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Opern-Kritik: Teatro Real – La Voix humaine / Silencio / Erwartung

Innere Abgründe

(Madrid, 19.3.2024/Premiere am 17.3.2024) Christof Loy erweist sich am Teatro Real mit Poulencs „La Voix humaine“ und Schönbergs Monodram „Erwartung“ als Regieseelenklempner. Dazwischen liefert Pedro-Almodóvar-Ikone Rossy de Palma gekonnt das komische Intermezzo „Silencio“.

vonManuel Brug,

Der deutsche Regisseur Christof Loy hat schon länger eine gute und offenbar auch kreative Zeit in Madrid, wo er seit Kurzem sogar wohnt. Und am Teatro Real, wo man auch schon seine „Ariadne“-, „Lulu“- und „Arabella“-Inszenierungen nachgespielt hat, gab es längst auch Premieren von „Capriccio“ und „Rusalka“. Und bevor er sich 2025/26 sogar drei Zarzuelas – spanischen Operetten – widmen wird, zeigte er sich jetzt erneut als gekonnter Frauenflüsterer wie Melodramenmeister: Aus dem ursprünglichen Doppelabend über weibliche Sehnsucht, Verletzung und Zurückweisung, die in Hysterie, Selbstmord und möglicherweise Mord umschlägt, wurde während der Proben ein Triptychon, der zwei Loy-Lieblingen, den Sopranistinnen Ermonela Jaho und Marlin Byström sowie der spanischen Pedro-Almodóvar-Ikone Rossy de Palma gewidmet ist.

Wobei de Palma zwischen Poulencs Cocteau-Vertonung „La Voix humaine“ von 1959 und „Erwartung“, dem einst bahnbrechenden Monodram des dieses Jahr 150-jährigen Arnold Schönberg von 1924 das komische Intermezzo „Silencio“ liefert. Sie, die vorher neben Jaho als befreundete Edelstatistin in deren Wohnung werkelte, sie aber dann doch kaltschnäuzig sitzen ließ, watschelt nach der Pause einmal von links nach rechts über die Rampe, mit einer ebenso langen Brautschleppe.

Szenenbild aus „La Voix humaine“ am Teatro Real
Szenenbild aus „La Voix humaine“ am Teatro Real

Dabei singt, rezitiert, schluchzt, verlacht sie Texte von Ornella Vanoni, Brecht, Oscar Wilde und aus Zarzuelas. Auch einen kurzen Tonbanddialog mit dem Regisseur gibt es. Das wirkt lustig und grotesk zugleich, sie ist Carmen mit Rose im Mund, Salome und die strenge Performance-Primadonna Marina Abramovic als Parodie. Und sie schafft das befreiende Lachen der starken, sich selbst genügenden Frau; bevor es wieder tödlich ernst wird.

Wie eine Ertrinkende

Dabei war schon im ersten Stück alles klar. In einer weißen, ausgeräumten Loftwohnung (Bühne: Loy und Guadalupe Holguera) hat Ermonela Jaho nur noch ein altmodisch schwarzes Wählscheibentelefon auf einem roten Klappstuhl stehen. Ihre Verbindung zur Außenwelt, zum Geliebten, der sie verlassen hat – für eine andere. Das bemerkt sie schnell in diesem immer wieder getrennten Gespräch.

Rossy de Palma in „Intermezzo“ am Teatro Real
Rossy de Palma in „Intermezzo“ am Teatro Real

Wie eine Ertrinkende hängt sie an der Strippe, entledigt sich langsam ihrer Kleider, hetzt durch den Raum, posiert, krümmt sich am Boden. Das singspielt die albanische Sopranistin ganz wunderbar, fragil, verletzlich, sie möchte stark sein – und ist es doch nicht. Am Ende nimmt sie Tabletten – und stirbt. Das macht Loy erschreckend klar, wo Cocteau und Poulenc diese weibliche Innenschau bewusst in der Schwebe lassen. Doch hier erleben wir eine Frau jenseits des Nervenzusammenbruchs.

Kristallin, flüssig, konturenstark

So auch im zweiten Musiktitel. Hat Jérémie Rhorer bei Poulencs dezentem Klangherzschmerz das Orquesta Titular de Teatro Real zu schwelgerischem Tonschweben mit nur wenigen Ausbrüchen angehalten, so dirigiert er den Schönberg, kristallin, flüssig, konturenstark, und immer ganz nah an der flirrenden Singstimme der somnambul wandelnden Marlin Byström. Die könnte die Nachmieterin im gleichen Appartement sein, das jetzt wohnlich modern eingerichtet ist. Statt der vier Milchglasfenster gibt es offene Balkontüren, hinter denen ein Pflanzenparadies zu erahnen ist. Statt Taghelle herrscht Nachtdunkel.

Szenenbild aus „Erwartung“ am Teatro Real
Szenenbild aus „Erwartung“ am Teatro Real

Auch diese Frau ist verwirrt, ja verstört. Sie zuckt nervös, hantiert mit einem Messer, plötzlich offenbart sie unter einem Tuch einen blutigen halbnackten Männerkörper. Doch der erhebt sich, sitzt am Tisch, raucht, geht über den Balkon davon. Um später angezogen durch die Tür zurückzukehren. Die Frau hält ihm das Messer entgegen. Ist hier die Zeit zurückgelaufen? Es bleibt so offen wie Schönbergs nach wie vor rätselhaft gleißendes, symbolistisch verfremdetes Solosingstück von den dunklen Momenten einer Frauenseele. Die der Regieseelenklempner Loy packend ausgeleuchtet hat.

Teatro Real de Madrid
Poulenc: La Voix humaine / Silencio / Schönberg: Erwartung

Jérémie Rhorer (Leitung), Christof Loy (Regie & Bühne), Guadalupe Holguera (Bühne), Barbara Drosihn (Kostüme), Fabrice Kebour (Licht), Ermonela Jaho, Rossy de Palma, Malin Byström, Gorka Culebras

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