Ein „Heinrich uns graut vor Dir“ wäre wohl zu viel der Anspielungsehre für den Reußen-Heinrich mit der laufenden Nummer XIII, der das Reich wiederhaben will und nach den aufgeflogenen reichsbürgerlichen Umsturzplänen aktuell gerade vor Gericht steht. Bei der Gelegenheit rückte aber wieder in den Fokus, dass es das aus der Strauss-Operette „Wiener Blut“ bekannte Fürstentum Reuß Greiz Schleiz tatsächlich gab. Mit diversen ausgestorbenen oder sich brav fortpflanzenden jüngeren, älteren und sonstigen Linien. Eine Dosis Nachhilfe in deutscher Geschichte gibt es an diesem Operetten-Uraufführungsabend des Theaters Gera-Altenburg quasi als Bonus dazu. Hinter dieser Kombination von Städtenamen steht allerdings nichts Fürstliches mehr, sondern ein ziemlich ambitioniertes Zweistädtetheater mit prachtvollen Haus-Erbstücken. Wo gibt es das schon, dass in ein liebevoll hergerichtetes Theater vom Anfang des vorigen Jahrhunderts mit gerade mal 552 Plätzen wie in Gera ein Konzertsaal integriert ist. Zumindest ein Abglanz der Berliner Lindenoper mit ihrem prunkvollen Apollosaal ist das schon.
Eine Pasticcio-Operettennovität
Die gerade heftig bejubelten Pasticcio-Operettennovität „Redoute in Reuß“ haben Hausherr Kay Kuntze (Regie), Martin Fischer (Bühne) und Andrea Eisensee liebevoll historisierend und mit Augenzwinkern ins Publikum in Szene gesetzt. Weil es das Personal mehrheitlich eher nach Wien als ins preußische Berlin zieht, kommt der Walzer als Import auch hier zu seinem Recht. In Wien als zu anzüglich verboten, trägt der bei der Redoute kräftig zum Chaos bei, das den mittleren Ballakt (in guter „Fledermaus“-Manier) krönt. Dazu tragen aber auch bei: mit reichlich vaterländischem Tamtam der Auftritt eines Kinderchors. Sodann das Solo einer maskierten Dame, nicht als ungarische Gräfin, aber als italienische Primadonna. Hinter der Maske verwirklicht sich die Prinzessin Adelheid als Sängerin, was Julia Gromball einen durchschlagenden Erfolg beim Publikum und bei ihrem österreichischen Verehrer auf der Bühne beschert. Diesen Seidenzuckerl lutschenden Wiener Graf Ferdinand von Herzmansthal gibt Johannes Beck mit Charme und letztlich Erfolg bei Adelheid.
Willkommene Liebesallianz
Dem um sein Land besorgten XIX. Heinrich ist diese Liebesallianz genauso willkommen wie jene zwischen dem Balduin von Zedlau (zackig: Alexander Voigt) und der Wienerin Gabriele. In dieser Rolle der Nichte von Herzmansthal schafft es Anne Preuß tatsächlich, dem Preußenfan Zedlau an ihrer Seite die Übersiedlung nach Wien und in ihr Palais schmackhaft zu machen. (Wie es mit den beiden weitergeht, erlebt man dann in „Wiener Blut“.) Das Ballchaos perfekt macht dann der Auftritt der legendären Tänzerin Mona Lopez, die der historischen Lola Montez nachempfunden ist und die am Ende einen Heinrich am Halsband mit sich führt.
Fröhlicher Anachronismus
Dass für den (weiterregierenden) XIX. Heinrich nur sein Faktotum Emmerich Horch von Guckendorft (der auch privat Johannes Emmrich heißt und seine Sache froschfidel macht!) als Partner übrig bleibt, scheint keinen zu stören. Das sind die Vorzüge eines fröhlichen Anachronismus. In den sich auch ein Verweis auf eine andere Operettennovität („Hopfen und Malz“ in Annaberg-Buchholz) einbauen lässt. Oder der berühmte Schabowski-Halbsatz mit „unverzüglich“ schon im Saal vollendet wird, bevor er von der Bühne herab einen Ausbruch von Heiterkeit auslöst. Das Libretto der Wienerin Sophia Jira sitzt und hat mit der Musik natürlich eine sichere, bekannte und populäre Verbündete an seiner Seite. Zudem lässt Thomas Wicklein mit dem Orchester des Theaters Altenburg Gera jeden Strauss-Funken effektvoll sprühen, den ihm Olav Kröger aufs Pult arrangiert und komponiert hat.
Da ist mehr historisch Verbürgtes drin, als es scheint
Auch wenn sich schon der Programmzettel mit dem Operettenpersonal wie Satire liest, ist da mehr historisch Verbürgtes drin, als es scheint. Die Fürsten, die ob sie nun in Reuß-Greiz, -Schleiz, -Ebersdorf, -Lobenstein, oder -Köstritz (sogar zwei) regieren, allesamt Heinrich heißen und jeder eine römische Nummer am Revers der Uniform trägt, haben historische Vorbilder. Auf so eine schrullige Idee kommen nicht mal Librettistinnen von heute, auch wenn sie wie die Endzwanzigerin Jira (hörbar) aus Wien stammen. Aber sie hat daraus eine wunderbar komödiantische Zeitreise in das Jahr des europäischen Neuanfangs 1814 gemacht. Napoleon war schon auf Elba, der Wiener Kongress zur Rückabwicklung von dessen kriegerischer Neuordnung Europas in den Startlöchern und die Fortexistenz der Minifürstentümer auf der Kippe. Weil die einen bei den Hohenzollern und die anderen bei den Habsburgern mitgekämpft hatten, waren Ambitionen, unter wessen Schutz man sich begeben sollte, auch bei den Reußen geteilt. Auf Schloss Osterstein bei Gera (auf dem Vorhang als Prachtexemplar von Kulissenmalerei!) wendet sich das Blatt Richtung Wien. Die beiden Paare werden dorthin übersiedeln. Und dürften dann das Tanzbein schwingen, wenn der Kongress tanzt. Und die Allianzen schmieden, um die Abschaffung der Fürstentümer noch einmal zu vertagen.
Theater Altenburg Gera
J. Strauss/Kröger: Redoute in Reuß
Thomas Wicklein (Leitung), Kay Kuntze (Regie), Martin Fischer (Bühne & Kostüm), Andrea Eisensee (Kostüm), Ingo Ronneberger (Tanz), Alexandros Diamantis (Chor), Sophie Jira (Dramaturgie), Johannes Pietzonka, Johannes Beck, Anne Preuß, Alexander Voigt, Johannes Emmrich, Julia Gromball, Kai Wefer, Alejandro Lárraga Schleske, Jannis Hähle, Heiko Retzlaff, Roman Koshmanov, Raoni Hybner de Barros, Andreas Veit, Ruben Repetti, Matteo Castellaro, Opernchor, Thüringer Staatsballett, Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera