Zwei Werke, zwei Orchester. Die beiden im Graben und auf der Bühne positionierten Klangkörper verweisen auf die Komplementarität von Mozarts Singspielfragment „Zaïde“ aus dem Jahr 1781 und Chaya Czernowins seit den Salzburger Festspielen 2006 in dessen klaffende Fehlstellen hinein gewuchtete „Adama“. Stückwerk blieb das Mozartsche Singspiel, weil seinerzeit die Erledigung des Kompositionsauftrags für „Idomeneo“ keinen Aufschub duldete. Der Komponist legte das Manuskript beiseite. Doch wohl auch, weil ihm Zweifel kamen, ob ein deutsches Singspiel mit ernstem Sujet das Publikum erreichen werde.
Mozarts Personnage kommt indessen bekannt vor: Die Titelfigur hat mächtig auf Konstanze abgefärbt, ihr Geliebter Gomatz auf Belmonte, Sultan Soliman ist ein Vorläufer Bassa Selims, und der Osmin des Singspielfragments teilt mit dem der „Entführung“ gar den Namen. Hier wie dort führt der Schauplatz in einen orientalischen Palast, dessen Herr eine seiner Sklavinnen begehrt. Deren Liebe aber gilt einem anderen. Hier wie dort flieht das Paar aus den Fängen des Machthabers, wird gestellt und ihm auf Ungnade und Gnade ausgeliefert. Während aber Bassa Selim sich zu einem vorbildlich aufgeklärten Herrscher wandelt, vereitelt der Fragmentcharakter der „Zaïde“, für Sultan Soliman Prognosen zu stellen. Jedenfalls rast der einem Tenor anvertraute Potentat im heftigsten Furor barocker Affektdramaturgie. Bei Osmin aber kündigen sich über den Namensvetter im Repertoireschlager hinaus die Buffofiguren der Da-Ponte-Opern an. Die Lyrismen der Titelfigur lassen Konstanze und gar die Figaro-Gräfin ahnen.
So berückend sich dies alles zu vernehmen gibt, Mozart tat dennoch gut daran, das Werk in statu nascendi zu belassen. Die Zeit für die vollkommene Synthese aus Lustspiel und Ernsthaftigkeit, wie sie sich seit der „Entführung“ einstellte, war noch nicht gekommen. Ganz abgesehen von der dürftigen Poesie in Johann Andreas Schachtners Libretto, gegen die der Text von Stephanie und Bretzner für die „Entführung“ ein Meisterwerk ist.
Kein Lückenbüßer
In die gewaltigen Zwischenräume des Singspielfragments ragt Chaya Czernowins „Adama“. Der Titel kombiniert die hebräischen Vokabeln für Mensch, Blut und Land und verweist auf jene Grundbegriffe, aus denen sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nährt. „Adama“ schildert die Liebe einer israelischen Frau zu einem palästinensischen Mann. Die Beziehung wird durch den Vater der Frau vereitelt. Ohne Namen und Biographie, wie die Figuren sind, kommunizieren sie lediglich mit einzelnen Silben und wenigen allesamt aus dem Libretto zu „Zaïde“ zitierten Wendungen.
Ob die Sprache sich auf einer Schwundstufe oder im Aufbau befindet, bleibt ambivalent. Die Kantilenen des Paares bei seiner ersten Begegnung legen ersteres nahe, die abgehackten Jammer- und Klagelaute angesichts der bedrohten Liebe letzteres. So auch das rüde Gebaren der Vaterfigur. Das Orchester nimmt die Szene immer wieder unter näheres oder entfernteres Sperrfeuer. Intensiv sind die Momente, in denen es bedrohlich auf Geräuschhaftes reduziert die Partitur Mozarts klanglich hinterfängt.
Zusammenführung der Kontraste
Regisseur und Bühnenbildner Ran Chai Bar-zvi führt die beiden Stücke zunächst parallel, verschränkt sie aber zunehmend. Dem Mozartwerk belässt er die Aufgeregtheit der Barockoper und die Leichtfüßigkeit des Singspiels. Sultan Soliman gerät zum neurotisch selbstverliebten Popanz, einem Narziss, bei dem der Hang zum Sadismus immer wieder durchbricht. Willkür und Unberechenbarkeit zeigen sich freilich nicht allein als charakterliches Defizit, sie zählen zur Herrschaftstaktik des Despoten. Zaïde begehrt dagegen auf. Nicht zuletzt, indem sie seinen Drohungen mit dem Stinkefinger Paroli bietet.
Das „Adama“-Liebespaar agiert wie mit Bleigewichten beschwert. Die Vaterfigur erweist sich als übermächtiger Hemmschuh. Final versammelt sich die nun vereinte Personnage beider Werke zum Tableau frostiger Ratlosigkeit. Dem entsprechen die Bildwirkungen. Eine ganze Zeit hindurch hebt sich die vom Malsaal fleißig in die Tiefe gestaffelte barocke Palastszenerie der „Zaïde“-Sphäre klar vom die blanke Bühnenmaschinerie vorzeigenden Technizismus der „Adama“-Welt ab. Doch fortschreitend werden die Lappen mit dem aufgemalten Illusionismus abgeräumt, um gegen stählerne Gerüste und Treppen ausgetauscht zu werden. Belle Santos‘ Kostüme zeigen Satire auf Rokoko und höfische Welt, während das Liebespaar in „Adama“ sich für die Tragödie gewandet hat.
Kooperation von Profis und Laien
Musikalisch nehmen die beiden aus dem Sinfonieorchester Aachen gebildeten Klangkörper ganz unbedingt für sich ein. Während Mathis Groß aus dem Graben ebenso historisch informierten wie vitalen Mozart steigen lässt, sorgt im Bühnenhintergrund Chanmin Chung für Czernowins beklemmende Geräuschkulisse. Laia Vallés agiert für die Titelpartie des Mozartschen Singspiels auf vokal stilsicherer Linie. Ihrer Zaïde stehen gleichermaßen lyrische Valeurs wie solche des Aufbegehrens zu Gebot.
Philipp Nicklaus gibt einen tenoral wendig und flexibel agierenden Sultan Soliman. Seine bewährten Buffoqualitäten bietet Pawel Lawreszuk für Osmin auf. Die „Adama“-Sprachtrümmer zusammenzufügen, strengen sich Christina Baader für den weiblichen Teil des Liebespaars und Samuel Pantcheff für dessen männlichen bewegend und ins Gemüt greifend an. Der aus Laien zusammengestellte „Community Chor“ singt erstaunlich gut, freilich gestützt vom erfahrenen Extrachor des Theater Aachen.
Theater Aachen
Mozart / Czernowin: Zaïde / Adama
Chanmin Chung, Mathis Groß (Leitung), Ran Chai Bar-zvi (Regie und Bühne), Belle Santos (Kostüme), Eduard Joebges (Licht), Luca Fois (Video), Laia Vallés, Ángel Macias, Jonathan Macker, Philipp Nicklaus, Pawel Lawreszuk, Christina Baader, Samuel Pantcheff, Andreas Fischer, Community Chor, Extrachor Aachen, Sinfonieorchester Aachen