Um die Opern Gottfried von Einems ist es in den letzten Jahren sehr still geworden, obwohl sie in Ost wie West noch zu seinen Lebzeiten – der Österreicher starb erst 1996 – für einen Zeitgenossen recht häufig gespielt wurden. Dies dürfte das Ergebnis der stetigen Verengung des gängig-marktkonformen Repertoires sein, der sich alle Bühnen aus Gründen der Selbstlegitimation verpflichtet zu sehen scheinen. Umso ehrenvoller ist es da, dass ein kleines Haus wie das thüringische Theater Altenburg-Gera immer wieder versucht, auch überregional leuchtkräftige Akzente zu setzen. Intendant Kay Kuntze, dessen Vertrag gerade erst wieder von den notorisch klammen Gesellschaftern des Theaters verlängert wurde, belohnt dieses Vertrauen mit einer spielplanökonomisch wagemutigen Saisoneröffnung, indem er von Einems Opernerstling „Dantons Tod“ mit hauseigenen Kräften selbst auf die Bühne bringt.
Von der Sehnsucht nach gedanklicher Erlösung kurz nach Kriegsende
Der Sensationserfolg, den von Einem mit „Dantons Tod“ nach Georg Büchners Drama über die Nachwehen der Französischen Revolution landete, speiste sich vor allem aus der Sehnsucht nach gedanklicher Erlösung kurz nach Kriegsende. Die Geschichte des ehemaligen Revolutionsführers Danton, der angesichts des Machtmissbrauchs seines einstigen Gefolgsmanns Robespierre resigniert, bis er am Ende selbst als Kind seiner Revolution gefressen wird, war von Anfang an als Parabel angelegt gewesen. Die wesentliche Rolle nimmt gar nicht Danton ein, sondern der Chor als „Volk“, das innerhalb kürzester Zeit seine gelenkte Meinung ändert, diese dann aber umso fanatischer verficht und sich, statt Brot zu fordern, mit guillotinierten Köpfen zufrieden gibt, um seinen gerechten Zorn zu zügeln.
Der Unverstand der Massen?
Im Nachhinein dichtete von Einem Stauffenbergs vereiteltem Attentat von 1944 an, eines der wichtigsten Initiale für die Komposition gewesen zu sein. Dabei brachten neuere biografische Forschungen zutage, dass von Einem selbst, der sich auf familiär gute Kontakte zur Nomenklatur verlassen konnte, spätestens nach einer Begegnung in Bayreuth ein glühender Verehrer Hitlers gewesen war und erst im Nachhinein erkannt hatte, welchem Ver-Führer er da aufgesessen war. Insofern bedient das 1947 in Salzburg uraufgeführte Stück das Narrativ von kurzzeitig Geblendeten, die durch den Fanatismus der Massen bloß angestachelt worden seien und sich damit als eigener Verantwortung enthoben betrachten durften. Nicht umsonst erklingt am Fuß der Guillotine die „Arbeiter-Marseillaise“ – so als wären nur die unteren Schichten anfällig für Despoten und die angeblich denkfähigen Eliten lediglich ein Opfer des massenpsychotischen Sogs. Diese Abgrenzung vom vielfältig gelenkten „Unverstand der Massen“, als dessen Opfer sich der Antiheld Danton begreift, wird auch im Programmheft durchaus fragwürdig weitergeschrieben.
Die Revolution und ihr dogmatisches Zerrbild
Nichtsdestoweniger büßt das Stück deswegen nichts von seiner zeitlosen Aussage ein: Die Idee von einer verfassten, mündigen Gesellschaft scheiterte ja nicht nur schon an Robespierre, sondern wiederholte sich auch in der Folge der Jahrhunderte immer wieder. Jede Revolution verselbständigte sich irgendwann zu ihrem eigenen, nicht selten dogmatischen Zerrbild, gebar Despoten, die wiederum von neuen Revolutionen gestürzt wurden. Gleich blieb den Umstürzen nur die menschliche Lust an der physischen oder psychischen Gewalt, die sich gegen alles Neu- und Andersartige, gegen jede Abweichung von willkürlichen Normen richtet.
Eine Inszenierung aus dem Geist der Ursprungshandlung
Auf diesen Aspekt bezieht sich auch Kay Kuntzes Regie. Er verzichtet vollständig auf naheliegende Aktualisierungen und belässt das Stück ganz bewusst in der Zeit der Ursprungshandlung – mit Perücken, Kniebundhosen und allem, was dazugehört (Bühne und Kostüme: Martin Fischer). Die Parallelen zu verblichenen wie aktuellen Despoten oder solchen, die es gerne wären, drängen sich ganz von selbst auf.
Ein tragikomisches Sinnbild irrsinnig-menschlicher Gewalt.
Die aussagekräftigste Szene heben sich Autoren wie Regisseur für den Schluss auf, wenn nämlich die beiden Henker – kleinste und wichtigste Rollen zugleich – nach Feierabend ein rührseliges Lied über den Mond singen und damit die Unmenschlichkeit ihres Tuns zur Normalität erklären mit dem beliebten Argument, nur die notwendige Arbeit verrichtet zu haben. Bei Kuntze torkeln sie mit Schubkarren über die Bühne, von denen schon mal ein abgetrennter Kopf herunterrollt – ein tragikomisches Sinnbild irrsinnig-menschlicher Gewalt.
Überflüssige zeitgenössische Texte
Mit dieser direkten Lesart ohne aufgezwungene Interpretation beweist Kuntze großes Vertrauen in sein Publikum, ist sich seiner Aussagekraft aber dann doch nicht mehr ganz so sicher: Denn vor lauter Begeisterung über zeitgenössische Texte, die ihm bei der Erschließung des Stoffes passend erscheinen mochten, schüttet er seine Inszenierung mit unzähligen Einblendungen dieser Zitate zu, so als würde ein reich ausgestattetes Programmheft auf die Bühne projiziert. Das nervt ungeheuer.
Ein künstlerisch großer Abend
Aber es täuscht nicht darüber hinweg, dass Gera hier künstlerisch einen großen Abend erlebt. Musikalisch wie szenisch muss sich die kleine Bühne vor keiner einzigen Großstadt verstecken. Das betrifft sowohl die Titelpartie, in der Aljandro Lárraga Schleske einen hervorragenden Mix aus Quartalshedonist, brillantem Denker und Fatalist porträtiert, als auch seinen Freund Camille (Isaac Lee). Allen voran überzeugt Anne Preuß mit ihrer fraglos dankbaren Rolle als dessen dem Wahnsinn verfallende Frau: Sie öffnet mit ihren menschlichen Regungen dem Publikum den Zugang zu den vielen Antihelden, die sich in endlosen Diskussionen totlaufen.
Auch der von externen Gästen verstärkte Chor als Hauptakteur leistet Erstaunliches, gerade wenn er aus Gründen der Eindringlichkeit direkt auf einem Steg vor dem Publikum aufgereiht steht. Eine Herausforderung, wenn man darauf angewiesen ist, sich einerseits untereinander und andererseits das Orchester hinter sich zu hören. Das wiederum leitet Generalmusikdirektor Ruben Gazarian mit viel Sympathie für von Einems Tonsprache, auch wenn es dadurch zuweilen sehr laut zugeht und die Protagonisten auf der Bühne öfter zugedeckt werden.
Auf nach Gera!
Harmonisch an Mahler und Strauss geschult, übertrat der österreichische Komponist kaum einmal die Grenzen der Tonalität, sondern erweiterte sie lediglich um ein paar bitonale Experimente, die der Plastizität seiner nachgerade expressionistischen Musik dienlich sein sollten. Leicht von der Hand geht diese an großartig bewältigten Instrumentalsoli reiche Partitur deswegen nicht, aber interessant bleibt sie allemal. Und ist ein Grund mehr, den Weg nach Gera auf sich zu nehmen.
Theater Altenburg-Gera
Von Einem: Dantons Tod
Ruben Gazarian (Leitung), Kay Kuntze (Regie), Martin Fischer (Bühne & Kostüm), Alexandros Diamantis (Chor), Sophie Jira (Dramaturgie), Alejandro Lárraga Schleske, Isaac Lee, Jasper Sung, Johannes Pietzonka, Roman Astakhov, Johannes Beck, Kai Wefer, Raoni Hübner, Anne Preuß, Diane Claars, Opernchor, Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera
Weitere Termine am 23. & 25. September, 1. & 3. Oktober.