an die großen Häuser in Wien, London und Dresden unternimmt.

Szenenbild aus "Norma"
Norma/Staatstheater Nürnberg © Jutta Missbach

Mitbewerberin um die Liebesgunst Polliones und dennoch echte Freundin ist ihr Ida Aldrian als Adalgisa, deren wildwasserklar heller wie unschuldig anmutiger Mezzo sich berührend mit den subtil verschatteten Pastelltönen der Hrachuhí Bassénz mischt. Mit edlem Basso Cantante demonstriert Alexey Birkus als Orovesco, wie man auch einer mittleren Partie Gewicht und wahre Würde verleiht.

GMD Marcus Bosch macht Bellini mit Recht zur Chefsache

GMD Marcus Bosch findet mit seinen fulminanten Sängern und der bestens aufgelegten Staatsphilharmonie Nürnberg für Bellini den perfekten Passions-Puls, lässt es dazu an den richtigen Stellen auch mal gehörig knallen, folgt ansonsten dem gefühlsdichten Drängen der sanglich empfundenen Phrasen mit der rechten Mischung aus Emphase und Strenge. Zwar gehört Bellinis Belcanto zuallererst den Sängern, Bosch macht ihn dennoch zur Chefsache, und das ist gut und richtig so, denn auch Bellini braucht Haltung und Handschrift.

Stéphane Braunschweigs fensterlose Fährte in den Faschismus

Szenenbild aus "Norma"
Norma/Staatstheater Nürnberg © Jutta Missbach

Eben damit hält sich Stéphane Braunschweig zurück. Als Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion illustriert er diese „Norma“ mit französischer Noblesse. Sein stahlgrauer, fensterloser Innenraum legt zwar die durchaus stimmige Fährte zu einer faschistoiden Machtmaschinerie, derer sich die bösen Römer gegen die guten Gallier bedienen. Aber einmal nur, im zweiten Akt, konkretisiert Stéphane Braunschweig seine visuelle Zeichen, wenn er den Herrenchor in Resistenza-Gestik gegen die Besatzer ansingen lässt. Sonst führt er den Chor in wenig sagender symbolischer Stilisierung und lässt den Solisten viel Konvention durchgehen, was sie mal mehr, mal weniger zur Zeichnung individueller Figurenportraits nutzen: Freiraum zur Entfaltung ihrer Belcanto-Kunst gewinnen sie so allemal.

Staatstheater Nürnberg
Bellini: Norma

Marcus Bosch (Leitung), Stéphane Braunschweig (Regie & Bühne), Thibault Vancraenenbroeck (Kostüme), Hrachuhí Bassénz, Ilker Arcayürek / David Kim, Alexey Birkus, Ida Aldrian, Ksenia Leonidova, Chor des Staatstheater Nürnberg, Staatsphilharmonie Nürnberg

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