Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Hilfe bei der Wohnungssuche

Opern-Kritik: Theater Basel – Tiefer Graben 8

Hilfe bei der Wohnungssuche

(Basel, 15.12.2024) Christoph Marthaler inszeniert „Tiefer Graben 8“ als eine Hommage an Ludwig van Beethoven – und an sich selbst.

vonRoberto Becker,

Es ist eine Produktion der Opernsparte des Theater Basel. Zwar steht Beethoven obendrauf, aber es ist nicht dessen einzige Oper „Fidelio“ drin. Da liegt auf den ersten Blick der Marthaler-Verdacht auf der Hand. Und er wird bestätigt: „Tiefer Graben 8“ ist eine Inszenierung von Christoph Marthaler. Also des berühmtesten lebenden Theater-Schweizers, der sich selbst emsig über Jahrzehnte zu einer Marke gemacht hat. Wenn man das Wort „Kauz“ als Bezeichnung für einen Menschen bzw. Künstler noch nicht ausrangiert hat, dann vor allem wegen ihm. Auch mit mittlerweile 73 schreckt der Umtriebige vor keiner Vorlage der Großen des Schauspiels (Shakespeare, Goethe etc.) oder der Oper zurück.

Anzeige

Von einem „Fidelio“ 1997 in Frankfurt bis zu „Tristan und Isolde“ in Bayreuth oder einem „Falstaff“ in Salzburg, um auch Premiumbühnen zu nennen. Aber auch vor sich selbst nicht. Seine eigene Kreation „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab! (1993)“ avancierte zum Kultstück der 90erJahre. Besonders gut gehen seine szenischen Versuche der Selbstverwirklichung mittels Verschweizerung der Welt allemal, wenn er Anna Viebrock an seiner Seite hat. Die ist mit ihren Raumerfindungen auch so ein Unikum im Markenformat. Auch sie Premium – versteht sich.

Beethoven-Exkursion ins Bühnenwunderland

Der Dritte im Bunde der Vertrauten (und sich vertrauenden) bei dieser jüngsten Exkursion ins Bühnenwunderland ist Sylvain Cambreling. Der steuert mit dem Sinfonieorchester Basel diverse Beethoven-Fundstücke bei, die Johannes Harneit mundgerecht für die Crew und den Chor auf der Bühne zubereitet hat. Sechzehn Titel sind im Programmheft aufgelistet. Angespielt werden etwa „Die Geschöpfe des Prometheus“ oder das „Kyrie“ und das „Agnus Dei“ aus der „Missa Solemnis“. Auch brandet mal der „Egmont“-Furor auf. Aber der Kanon „Wir irren allesamt, nur jeder irret anders“ oder diverse kleine Stücke oder Skizzen haben für die meisten Hörer wohl Neuheitswert.

Szenenbild aus „Tiefer Graben 8“
Szenenbild aus „Tiefer Graben 8“

Der notorische Dauer-Wohnungssucher namens Ludwig von Beethoven

Immer passt die Musik zur Szene, also zu dem, was die Protagonisten mit ihren wie autonom wirkenden Figurenporträts beisteuern. Wenn sie aphoristisch werden. Fragen wiederholen. Die (Nicht-)Antworten dazu. Wenn sie Teppichläufer einrollen und wieder ausrollen. Oder wenn sie wie ein aufgescheuchter Haufen Zimmerpflanzen von einem Tisch zum anderen tragen und sich gegenseitig die Sitzgelegenheiten streitig machen. Es geht ja um Wohnungen und einen namentlich nicht genannten notorischen Dauer-Wohnungssucher namens Ludwig von Beethoven. Was sie zwischen und zu den Musikstücken so an Weisheiten bzw. Banalitäten, dauernd wiederholten Fragen und stets verweigerten Antworten so von sich geben, stammt von Heimito von Doderer (1896-1966) und liefert den Wortkitt zwischen den Musiknummern, um daraus ein nicht auf den ersten Blick als solches erkennbares, aber sich alsbald unweigerlich einstellendes Ganzes zu machen, das immer auch von seinen offenen Enden lebt.

Die Wohnungsfrage als Schattenseite seiner Existenz

„Tiefer Graben 8“ ist eine Adresse im 1. Wiener Bezirk. Dass der Komponist allein in Wien über dreißig verschiedene Adressen hatte, spricht für sich. Nicht unbedingt für den Mieter. Mit Nachruhm ließen sich schon damals keine Mieten bezahlen. Da brauchte man schon einen königlichen Gönner wie weiland Richard Wagner. Bei Beethoven gehört die Wohnungsfrage zur Schattenseite seiner Existenz.

Anzeige

Szenenbild aus „Tiefer Graben 8“
Szenenbild aus „Tiefer Graben 8“

Wer marthalert, der singt auch.

Um das für heute nachvollziehbar ins Bild zu setzten, ist Anna Viebrock genau die richtige. Sie hat die für sie typisch verführerische Bühnenästhetik diesmal in einen beweglichen Dreiteiler verpackt. Links ein angedeutetes offenes Musikzimmer – jedenfalls finden sich da drei Klaviere, bei denen Bendix Dethleffsen als Pianist Polt kundig in die Tasten haut. Jeder der neun Akteure hat hier einen Rollennamen, auch wenn sie vor allem als Haus-Gemeinschaft kollektiv in Erinnerung bleiben. Den Mittelteil der Bühne gibt es als ein bewegliches Stiegenhaus. Rechts ist eine Art Lokal-Raum vor ein Schlafzimmer gesetzt. Aus einer freistehenden Wand schauen keck die Ziegelsteine Richtung Publikum. Alles ist großornamentig tapeziert und mit Läufern ausgelegt.

Die werden erst ein- und dann wieder ausgerollt. Einmal wickelt sich sogar die wunderbar sopranklar singende Kerstin Avemo in einen Teppich. Als szenische Kalauerleiche sozusagen. Auch Lulama Taifasi und Andrew Murphy dürfen mit ihren Sängerqualitäten glänzen. Singen dürfen sie alle. Nicht nur der fabelhaft von Michael Clark präparierte Chor. Wer marthalert, der singt auch. Wie die zur Marthaler Mimenfamilie gehörende Nikola Weisse (als wundere Frau Ida mit Kittelschürze), Ueli Jäggi (als er selbst und als Adam) oder Martin Hug (als Julius Zihal).

Das Unsterbliche im Banalen

Es ist natürlich kein Musiktheater über das Genie Ludwig van Beethoven und seine Zeit. Es ist ein Blick auf ein banales Detail seiner Biographie, und selbst da nur auf ihn als Mieter. Aber selbst da blitzt das Genie durch. Und Marthaler und Viebrock spüren es in einer Art Hinterhof auf. Lassen das Unsterbliche im Banalen aufscheinen.

Theater Basel
Beethoven/Harneit: Tiefer Graben 8

Sylvain Cambreling (Leitung), Christoph Marthaler (Regie), Anna Viebrock (Bühne & Kostüme), Johannes Harneit (Musikalische Einrichtung), Cornelius Hunziker (Licht), Michael Clark (Chor), Malte Ubenauf (Dramaturgie), Kerstin Avemo, Magne Håvard Brekke, Raphael Clamer, Bendix Dethleffsen, Martin Hug, Ueli Jäggi, Andrew Murphy, Lulama Taifasi, Nikola Weisse, Chor des Theater Basel, Sinfonieorchester Basel






Auch interessant

Rezensionen

Anzeige
  • Tag 18
    Der Klingende Adventskalender: 18. Dezember 2024

    Tag 18

    Heute können Sie dank unseres Klingenden Adventskalenders wieder einen tollen Preis gewinnen. Können Sie unser Musikrätsel lösen? Probieren Sie es am besten gleich aus!

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!

Anzeige