Der Britenkönig trägt schwer an Excalibur. Das Wunderschwert ist ein Mordsapparat, neben dem Arthur zart und fragil daherkommt, als jemand, dem unter die Arme gegriffen und der getröstet sein will. Krieg führt er als ebenso unvermeidliches wie leidiges Nebengeschäft. Denn zu allererst ist Arthur ein Liebender. Seine ganze Sehnsucht gilt Emmeline, der blinden Prinzessin. Auf die aber hat auch Sachsenkönig Oswald ein Auge geworfen, ein Monarch ganz anderen Schlages. Krieg um Länder und Frauen ist ihm Lebenselixier. Oswald steht der Sinn einzig nach Eroberung. Der Sachsenkönig scheut nicht davor, Emmeline entführen zu lassen.
Arthur als Antiheld und durchlässige Geschlechterrollen
Regisseur Marco Štorman verstärkt den Kontrast zwischen den beiden Herrschern noch, indem er die Titelfigur mit einer Frau besetzt. So gewinnt denn in Arthur das Weibliche im Männlichen Oberhand, während sein Gegenspieler Oswald vor Maskulinität birst. Štorman begreift von eben daher Merlin als Segen für den Britenkönig. Der Magier vereint in sich beide Geschlechter. Offenbar beruht sein Zauber auf wirkmächtiger Mischung der Anteile. Der weibliche gebietet ihm Solidarität mit Arthur. Unter solchen Vorzeichen erweist sich in Aachen die Besetzung auch des Magiers mit einer Frau als nachvollziehbar. Dass nun die von beiden Königen begehrte Emmeline männliche Statur und Stimme erhält, will bei einer Sichtweise, die an der Auflösung gängiger Geschlechter- und Rollenbilder arbeitet, nicht weiter erstaunen.
Froststarre und Sturmesbrausen
Zumal sich die Geschehnisse in einer sagengetränkten Welt zutragen, in der Zauberer, Personifikationen und Naturwesen ohnehin das Wunderbare beglaubigen. Štorman lässt sie denn auch ihr in die Begebnisse der Sprechtheater-Personnage eingreifendes Wesen treiben, wie es solchen Figuren in barocken Opern ziemt, indem sie mit ihren magischen Kräften auf beiden Seiten Partei nehmen. Spielende und Singende interagieren wie selbstverständlich. Im Verhältnis von Emmeline zu ihrer Vertrauten Matilda verschmelzen Musik- und Sprechtheater. Indessen gelangen Kriegswesen und Liebeshändel, Menschen und Geister auf den toten Punkt, als das dritte Wesen, das es auf die Prinzessin abgesehen hat, von dieser zurückgewiesen wird: Der verschmähte Erdgeist Grimbald heißt die Welt zu Eis erstarren. Die kühlen Grade im Zuschauerraum leisten das ihre, um das Publikum frösteln zu machen. Als ob die Situation sich selbst erlösen müsse, kommt wie von ungefähr aus Graben und Lautsprechern Sturm auf. Gewalt, Zwist und Hader sind hinweggefegt. Amor vincit omnia. In die Handlung des Werks eingefügt ist Kae Tempests Langgedicht „Let Them Eat Chaos“. Fraglos greift das Poem über gesellschaftlichen Stilstand und den die Menschen final versöhnlich zueinander wehenden Sturm ins Gemüt. Ob solche Analogien aber die Striche in Drydens Text rechtfertigen, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls bietet das Poem viel Raum für retardierende Momente. Bühnenbildner Demian Wohler begreift das Geschehen nachkatastrophisch. Zentral ragt die monumentale Ruine eines Beton-Treppenhauses in den Bühnenhimmel. Für alles dies ersinnt Axel Aust bis hin zur historischen Anmutung zurechtgeschneiderte und rekombinierte Gewandungen aus heutiger Alltagskleidung.
Spartenübergreifende Bestform
Der Aachener „King Arthur“ überzeugt musikalisch wie spielerisch. Jori Klomp bewegt Chor und Extrachor des Hauses, sich als britisches Volk und Arthurs Heer voller Sensus für Purcells britische Faktur ins musikalische Geschehen einzubringen. Christopher Ward gewinnt mit den Aachener Sinfonikern schon durch den offenen Anfang. Während das Publikum allmählich Platz nimmt, empfängt es musikalischer Barock. Historisch hochkompetent folgt der Klangkörper Wards beherztem, zupackendem und temporeichem Dirigat voller Nuancen und musikalischen Seelen- und Naturgemälden. Sängerisch lässt sich viel Anziehendes vernehmen. Suzanne Jerosme entzückt als verhuschter Luftgeist Philidel. Amor ist Laia Vallés wie in die Kehle geschrieben. Tenorale Attacke führt Ángel Macías für Arthurs Freund Aurelius ins Feld. Dem übelwollend brünstigen Erdgeist Grimbald verleiht Ronan Collett Bassstatur. Auch die Spielenden nehmen für sich ein. Bei Marlina Adeodata Mitterhofer liebt Arthur entschieden und kämpft unter Vorbehalt, ein Hochsensibler und Verletzbarer, dessen Nöten auf Erden allein die Geliebte aufzuhelfen vermag. Für den Sachsenkönig Oswald trägt Tim Knapper die Attitüde eines Warlords zur Schau. Merlin stellt bei Stefanie Rösner seine Zauberkräfte in den Dienst menschenfreundlicher weißer Magie. Packend trägt Rösner ferner das Tempestsche Langgedicht vor.
Theater Aachen
Purcell: King Arthur
Christopher Ward (Leitung), Marco Štorman (Regie), Demian Wohler (Bühne), Axel Aust (Kostüme), Dirk Sarach-Craig (Licht), Jori Klomp (Chor), Marlina Adeodata Mitterhofer, Stefanie Rösner, Hermia Gerdes, Tim Knapper, Suzanne Jerosme, Laia Vallés, Fanny Lustaud, Ángel Macías, Ronan Collett, Opernchor und Extrachor Aachen, Sinfonieorchester Aachen